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Ausgabe:

1986

Spalte:

602-604

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Junghans, Helmar

Titel/Untertitel:

Der junge Luther und die Humanisten 1986

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 8

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Denkweisen. Darum haben sich die Historiker mit dem späteren
elften und dem zwölften Jahrhundert weitaus mehr beschäftigt als mit
dem zehnten und frühen elften. Hochfliegende Programme und
dramatische Aktionen der Vergangenheit sind für den Leser interessanter
als der Alltag von einst mit seinen Schranken, die schlichte
Existenz innerhalb mangelhaft wirksamer Ordnungen. Wesentlicher
vom Ganzen der Geschichte her gesehen dürfte aber doch dieser
Wurzelgrund sein, aus dem das historische Geschehen erwachsen ist"
(572).

Gründliche Register erleichtern die Benutzung (575-614). Das Verzeichnis
der Eigennamen bietet auch einen Zugang zu den Quellen:
Man erkennt, daß z. B. Burchard von Worms, Ekkehard von St.
Gallen, Thietmar von Merseburg und Widukind von Corvey viel
benutzt wurden. Die Fülle der Einzelheiten, die F. zusammengetragen
und gut geordnet hat. werden für die Mediävisten von großem Nutzen
sein.

Rostock Gert Haendler

Kerff. Franz: Der Quadripartitus. Ein Handbuch der karolingischen
Kirchenreform. Überlieferung, Quellen und Rezeption. Sigmaringen
: Thorbecke 1982. VI, 124 S., 2 Farbtaf. gr. 8" = Quellen und
Forschungen zum Recht im Mittelalter, 1. Lw. DM 32,-.

Das Buch beginnt mit einem Geleitwort der Herausgeber der neuen
Reihe ..Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter".
Raymund Kottjc und Hubert Mordek verweisen auf erweiterte Möglichkeiten
zur Erforschung der rechtshistorischen Überlieferungen
durch neue Erkenntnisse der Handschriftenkunde. Manche alte Editionen
müssen als unzureichend angesehen werden; damit werden
dann auch Folgerungen hinfällig, die auf solcher Textgrundlage beruhen
. Von der derzeitigen Forschungslage her fragt man verstärkt
..nach ded Quellen der Rechtsgeschichte, ihrer Überlieferung, Rezeption
und Wirkung". Die neu beginnende Reihe soll „allen quellen-
orientierten Arbeiten, die das Recht im Mittelalter zum Gegenstand
haben, offenstehen" (3).

Band I -eine überarbeitete Dissertation (Aachen 1979)-gilt einem
sehr umstrittenen Dokument, für das sich der Name „Quadripartitus"
eingebürgert hat. Eine Edition des Textes wird vorbereitet für die
Reihe „Corpus Christianorum - Continuatio Mediaevalis". Die bisher
vorliegenden Tcxtteilc stehen in ganz verstreuten und oft kaum
erreichbaren Zusammenhängen. Am bekanntesten ist noch die Edition
des 4. Buches durch Emil Ludwig Richter in dem Band „Antiqua
canonum collectio" von 1844. In der Patrologia Latina von Migne
findet man Buch 2 in Band 89. 431-436 und Buch 3 in Band 112,
1337-1398. Kerff stellt nach einem Überblick heraus, daß keiner der
bisherigen Teildrucke vorgelegt worden sei, um „das Werk selbst in
seiner Gesamtheit vorzustellen oder auch nur auszugsweise zu würdigen
" (37). Ausführlich wird den einzelnen Handschriften nachgegangen
(15-35). Eine Edition des gesamten Textes aufgrund
zweier Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek hatte schon
'757 Pietro Ballerini geplant (35). Die Frage nach dem Umfang des
Textes blieb jedoch bis in die jüngste Zeit umstritten. Kerff muß daher
überhaupt erst einmal zeigen, daß der Quadripartitus ein ursprünglicher
Text ist, der so im 9. Jh. zusammengestellt worden ist. Es gibt
Unterschiede zwischen Buch 1-3 einerseits und Buch 4 andererseits,
die aber doch nicht die Einheit des Werkes sprengen (43-45).

Das Kapitel 2 „Die Quellen" kann davon ausgehen, daß der Verfasser
des Quadripartitus mehrfach auf diese Frage eingegangen ist. Er
verweist 19mal „auf die patres saneti. deren Werke allein er exzerpiert
habe" (54). Es gibt direkt einen Autoritätenkatalog, „eine 24 Namen
umfassende Liste von Kirchenvätern, Päpsten und Kirchenschriftstel-
'ern. die - in einem Abschnitt zusammengefaßt - an bevorzugter
Stelle zwischen Widmungsbrief und Gencralpracfatio der Sammlung
angeordnet ist" (54). Kirchenväterzitate sind wohl in vielen Fällen aus
Elorilegicn übernommen worden; doch werden Gregors Pastoralrcgel.
Isidors Scntentiae und Cassians Hauptwerke „so häufig zitiert, daß

Exzerptensammlungcn oder Florilegien als Vorlagen nicht in Betracht
kommen" (57). Benedikt von Aniane und Smaragd von S. Mihicl
haben eingewirkt (60). Unter den kirchenrechtlichcn Sammlungen
waren die Collectio Dacheriana und die Collectio Remensis von
großem Einfluß, insbesondere für das Buch 4. Entgegen früheren
Meinungen gehörte auch das Bußbuch Halitgars zu den Vorlagen des
Quadripartitus. Zitate sind im Quadripartitus oft gekürzt worden,
doch spricht der Hg. anerkennend von einem Verfasser, „der mit
patristischen und kirchenrechtlichen Texten gleichermaßen vertraut
und zu selbständigen Überlegungen befähigt gewesen ist" (66).

Kapitel 3 „Verbreitung und Rezeption" zeigt, daß der Quadripartitus
geographisch weiter verbreitet war, als man bisher angenommen
hat: von England über Belgien, Nordfrankreich, Westdeutschland,
Osterreich bis nach Italien (68). Die Rezeption in kirchenrechtlichcn
und anderen Sammlungen gliedert sich in 7 Detailabschnitte (69-76).
Kapitel 4 ist überschrieben: „Zeit und Ort der Entstehung. Verfasserfrage
". Der Quadripartitus dürfte wohl im 3. Viertel des 9. Jhs.
zusammengestellt worden sein. Die älteste Handschrift stammt aus
Reims, so daß in dieser Stadt oder der näheren Umgebung die Heimat
jenes Dokuments zu suchen ist (78). Als Verfasser meint Kerff den oft
genannten Hrabanus Maurus ebenso ausschließen zu können wie
Halitgar von Cambrai. „Wenn nicht bisher unbekannte Quellenzeugnisse
erschlossen werden, wird man den Quadripartitus weiterhin als
das Werk eines Anonymus bezeichnen müssen" (81). Er wirkt noch
nach u. a. bei Regino von Prüm und Ivo von Chartres und hat „noch
im Jahr 1294 als Vorlage für theologische Traktate gedient" (82).
Trotz mancher Besonderheiten ist es „gerechtfertigt, den Quadripartitus
weiterhin den Bußbüchern des 9. Jhs. zuzuzählen". Er gehört in
die Reformbestrebungen der Zeit Ludwig des Frommen hinein: Die
Bildung der Priester soll gehoben werden, die Autorität der Bibel und
der Kirchenväter soll betont werden. So schließt Kerff sein 5. Kapitel
„Ergebnisse" mit den Sätzen ab: „Die Auswahl der Vorlagen, das
Bemühen um autoritative Texte und die Absicht, mit diesen entnommenen
Zitaten zu bilden und zu belehren, belegen wohl unzweifelhaft
die Reformtendenz der Sammlung. Als ein der Kirchenreform
des 9. Jhs. verpflichtetes, insbesondere für die Verwaltung des
Bußsakraments bestimmtes Handbuch von besonderer Qualität,
klarer Gliederung und eindrucksvollem Zitatbestand wird der Quadripartitus
sicherlich' bezeichnet werden dürfen" (84). Umfangreiche
Verzeichnisse beschließen den Band, in dem sehr viel Arbeit steckt.
Die volle Bedeutung des Bandes wird sich erst zeigen nach Erscheinen
der vorgesehenen Edition.

Rostock Gert Haendler

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Junghans, Helmar: Der junge Luther und die Humanisten. Weimar:
Hermann Böhlaus Nachf.; zugleich Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1984. 356 S. gr. 8' = Arbeiten zur Kirchengeschichte.
8. LW.M45-.

Ein Buch wie dieses war fällig. Ein Buch nämlich, das das Thema
„Luther und der Humanismus" befreit aus der Engführung des
Themas „Luther und Erasmus" und damit Ernst macht, daß die
neuere Forschung - repräsentiert, ja angeführt von dem (bei J. merkwürdigerweise
kaum erwähnten) P. O. Kristeller - die philologischen
und im weiteren Sinn gelehrten Beschäftigungen der Humanisten, die
„studia humanitatis", als deren ursprüngliches Interesse anzusehen
gelernt hat und das Phänomen damit aus dem Bannkreis übergreifender
Kulturtheorien, aus den weiten Räumen des Renaissance-
Problems und der Festlegung auf anthropologische Ideen, auf Weltanschauung
und Lcbcnsgefühl erst einmal herausnimmt. Der Vf.
macht deutlich, daß die ältere Literatur, weithin apologetisch ausgerichtet
und in rein geistesgeschichtlichen Fragestellungen befangen, in
dem Bild der Entwicklung Luthers eine wichtige Komponente über-