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Ausgabe:

1986

Spalte:

595-598

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Braun, Herbert

Titel/Untertitel:

An die Hebräer 1986

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 8

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machen, deren Ursache er in der Konzentration auf die Fragestellungen
von Form- und Redaktionsgeschichte sieht. Ohne deren Berechtigung
antasten zu wollen, möchte er das Bewußtsein dafür erwecken,
daß durch sie andere Fragestellungen ausgeblendet wurden, die für das
Verständnis des zweiten Evangeliums nicht weniger bedeutsam sind:
die Rückfrage nach dem Material, das Markus aus der Tradition übernommen
hat sowie die Frage nach dem, was dieser mit seinem Material
unternahm, als er es zu einem großen Ganzen gestaltete.

Im Zuge der Erörterung dieser beiden Hauptanliegen erfährt der
Leser zunächst sehr viel zu Aussagekomplex 1. Z. B.: So wenig über
das Auswahlprinzip des Evangelisten gesagt werden kann, da nichts
über die Stoffe bekannt ist, die ihm zur Verfügung standen, so wenig
ist unzweifelhaft: Obwohl dem von ihm verwendeten Material gänzlich
verpflichtet, hat Markus es durchweg "creatively" benutzt
(S. 122). Von da aus ist seine Arbeit weder die eines Autors noch die
eines Editors, sondern sie liegt zwischen der beider. Und kann diese
auch nicht rückhaltlos aufgewiesen werden, so ist doch das „dramatische
Element" in der Komposition des Markus auf mehrfache Weise
erkennbar, allem voran durch den kontinuierlichen Wechsel zwischen
der Betonung der Erfolge Jesu und seiner Unpopularität sowie
durch die frühen Anspielungen auf Jesu Ende und die Betonung von
dessen Unvermeidbarkeit.

Von Gewicht sind die Ausführungen zu Aussagekomplex 2. Hierher
gehört zunächst die These, daß bei Markus nicht das Kreuz den
Endpunkt des Geschehens darstellt, sondern das leere Grab, das
seinerseits über sich hinausweist: "Its final message is that Jesus is not
to be found within the tomb for he is risen" (S. 44). Damit ist das
Kreuz für B. nicht unwichtig. Jedoch liegt dessen Bedeutung für ihn -
analog der neuerdings besonders im anglikanischen Raum verbreiteten
Ansicht - zunächst darin, daß dieses (in der Abwehr einer Christo-
logie, die Jesus als theios aner versteht) die Christologie als Leidens-
christologie erklärt. Außerdem gehört das Kreuz für B. mit der Auferstehung
Jesu auf das Engste zusammen: Alle von Markus überlieferten
Ereignisse sind im Licht von Kreuz und Auferstehung zu verstehen
wie umgekehrt Kreuz und Auferstehung im Licht der vorangegangenen
Geschehnisse zu begreifen sind. Daraus folgt z. B. für die -
die Kirche ihrer Zeit repräsentierenden - Jünger Jesu: "in each part
discipleship isset in the light ofthe crossand resurrection" (S. 84).

Bei all dem verhehlt B. nicht eine konservative Grundhaltung.
Diese kommt zudem zum Ausdruck in der nachdrücklichen Erwähnung
von Rom als Entstehungsort des MkEv, in dem Aussterben
der Augenzeugen als dem von ihm an erster Stelle genannten Motiv
für dessen Zustandekommen sowie in der etwas leicht dahingeworfe-
nen Behauptung, daß der Evangelist der Überzeugung gewesen sei,
"his own moral and theological judgements would agree with those of
Jesus" (S. 115). Doch auch sonst wird der Leser mitunter zum Widerspruch
gereizt; so etwa durch die These, daß das zweite Evangelium
eine apokalyptische Schrift sei, die ihren Sitz im Leben einer apokalyptischen
Gemeinde habe.

Diese kritischen Anmerkungen betreffen indes nur Randaussagen.
Ihnen steht als Gesamteindruck gegenüber: Vf. hat nicht nur eine für
Anfänger informative, sondern auch für Kenner anregende Studie
vorgelegt, deren besonderes Verdienst darin liegt, daß durch sie die
Markusforschung zu einer kritischen Überprüfung ihres derzeitigen
Standorts aufgefordert wird.

Leipzig Werner Vogler

Braun, Herbert: An die Hebräer. Tübingen: Mohr 1984. VI, 485 S.
gr. 8*= Handbuch zum Neuen Testament, 14. Kart. DM 58,-.

Seit 1930 sind in deutscher Sprache neben wenigen Beiträgen zu allgemeinverständlichen
Kommentarreihen nur zwei fachwissenschaftliche
Kommentare zum Hebräerbrief erschienen, nämlich die zweite
Auflage von H. Windisch im Handbuch (1931) und die 6. Auflage van
O. Michel in Meyers Kommentarwerk (1966). So war „eine Neubearbeitung
des Hebräerbriefs im Handbuch" in der Tat „fällig" (so

H. Braun), und man greift mit großer Erwartung zu der Neubearbeitung
durch einen Exegeten wie H. Braun. Leider erlebt der
Leser aber, um das sofort zu sagen, bei der Durcharbeitung des umfangreichen
Bandes eine herbe Enttäuschung: Das Buch enthält wohl
eine über jedes sinnvolle Maß weit hinausgehende Anhäufung von
exegetischem Material, es ist aber überhaupt kein Kommentar, und
schon gar nicht ein theologischer Kommentar. Zu diesem Urteil sehe
ich mich zu meinem großen Bedauern auf Grund von zwei dieses
Buch grundlegend kennzeichnenden Tatbeständen gezwungen.

1) Braun bietet nach einer kurzen historischen Einleitung, einem
allgemeinen Literaturverzeichnis und einer „Gliederung in großen
Zügen" für jeden einzelnen Vers des Briefes, abgetrennt vom vorhergehenden
und folgenden Vers, eine klare Übersetzung und (mit wenigen
Ausnahmen) ein spezielles Literaturverzeichnis, gelegentlich eine
kurze Erörterung des Zusammenhangs des Verses im Kontext, in der
Hauptsache aber eine Diskussion der Wortbedeutung der vorkommenden
Vokabeln unter Anführung zahlreichen Vergleichsmaterials
, eine Aufzählung der Zeugen für differierende Lesarten mit
Festlegung des Textes und eine Darlegung religionsgeschichtlichen
oder allgemcingeschichtlichen Zusammenhangs der in dem Vers enthaltenen
Gedanken mit ebenfalls breitem Parallelmaterial; daneben
enthält das Buch 1 1 Exkurse über Themen wie Schriftbenutzung,
Christologie, Hohepriestervorstellung, Glaube, zweite Buße usw. im
gesamten Brief, auf die häufig zurückverwiesen wird. Gegen ein derartiges
exegetisches Vorgehen ist natürlich grundsätzlich nichts einzuwenden
, und auch das kann man als lehrreich ansehen, daß B. bei
der Erörterung exegetischer Differenzen sich nicht nur auf die neuere
Literatur bezieht, sondern auch immer die Meinung der wichtigsten
Kirchenväter, des Thomas von Aquin, des Erasmus, der Reformatoren
und einiger älterer Kommentare anführt, wodurch freilich die
Liste der lür eine Meinung und Gegenmeinung angeführten Autoren
oftmals übermäßig lang wird (so etwa zu 13, 9, S. 461. 464). Diese
Breite wird aber bei der Erörterung der Wortbedeutungen, des Sprachgebrauchs
und der Textkritik sinnlos. Zu jeder Vokabel findet sich der
(doch selbstverständliche!) Hinweis auf „Bauer" und gegebenenfalls
das Theologische Wörterbuch mit Angabe des Autors (oder der Autoren
), dann eine lange Liste der verschiedenen Bedeutungen und Verwendungsarten
der Vokabel mit zahlreichen Fundorten, jedoch nicht
auf die im betreffenden Kontext überhaupt möglichen Bedeutungen
beschränkt und durch die seltsamsten Zusammenstellungen ergänzt.
Dafür drei beliebig herausgegriffene Beispiele Welchen Nutzen für
das Verständnis des Hebräerbriefs haben die Feststellungen, daß pas
gar im Hebr mehrfach, bei Paulus nicht begegnet, während Paulus
andere pü.s-Formen mit gar verbindet (zu 5,1), daß mäte-mäte nur
Hebr 7,3 begegnet, „im NT noch Synoptiker Ag Deut-Paulus Jk Apk;
Paulus und Joh nicht", schließlich die Aufzählung aller neu-
testamentlichen Stellen, an denen Timotheus erwähnt wird (zu
13,23)? Diesem Überfluß nutzloser Aufzählungen zum Wortgebrauch
entspricht die Häufung von Aufzählungen zu Vorstellungen und
Sachen. Auch dazu drei Beispiele: In 5,14 ist die Rede von der
hixis = Beschaffenheit der Sinnesorgane, dazu werden in 14 Zeilen
Belege für eine Fülle von negativen und positiven Fertigkeiten und
Zuständen aufgezählt, die mit diesem Wort gekennzeichnet werden:
in 11,22 ist vom Sterben (teleutän) des Joseph die Rede, dazu bietet
Braun eine Liste von Personen, von deren Sterben in der Bibel und
darüber hinaus mit diesem Wort gesprochen wird; und zur Erwähnung
des Timotheus in 13,23 wird nicht nur darauf verwiesen,
daß es sich um einen hellenistischen Eigennamen handelt, es werden
auch alle Stellen der Makkabäerbücher und des Josephus aufgeführt,
an denen ein „antijüdischer Feldherr dieses Namens in den Makka-
bäerkriegen" vorkommt. Wiederum fragt man sich: Wozu ist das
nütze? Zu diesen Listen zum Wort- und Vorstellungsgcbrauch kommen
nun aber umfangreiche textkritische Erörterungen, doch nicht
nur dort, wo ernsthaft über den Urtext diskutiert werden kann, sondern
überall, wo irgendwelche Varianten begegnen, und dabei werden
nicht nur die bei Nestle-Aland oder im „Greek New Testament" an-