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Ausgabe:

1986

Spalte:

583-584

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

De Vries, Simon John

Titel/Untertitel:

1 Kings 1986

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Seite 1

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583

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 8

584

werden. Wenn Vf. zu 5,17ffschreibt, daß der Deuteronomist darin die
Erfüllung der Verheißung von 3,18 sah, so mag das richtig sein. Auch
daß deuteronomistisches Denken die Zeit Davids als glorreiche Vorbereitung
für die Erfüllung alter Verheißungen beurteilte, mag, wenn
auch nicht ohne Bedenken, gelten (S. 251 zu Kap. 8). Aber sahen
nicht die Zeitgenossen auch schon ein Stück Erfüllung? Was haben sie
gedacht? Sie lebten ja nicht in einem dunklen Loch, das erst vom Dcu-
teronomium her Licht bekommen mußte. Wäre es so gewesen, hätten
sich schwerlich Überlieferungen gebildet.

Auf dieser deuteronomistischen Einflächigkeit wirken manche Erklärungen
fast fundamentalistisch, wenn z. B. S. 187 zu Kap. 6 vermutet
wird, daß in der langen Zwischenzeit die Liebe zwischen Mikal
und David erkaltet sei; oder zu 2,5 ff unterstellt wird, daß die Expedition
Abners die Antwort auf die Botschaft Davids nach Jabes Gilead
gewesen sei. Wenn die demagogische Liebedienerei Absaloms um das
Volk (15,3) psychologisch damit erklärt wird, daß Absalom die Entschlußunfähigkeit
des Königs ja am eigenen Leibe erfahren hatte,
bagatellisiert das die dahinter stehenden geschichtlichen Gründe, von
denen her vielleicht auch Licht auf die Frage „königtumsfeindlich -
königtumsfreundlich" fallt.

Gewiß hat der Deuteronomist mit seiner Gesetzlichkeit den Zeitgenossen
bedeutende Dienste geleistet. Aber das war ein zeitgebundener
Ausschnitt aus einem volleren Leben, und ist heute fast zu einer
Diskussion unter Fachgelehrten geworden. Die Verkündigung schuldet
in unseren Tagen mehr denn je die ganze Breite der spannungsreichen
Geschichte, von der die Bibel Zeugnis gibt.

Auch dafür habe ich dem Buch zu danken, daß es zu solchen Überlegungen
nötigt. So fasse ich als Ergebnis meiner Besprechung zusammen
: Es ist ein wichtiges Buch. Auch der nicht englisch sprechende
Fachgenosse kann nicht an ihm vorbeigehen. Es zur Kenntnis
zu nehmen ist für jede ernsthafte Weiterarbeit in den Samuelis-
büchern unerläßlich.

Basel Hans-Joachim Stoebe

DeVries, Simon J.: 1 Kings, Waco, Texas: Word Books 1985. LXIV,
286 S.gr. 8° = WordBiblicalCommentary, 12.geb.$ 19.95.

Die Arbeit an der neuen Kommentarreihe, deren erste Bände 1983
erschienen sind, geht zügig voran. Der hier anzuzeigende Kommentar
ist bereits der siebente ausgelieferte Band. Auch er beweist, daß die
Selbstbezeichnung "evangelical" (X) für diese Reihe nicht zu eng aufgefaßt
werden darf. Der Kommentar steht auf der Höhe der Forschung
, spiegelt den Stand der wissenschaftlichen Diskussion wider
und leistet selbst seinen Beitrag dazu. Der Vf. stützt sich dabei auf zwei
seiner Arbeiten: "Yesterday, Today and Tomorrow" (London 1975)
und "Prophet Against Prophet" (Grand Rapids 1978).

Ein rundes Fünftel des Kommentars nimmt der Einleitungsabschnitt
ein. Er handelt zunächst von der geographischen, kulturellen
, geschichtlichen und religionsgeschichtlichen Situation, die im
1 Kön vorausgesetzt ist. Vor der Erörterung der literarischen Fragen
und der Entstehungsgeschichte legt der Vf. eine theologisch-herme-
neutische Reflexion über die Besonderheit alttestamentlicher Geschichtsbetrachtung
ein. Unter dem Haupttitel "Sacred History as
Theological Testimony" geht er dem biblischen Verständnis von Geschichte
und dem theologischen Zeugnis der biblischen Geschichtsschreibung
(als Gottes Selbstoffenbarung im geschichtlichen Ereignis)
nach und unterscheidet schließlich zwischen "history" (als "factual
occurence and accurate reporting") und "historicality" (als "self-
awareness in historical existence", XXXVI). Solche Erwägungen, die
nicht gerade oft in Kommentaren anzutreffen sind, wird der Benutzer
sicher begrüßen, auch wenn er - wie der Rez. - erhebliche Zweifel an
der Sachgemäßheit mancher Gedankengänge und Formulierungen
anmelden muß.

Unter dem Titel " 1 Kings as a Literary Composition" stellt der Vf.
die Diskussion um das Deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG)

dar, kennzeichnet die Arbeitsweise der dtr. Kreise, hebt ihre theologischen
Leitgedanken hervor und charakterisiert die verarbeiteten
Quellen. Obwohl er eine substantielle Einheitlichkeit des DtrG als unhaltbar
beurteilt, lehnt er auch eine Dreiteilung in DtrH, DtrP und
DtrN als zu weitgehend und methodisch fragwürdig ab. Er selbst bevorzugt
das Modell einer zweiphasigen Entstehung des DtrG: Fixierung
in der Zeit Josias, Neubearbeitung um 550, v. Chr. im babylonischen
Exil. (Seltsam, daß der Initiator der These, F. M. Cross, in diesem
Zusammenhang nicht genannt wird!) In der Auslegung spielt
diese Differenzierung aber kaum eine Rolle. Exkurse über die Chronologie
der Könige von Israel und Juda (im wesentlichen nach E. R.
Thiele) sowie über Komposition und Redaktion der Elia-Erzählungen
sind an passender Stelle in die Kommentierung eingelegt.

In seinem Aufbau ähnelt auch dieser Band stark dem Ncukirchener
„Biblischen Kommentar Altes Testament". Den Literaturangaben,
deren Wert durch nicht selten fehlende Seitenzahlen allerdings gemindert
wird, folgen Übersetzung und textkritische Anmerkungen.
Letztere sind ungewöhnlich umfängreich; Rez. kennt keinen Könige-
Kommentar mit einem derart breiten textkritischen Apparat. Dabei
geht es fast ausschließlich um LXX-Varianten des Vaticanus oder
Lucians, denen der Vf. hohen Wert für die Rekonstruktion des ursprünglichen
Textes beimißt.

Erfreulich ist dabei der saubere und nahezu fehlerlose Druck (aber
vgl. 190, 221, 250) der hebräischen und griechischen Wörter; nicht
gleichmäßig überzeugend sind die recht weitgehenden Textänderungen
.

Unter "Form/Structure/Sctting" wird zunächst eine Übersicht
über den Textaufbau geboten, der zugleich die Schichtung des Abschnitts
bequem erkennen läßt. Außerdem beschreibt und diskutiert
der Vf. hier die wissenschaftliche Beurteilung des Textes.

Unter "Comment" folgen Einzel- und Zusammenhangsexegese.
Sehr unterschiedlich verfahrt der Vf. mit der abschließenden "Expla-
nation", geht hier aber nicht selten auf das Neue Testament und die
christliche Interpretation des jeweiligen Textesein.

Ein Grundzug des Kommentars ist seine Ahneigung gegen Spätdatierungen
bzw. gegen die Konstatierung geschichtlicher Fiktionen.
Im Besuch der Königin von Saba (10,1-13) wie im Auftreten des
judäischen Propheten in Bethel (13,1-32) werden alte Traditionen
und geschichtliche Grundlagen ausgemacht. Als Wurzeln der Tradition
von Salomos Weisheit gelten die richterliche Weisheit und die
wahrscheinliche Existenz, einer höfischen Weisheitsschulc, während
die Beherrschung der enzyklopädischen Weisheit (5,9-14) zum nach-
exilischen Salomobild gehört. Die unglaublich hohen Zahlen für den
täglichen Bedarf des Hofes in 5,2f erscheinen dem Vf. als "entircly
believable" (73). In den Kap. 17-22 erkennt der Vf. - abgesehen von
den Rahmenformeln - nur minimale Spuren dtr. Redaktion, sieht hier
vielmehr einen "Jehuitc redactor" am Werke. Zu 17,8-16.17-24
werden die parallelen Berichte in 2Kön 4 zwar genannt, aber nicht
diskutiert. Problematisch erscheinen dem Rez. Übersetzung und Erklärung
von 19,20b und 20,34. Auch die Wiedergabe von „Elia der
Thisbit" mit "Elijah the settler" dürfte kaum sonderlich überzeugen.
Eher glaubt man schon, daß der in den Kap. 20 und 22 ursprünglich
gemeinte König Israels nicht Ahab war, sondern Joram. Die Erzählung
von Kap. 21 stellt ein Stück politischer Propaganda aus der
Zeit der Jehu-Dynastie dar; ihren Abschluß bilden die Verse 27-29.
Kap. 22 beurteilt der Vf. als kunstvolle Kombination zweier ursprünglich
selbständiger Erzählungen aus der Zeit um 800 bzw. um
700 v. Chr.

Der Kommentar endet mit dem Abschluß des 1 Kön. Angesichts der
wenig glücklichen Trennung zwischen den beiden Könige-Büchern
muß man fragen, ob es eine gute Entscheidung war, die Kommentierung
des 2Kön einem anderen Bearbeiter (T. R. Hobbs) zu übertragen
. Aber nicht nur aus diesem Grunde darf man auf den neuen
Band gespannt sein.

Marburg (Lahn) Winfried Thiel