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Ausgabe:

1986

Spalte:

556-558

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schoen, Ulrich

Titel/Untertitel:

Jean Faure 1986

Rezensent:

Krügel, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

556

Kertelge. Karl [Hg.]: Die Autorität der Schrift im ökumenischen Gespräch
. Frankfurt/M.: Lembeck 1985. 83 S. 8° = Beiheft zur Ökumenischen
Rundschau, 50. Kart. DM 19,80.

Der Deutsche Ökumenische Studienausschuß dokumentiert eine
Studientagung zur Autorität der Schrift von 1982. Die Beiträge aus
orthodoxer (I), katholischer (3) und evangelischer (3, einschl. cv.-
meth.) Feder wenden sich einer Thematik zu, die im ökumenisch-
theologischen Gespräch der jüngsten Zeit m. E. zu wenig Beachtung
gefunden hat. Die Brisanz der Amtsproblematik hat die ökumenisch
fundamentalere Frage nach der Bedeutung der Schrift für Existenz,
Wesen und Strukturen der Kirche beträchtlich überlagert. So kann
man nur wünschen, daß die hier vorgelegten Referate als Impuls für
den Dialog der Kirchen verstanden werden, sich der vorgegebenen
Einheit und dem gemeinsamen Auftrag auf Grund der Schrift zu stellen
.

Fünf Beiträge erläutern Aspekte des Schriftverständnisses: M.
Brecht. Zu Luthers Schriftverständnis; E. Lessing, Zum heutigen Verständnis
von Schrift und Tradition in der evangelischen und katholischen
Theologie; A. Kallis, Das Mysterium des Wortes. Zum
Schriftverständnis aus orthodoxer Sicht; J. Brosseder, Überlieferung -
ihre Bedeutung im Zusammenhang von „Schrift und Tradition"; Th.
Schneider. Christologie, exegetisch-dogmatisch. Methodische Erwägungen
aus der Sicht des Systematikers. Die letzten beiden Beiträge
wollen als praktische Bibelarbeiten beispielhaft darstellen, ob sich
..konfessionell bedingtes und gebundenes Schriftverständnis" eher
distanzschalfend oder verständnislördernd auswirkt (7): K. Kertelge,
Die paulinische Rechtfertigungsthese nach Rom 3,2 1-26; W. Klai-
her. Exegetisch-hermeneutischc Anmerkungen zu Rom 3,21-26 aus
der Sicht eines evangclisch-mcthodistischen Theologen. Da ohnehin
nicht aufalle Aspekte eingegangen werden kann, sei auf zwei Aufsätze
näher hingewiesen, die m. E. ökumenisch am meisten Beachtung verdienen
.

Kallis arbeitet den unterschiedlichen Umgang östlicher und westlicher
Kirchen mit der Schrift heraus und versucht zugleich einen
Brückenschlag zwischen beiden Traditionen. Die orthodoxe Betrachtungsweise
kennt keine Trennung von Wort und Mysterium. Die Einheit
liegt im Mysterium der Flcischwerdung Gottes begründet. „In
Analogie zu der Theophanie des Logos, die in einer gottmenschlichen
personalen Verbindung erfolgte, trägt auch die Wort-Offenbarung
Gottes in der Heiligen Schrift eine gottmenschliche Dualität". (45)
Von daher werden Fragen an eine Exegese gestellt, die in der Suche
nach „reine(r) geislige(r) Wahrheit" Wort Gottes und seine Einhüllung
radikal trennt bzw. sich ausschließlich auf „die philologische
Analyse der menschlichen Komponente" konzentriert (450- Das Verstehen
des Wortes Gottes ist „kein reiner Verstandesakt", vielmehr
„ein mystischer Vorgang der göttlichen Gnade" (49). Gemäß orthodoxer
Tradition steht für K. die pneumatische Dimension im Mittelpunkt
. Durch sie sind Schrift und Kirche in einem existenzicllen Verhältnis
miteinander verbunden und die Exegese vor einer Verselbständigung
bewahrt. Da sich Überlegungen zur Pneumatologie auffallend
durch fast alle Beiträge ziehen, kommt der Schlußfolgerung von K.
Gewicht zu. „Dieses Schriftverständnis der orthodoxen Kirche
könnte eine neue exegetische Dimension vermitteln, die für das gemeinsame
Hören des Wortes Gottes von grundlegender Bedeutung ist.
Die kultisch-liturgische und ckklcsialc Gebundenheit der Schrift und
ihre mystisch-pneumatische Auslegung könnte lür die historischkritische
Exegese eine Bereicherung sein, wenn sie von der notwendigen
Ehrfurcht.vor dem Wort Gottes begleitet würde. Die orthodoxe
Theologie andererseits könnte von der Bibelforschung des Westens
profitieren." (50)

Brosseder beschränkt sich in seiner Darlegung zur Übcrliclcrungs-
thematik vor allem auf die Frage nach der Beziehung von Überlieferung
und Kirche und der Überlieferung der apostolischen Tradition in
der nachapostolischen Überlieferung. Aber gerade damit greift der katholische
Systematiker den neuralgischen Punkt auf. Seine Aussagen

implizieren Rückfragen an die eigene Kirche und Ermutigung zum
Dialog. Das „sola scriptum" als Frage der Reformation nach dem
Normativen in der Kirche wird sachgemäß auf das „Christus allein"
zurückgeführt und durch das II. Vaticanum und die Wiedergewinnung
des biblischen ÜbcrlieferungsbegrilTs in seinem Wahrheitsgehalt
als bestätigt angesehen, während der Charakter der nachapostolischen
Glaubensüberlieferung immer noch einer Klärung bedarf. Br. setzt
dafür beim Gottesdienst als „Ort des Geschehens der Überlieferung"
ein. Lehre, Dogmen und Bekenntnisse werden dabei als Glaubensverstehen
abgehoben vom Glaubensinhalt bzw. Glaubensgrund: „Gott,
der sich in Jesus Christus uns zugewandt hat". (60) Undifferenziert
vom „Glaube(n) der Kirche" zu reden, macht Theologie nicht aussagekräftig
(59). Dem stellt Br. die Geschichte des Glaubensverstehens
- „die personale Struktur der Überlieferung" (61) - gegenüber.
„Unsere Vorfahren im Glauben sind erst dann ernstgenommen, wenn
sie nicht als leblose, erstarrte Formclvcrfertiger. sondern als lebendige,
engagiert den Glaubcn'bezeugcn Wollende gesehen undjx-griffen werden
. Nachapostolische Überlieferung in Lehre, Dogma und Bekenntnis
ist daher das eindrucksvolle, aber auch sehr menschliche Ringen.
Suchen und Mühen um das Verständlichmachen der Präsenz der
apostolischen Überlieferung." (60) Für die Gegenwart bedeutet das.
„wechselseitig den Glauben aus den gelcbten Zeugnissen" zu hören
und im „Zuhören auf die Menschen, die jetzt mit uns in der Kirche
Jesu Christi konkret versammelt sind, und zwar weltweit", zu leben,
denn „der Glaube kommt vom Hören" (62). Der signalisierte Mangel
an Fähigkeit und Bereitschaft zum Hören wird unter diesem Aspekt
zum Hinweis auf die unabdingbar ökumenische Dimension einer an
die Schrift gebundenen Kirche und damit zur Anfrage an unser
Kirchesein.

Kamenz I lans-Jochen Kühne

Ökumenik: Missionswissenschaft

Jean Fanre 1907-1967. Missionar und Theologe in Afrika und im
Islam, übers, u. dargestellt von U. Schoen. Götlingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1984. 207 S.gr. 87 Kart. DM 29,80.

In einem Geleitwort des mit Jean Faure gut bekannt gewesenen ehemaligen
Generalsekretärs der Eglise Reformee de France. Albert
Gaillard. heißt es: „Das Problem, das ihn . . . umtrieb. kann so gefaßt
werden: Wie findet der christliche Glaube seinen Platz im Dialog mit
den Religionen, deren Antwort verschieden ist, die aber mit demselben
universalen Anspruch auftreten?" (7). In Abwandlung der
bekannten Formel Anselms von Cantcrbury charakterisiert Vf. F. mit
dem Satz: „inter-fides quacrens intellcctum - zwischen verschiedenen
Glaubensweisen zerrieben sucht der Glaube nach Einsicht" (10).

F. präsentiert sich mit Sclhstironic. die ihn auch sonst auf wohltuende
Weise kennzeichnet, als „schrecklicher Liberaler" (9). Dabei
verleugnet er seine pietistische Herkunft nicht. Es handelt sich um
Pietismus calvinislischen Typs. Calvinistisch - besser müßte man. auf
die Dogmengeschichte der alten Kirche blickend, sagen: antiochc-
nisch - ist der eher philosophische als biblisch-theologische Grund-
Satz seiner Theologie, den er mit Begriffen Karl Barths, von dem er
sich in anderen Fragen jedoch distanziert, formuliert als das Axiom
der „vertikalen Diskontinuität zwischen Mensch - ob C hrist oder
Nicht-Christ - und Gott" (17). Dem entspricht dann logisch - darin
aber liegt der tiefste Ermöglichungsgrund für den intcrreligiösen Dialog
, wie F. ihn führen möchte - die Behauptung der „horizontalen
Kontinuität zwischen Christ und Nicht-Christ" (ebd.). Die „vertikale
Diskontinuität" erläutert F. mit dem Satz: „Gott hat sich inkarniert.
um sich dem Menschen zu nähern, nicht aber um etwas anderes als
Gott zu werden" (88). Wohl ist Jesus „das Ereignis", aber dieses Ereignis
bewirkt das Heil nur in der Weise, daß es dieses offenbart. Ein
„Werk Christi" im Sinn der klassischen Dogmatik läßt F. nicht gelten.