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Ausgabe:

1986

Spalte:

553-554

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Vancouver 1983 1986

Rezensent:

Althausen, Johannes

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553

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

554

Ökumenik: Allgemeines

Tancouver 1983. Zeugnisse. Predigten. Ansprachen. Vorträge. Initiativen
von der Sechsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates
der Kirchen in Vancouver, B. C./Kanada 24. Juli— 10. August
1983. Hg. von L. Coenen u. W. Traumüller. Frankfurt/M.:
Lembeck 1984. 218 S. 8" = Beiheft zur Ökumenischen Rundschau,
48. Kart. DM 19.80.

Seit langem werden Vollversammlungen des Ökumenischen Rates
der Kirchen auf dreierlei Weise dokumentiert. Es gibt den offiziellen
Berichtsband, eine dokumentierende Zusammenstellung von Ansprachen
und Reden sowie verschiedene persönlich verantwortete Berichte
. Es ist sehr verdienstvoll, daß der Verlag Otto Lembeck zu dem
von ihm veröffentlichten Berichtsband (Bericht aus Vancouver 1983)
auch wieder eine Sammlung der sehr unterschiedlichen Vorträge vorlegt
. Die Auswahl ist durchaus subjektiv. Sie will offenbar zeigen, daß
Vancouver eine Vollversammlung war. in der sich viele vieles erzählt
haben. Das Motto der Konferenz ..Jesus C hristus das Leben der Welt"
ist nicht so wie die Hauptthemen der früheren Weltkirchenkonfcren-
zen nur in Hauptvorträgen oder streng sachbezogenen Referaten bzw.
Dokumenten entfaltet worden. Hier war narrative Theologie am
^crk. Und über die unmittelbar auf das Thema bezogenen Zeugnisse
hinaus kommen weitere Reden zur gleichen Sache, etwa auch in den
Fachgruppen zum Abdruck. Das haben die Hgg. ganz schön einge-
'angen. Es hat den unerwarteten Effekt, daß man die Sammlung
hintereinander lesen kann - und vielleicht sollte - und dabei einen
kleinen Eindruck von der Interaktion der Vancouver-Teilnchmer bekommt
. Man entdeckt dann übrigens auch, daß es gelegentlich sogar
so etwas wie einen Dialog zwischen den Rednern gegeben hat. Der
Amerikaner Armstrong z. B. (S. I29IT) antwortet auf manche vorher
zu lesenden Angriffe gegen sein Land. Auch Frau Andriamanjato/
Madagaskar (S. 190IT) geht auf vorhergehende Beiträge ein. Diese
Lebendigkeit macht die Dokumentation auch dann reizvoll, wenn
■nan nicht unbedingt darauf aus ist, Dokumente zu studieren. Freilich
würde man sich gerade deshalb noch mehr Angaben über Herkunft
°der Standort dieses oder jenes Beitrages wünschen. Wohin gehört
z. B. der Vortrag von Frau Gnanadason „Der Kampf gegen das Tier"?
'S. I I5f) Die Hgg. erwarten offensichtlich, daß der Leser die vielschichtigen
Prozesse einer Vollversammlung in ihrer Struktur kennen
oder den Berichtsband zur Wegweisung jeweils neben sich liegen hat.
Gut ist, daß auch einige Anträge oder Initiativen von Delegierten
abgedruckt werden. In der Auswahl hat man an den deutschsprachigen
Leser gedacht.

Vancouver war so sehr eine Konferenz des spontanen Gesprächs,
daß man natürlich in einer solchen Dokumentation Dinge findet, die
sonst wenig berichtet werden. Dazu würde ich das Grußwort des hin-
duistischen Gastes Gopal Singh (S. I00IT) rechnen. Über weite Passa-
8en spricht hier nicht so sehr der Hindu, sondern der Vertreter eines
sudlichen Landes, der sich kritisch mit dem Norden auseinandersetzt.
Wenn das typisch ist für den interreligiösen Dialog (und muß man das
nicht bei einem Grußwort an so herausgehobener Stelle erwarten?),
haben wir vielleicht weithin ganz falsche Erwartungen gehabt und
haben wir vielleicht auch noch gar nicht genug bedacht, in welcher
schwierigen Rolle sich unsere christlichen Schwestern und Brüder in
den Ländern der dritten Welt befinden. Singh hat bei aller Liebenswürdigkeit
, mit der er seine Dankbarkeit bei den Gastgebern abstattet,
eine Menge versteckter Kritik angebracht. Das macht das Gespräch
'ebendig. Aber ob durch die von ihm angeschnittenen Fragen der
e,Was in die Sackgasse geratene interreligiösc Dialog, soweit der ORK
daran beteiligt war. wieder in Gang kommt, darf bezweifelt werden.

Der offene Brief evangelikalcr Vancouvcr-Tcilnehmcr und das anschließende
Minderheitenvotum daz.u(S. 207ITund 212 IT) müssen auf
den unbefangenen Leser etwas schockierend wirken. Mindcrheitcn-
voten hat es bei Konferenzen dieser Art immer mal gegeben. So etwas
greift aber nicht mehr, wenn von Konferenz, zu Konferenz, die gleichen

Argumente vorgetragen werden und sogar Vergleiche angestellt werden
, wie es schon besser geworden sei oder eben gerade nicht. Natürlich
war Vancouver, das wird auch literarisch deutlich, pluralistisch.
Aber eben deshalb geraten Kritiker, wie sie sich hier darstellen, eher in
den Verdacht der Besserwisserei oder des Separatismus, als daß man
sie hören möchte. Indes ist es sicher immer wieder nötig und nützlich,
den biblischen Bezug ökumenischer Arbeit einzuklagen.

Die Ausschnitte aus der Fachgruppenarbeit betreffen nicht alle
Themenberciche. Warum man so ausgewählt hat. wäre möglicherweise
für den Leser interessant gewesen, zumal sich die jeweilige
Arbeitsweise der Fachgruppen aus dem Berichtsband auch nicht recht
rekonstruieren läßt. Man könnte das brauchen, weil manche Beiträge
über Vancouver hinaus kaum Interesse finden werden. Ausnahmen
davon sind die Reden von Deschner (S. I 33 IT). Falckc (S. 171 ff) und
bei den Unterthemen die von Borovoy (S. 65IT) und Pronk (S. 76ff).
sowie die schöne Meditation über Rublevs Trinitätsikonc (S. 73 IT).

Die Einführung, die Deschner für die Fachgruppe 2 „Schritte auf
dem Weg zur Einheit" gegeben hat. ist eine umfassende Standortbestimmung
der ökumenischen Bewegung. Die Analyse ist sehr optimistisch
. Ich kann mich dem nur zögernd anschließen. Den Kirchen-
unionsverhandlungcn gegenüber ist Euphorie u. E. picht am Platze.
Sind all die Erfolge, die man statistisch aufzählen kann, wirklich
schon über die Schwelle der nur kosmetischen Operationen am gespaltenen
Leibe der einen Kirche hinausgekommen? Und was beschert
uns die Rezeption der Lima-Dokumente? Wenn schon verbauter
mehr Divergenz als Konvergenz, erkennbar wird, muß nicht die
Beschäftigung damit und das Bewußtwerden solcher Divergenzen die
u. U. schon gewonnenen Beziehungen zwischen Kirchen schwerer
machen? Zugegeben - in Vancouver konnte man noch nicht so viel
wissen wie heute. Aber man wird bei Deschner wie bei manchen aktuellen
Verlautbarungen den Eindruck nicht los. daß sie von Zweckoptimismus
diktiert werden.

Vorschläge und Leitlinien für die Arbeit der Fachgruppe sollte der
Referent sicher nicht geben. Um so bedeutungsvoller ist sein betonter
Hinweis darauf, daß kirchliche Einigungsbemühungen ihre eigentliche
Relevanz erst bekommen, wenn sie im menschheitlichen Horizont
gesehen werden. Man redet in diesem Zusammenhang gern so
ähnlich wie Vatikanum II von der Zeichenhaftigkeit kirchlichen
Geschehens. Deutlich muß aber sein, daß nicht die Kirche das Zeichen
ist, sondern das Kreuz Christi. Mir scheint, die eigentliche Arbeit
an diesem Thema liegt noch vor uns.

Die Vollversammlung in Vancouver hat - übrigens auch durch
Deschner angeregt - den Bundesschluß-Gedanken neu in die Einheitsdebatte
aufgenommen. Angesichts der Debatte um die Einheitsmodelle
„versöhnte Verschiedenheit" und „konziliarc Gemeinschaft
" ist das eine gewisse Weitcrführung. jedenfalls wenn man die
Dynamik dieses Modells nicht auch wieder übersieht. Die Fachgruppe
hat einen Aufruf an die Mitgliedskirchcn ergehen lassen. Die
Delegierten haben 1983 selbst einen Anfang gemacht. Die Sammlung
druckt einen Appell ab, der unter ihnen entstanden ist. Vancouver
war an Impulsen stark. Die ökumenische Bewegung hat an Kraft gewonnen
. Aber was ein Bund ist. sollte noch deutlicher gesagt werden.
Die Fachgruppe hat einige Andeutungen gemacht, (vgl. Berichtsband
S. I 16fTT Die Solidarität mit den Armen, Unterdrückten und Benachteiligten
ergibt sich aus dem von Gott gesetzten Bund. Die hier zu besprechende
Sammlung gibt einige Zeugnisse wieder (Bolivien und
Pazifik), die herausfordernde Stimmen laut werden lassen. Südafrika
wird in dieser Dokumentation eigentümlicherweise herausgelassen.
Boesaks Referat steht im Berichtsband und konnte hier fehlen. Aber
wäre Tutus Rede nicht auch wichtig gewesen? Die Frage sei erlaubt,
ob die Hgg. hier womöglich auch bewußt abgewählt haben.

Insgesamt kann man froh sein, diese Dokumentation lesen zu können
. Die Teilnahme an der Konferenz wird dadurch nicht ersetzt
Aber man bekommt Anteil an ihrem Denken und wird zum Mitmachen
herausgefordert.

Berlin Johannes Althausen