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Ausgabe:

1986

Spalte:

552

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Was sagen die Leute, wer ich sei? 1986

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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tag lediglich ein schichtspczifischer Teil der Jugend vertreten war und
von einer Gesamtrepräsentanz keine Rede sein kann. Das Interesse
der „oberen Bildungsschicht" am christlichen Glauben, das sich derart
abzeichnet, stellt zwar alles andere als ein Negativphänomen dar,
weist es doch darauf hin, daß eine Aufarbeitung des Gegensatzes
zwischen aufklärerischer Bildung und Christentum geleistet bzw. im
Gange ist. Andererseits wird freilich nur einmal mehr deutlich, daß
die Arbeiterjugend weitgehend abseits steht und der aktive Protestantismus
auch im Jugendbereich nach wie vor wesentlich von der sozialen
Mittelschicht getragen wird.

Weitere Erhebungsergebnisse sind u. a.: die deutliche Verankerung
der jungen Kirchentagsbesucher (85 %) in tkr Gemeinde (also keine
Unterwanderung durch politische Zielgrupifen), wobei jedoch 51 %
(von 100 %) lediglich „ein paarmal" oder „eigentlich nie" den Gottesdienst
besuchen - das mehrheitliche Votum (60%) für eine klare,
politisch-konkrete Stellungnahme der Kirche zur Friedensfrage und
zum NATO-Doppelbeschluß (das Gegenvotum für Zurückhaltung
macht nur 14 % aus, der Rest bekundet Unsicherheit) - die überwiegend
„fragende Grundbefindlichkeit" gegenüber den kirchlichen
Glaubenspositionen (nur eine Minderheit vertritt strikte Verbindlichkeit
biblischer Aussagen und kirchlicher Lehrsätze) bei weitgehender
Übereinstimmung im Prinzipiellen. Die empirische Analyse, deren
Vielschichtigkeit hier unmöglich wiedergegeben werden kann, stellt
eine kirchensoziologische Untersuchung von fachlichem Rang, echter
Repräsentanz und bemerkenswerter Aussagekraft dar. -

Das Anziehende für die Jugend am Kirchentag ist, wie die Untersuchung
klar erkennen läßt, sein „neuer Stil" (Schnath), der ohne
Zweifel entscheidend dazu beitrug, das Besuchertief zu überwinden.
Dieser „neue Stil" wird vor allem durch aktiv partizipatorische Elemente
(z. B. Markt der Möglichkeiten. Forumsveranstallungcn usw.)
und durch ganzheitliche Angebote, die den emotionalen Erfahrungsund
Erlebnisbereich einbeziehen (etwa „Liturgische Nacht", „Abendgebet
zur Sache", Feierabendmahl usw.) bestimmt. Demgegenüber
begegnet man jenen Elementen, die einstmals den „alten Stil" des
Kirchentages entscheidend prägten und etwa in den fünfziger Jahren
höchst anziehend waren, mit deutlicher Reserve. In seinem Beitrag
„Kritisches Engagement und neue Frömmigkeit" stellt Heinrich
W. Grosse fest: „Am stärksten abgelehnt werden Veranstaltungsformen
, die eine Ein-Weg-Kommunikation beinhalten: Predigt, Vortrag
, Podiumsdiskussion, Bibelarbeit. Offensichtlich lehnt die Mehrheit
einen lehrhaft vermittelten, dogmatisch formulierten Glauben
ab." (185) Recht eindeutig läßt die Auswertung erkennen, daß die
junge Generation der Kirche wenig vom überkommenen Zwei-
Reiche-Schema hält und auf dem Kirchentag das Gespräch über die
politischen und gesellschaftlichen Implikationen des christlichen
Glaubens dringend wünscht und sucht. Gerhard Rau resümiert hierzu
: „Analytisch gesprochen: Wir haben uns dem Syndrom einer
neuen politischen Religion oder einer religiösen Politik zu stellen."
(209) Dabei ist der Akzent aber zweifellos auf „neu" zu legen, handelt
es sich doch keineswegs um ein wiederaufgelegtes klerikalistisches
Konzept zur Erhaltung des Bestehenden, vielmehr um ein mitverantwortliches
Veränderungsdrängen, um Zukunft zu gewinnen, die als
gefährdet und bedroht erfahren wird. Obwohl dieses Bedrohungsbewußtsein
nicht nur durch die nukleare Hochrüstung bestimmt ist,
wurde der noch immer ungebremste Rüstungswettlauf als primäre
Herausforderung begriffen. Dementsprechend sind auch 3 der 12 Einzelbeiträge
speziell dem Komplex Jugend-Frieden-Kirchentag gewidmet
.

Als ein besonderer Vorzug des Bandes erscheint dem Rezensenten
die Koppelung der empirischen Analyse mit den folgenden Sachbeiträgen
. Durch sie tritt zum analytischen das reflektierende Moment
hinzu. Auch der persönliche unmittelbare Eindruck findet seinen
Niederschlag. Einzelne Überschneidungen und sachliche Wiederholungen
stören eigentlich kaum, sofern jedem Beitrag ein eigener spezieller
Reflexionsansatz eignet. Für den Praktischen Theologen (natürlich
nicht nur für ihn), der hinsichtlich des Vermittlungsproblems

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m. E. dem Pragmatismus verpflichtet ist. stellt die Veröffentlichung
u. a. eine Fundgrube von Anregungen für ein bedürfnisorientiertes
Handlungskonzept dar.

Leipzig Manfred Haustein

Grab. Wilhelm, u. Dietrich Kursen: Selbsttätiger Glaube. Die Einheit
der Praktischen Theologie in der Rechtfertigungsichre. Neukirchen
-Vluyn: Neukirchcner Verlag 1985. 96 S. 8 Kart.
DM 19,80.

Die Praktische Theologie (PTh) hat „kirchliches Handeln als ein
sich selber in der Struktur des Rechtfertigungsglaubens wissendes und
betätigendes Handeln zu ihrem Gegenstand" und daher eine Kommunikationstheorie
des Rechtfertigungsglaubens als ihre spezifische Aufgabe
. An den Beispielen von Daiber. Stollberg, Josuttis. Thurneysen
und Ch. Bizer zeigen die Vf., wie die Rechtfcrtigungslchrc bereits in
Konzepte der PTh aufgenommen wurde. Ihre eigene These, daß die
Rechtfertigungslehre den Aufbau eines praxisfähigen Subjekts beschreibt
, verifizieren sie an Luthers Traktaten „Von der Freiheit eines
Christenmenschen" und „Von den guten Werken". PTh hat es mit
einem Handeln zu tun, das auf die Herausbildung einer vom Glauben
bestimmten Subjektivität und damit auf die Ermöglichung von Freiheit
aus ist, die in der Gemeinde Gestalt findet. Der Ansatz beim
Rechtfertigungsglaubcn richtet sich nicht gegen die empirische Orientierung
der PTh und ihr Verständnis als Handlungswissenschaft, aber
erst eine theologische Bestimmung des Handlungsbegrilfs macht
diesen auch praktisch-theologisch verwendbar. Die Auseinandersetzung
mit Daiber, Dahm, Otto, Rössler, H. Luther und Lämmermann
ergibt, „daß eine Verständigung über den Objektbereich, den
die Praktische Theologie zu bearbeiten hat, gar nicht erzielt werden
kann, solange von den Bedingungen abgesehen wird, unter denen er
sich allererst als solcher konstituiert" (72). Das von der PTh zu bedenkende
Handeln muß „seines wahren Bestimmungsgrundes ansichtig
werden und von ihm her sich aufbauen" lassen.

E.W.

Weber. Harlmut [Hg.]: Was sagen die Leute, wer ich sei? Jesus und
seine Pfarrer. Stuttgart: Kreuz-Verlag 1985. 317 S. m. 45 Abb. 8".
Kart. DM 29,80.

Zehn Pfarrerinnen und 35 Pfarrer folgten der Bitte des Herausgebers
, zu erzählen wer Jesus für sie ganz persönlich sei. Mehrere
Autoren äußern Zurückhaltung gegenüber dem vorgegebenen Possessivpronomen
„mein" Jesus, doch alle sprechen offen von ihrer Beziehung
zu ihm. Dabei fallt das Gewicht der frühen religiösen Erlebnisse
auf. Das Studium findet überwiegend kritische Erwähnung, es
wurde kaum als Hilfe erfahren. Jesus persönlich zu begegnen. Jesus ist
„Bruder und zugleich Fremder", er ist „der integrierte Mensch", er
„hat viele Gesichter", „ist immer anders und größer", er grenzt sich
nicht ab, Unruhe geht von ihm aus. Daß Jesus die Hoffnung auf eine
menschlichere Welt erweckt und allen Enttäuschungen zum Trotz
aufrecht hält, zieht sich wie ein roter Faden durch die Beiträge. Zugleich
sagen die Zeugnisse Wichtiges über das Berufsverständnis ihrer
Verfasser aus. Deshalb ist das Buch ein narrativer Beitrag zur Pastoraltheologie
, ohne freilich das breite Spektrum der theologischen Positionen
und Frömmigkeitstypen repräsentieren zu können.

E.W.

Bieritz. Karl-Heinz: Abendmahl und Gemeindeaufbau (PTh 75. i486.
16-34).

Kirche „1985" und 2000 - Sammlung, Öffnung, Sendung. (iespräch Günter
Wirths mit Manfred Stolpe (Standpunkt 14. 1986.39-45).

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 7