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1986

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Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

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„übernatürlichen Sein.sgrundlagen der christlichen Sittlichkeit"
dar.

Die Einleitung: „Systematische und methodische Vorfragen"
(S. 1 7-33) definiert die Begriffe System und Methode und betont die
Begründung der Moraltheologie auf die (vorkonziliar-neuthomistisch
gedachte) Dogmatik (S. 31 ff). Ermecke unterscheidet eine „dreifache
Methode in der Moral" (S. 25). Die „positive Methode" interpretiert
das vom kirchlichen Lehramt definierte depositum fidei. Die spekulativ
-metaphysische Methode geht aus vom desiderium naturale der
Natur nach der Übernatur und von der potentia obcdientialis des
Menschen (S. 26). In der metaphysischen Methode geht es um einen
rationalen Beweis der sittlichen Motive mit Hilfe der Analogia entis.
Seine eigene Methode nennt der Vf. „spekulativ-mystisch": Sie geht
aus vom „neuen Menschen in seinem übernatürlichen Sein" und leitet
„aus dem neuen Sein als Vermählungseinheit von Natur und
Gnade die neuen Lebensgesetze" ab (S. 29). Auch die „mystische
Methode" bedient sich also ontologisch-metaphysischer Verfahren
und Kategorien.

Teil I „Das übernatürliche Sein als Grundlage des übernatürlich-
sittlichen Wirkens" bietet die „Grundlegung" in 6 Kapiteln
(S. 35-241). Im Anschluß an M. Scheebens Verständnis vom Verhältnis
von Gnade und Natur als Einheit im übernatürlichen Sein des
Menschen (S. 37ff) wird die platonische Idecnlchre (S. 41) mit ihrem
Urbild-Abbild-Schema für einen „christlichen Exemplarismus divi-
nus" beansprucht, wie ihn Augustinus und Thomas versucht haben.
Der Mensch ist Teilhaber der Gnade, als Beleg dafür steht allein
2 Petr 1,4: „partieipatio divinae naturae" (S. 43, vgl. S. 327, die meist
zitierte Bibelstelle!). Rechtfertigung ist substantielle Teilhabe an der
göttlichen Gnade, Scinstcilhabe. Neben dem Teilhabebegriff sind der
„Bildbegriff und die Bildwirklichkeit" (S. 57ff) zentral: „die Ideen
sind nur als geschöpfliche Gottes- oder Logosgedanken ideale Dauerbilder
; reale Daucrbilder sind nur die Geschöpfe, auf die sie sich
beziehen" (S. 63). Die pneumatische Gegenwärtigkeit des göttlichen
Seins wird vermittelt durch das sakramentale Wirken der Kirche. Das
„Wesen des übernatürlichen Seins der Christen" besteht im „sakramentalen
Charakter" der „Gleichgestaltung mit Christus" oder der
„Christusbildlichkeit" (S. 80). „Die Steigerung der Christusbifdlich-
keit erfolgt durch die charakterprägenden Sakramente" (S. 103).
Diese These führt Ermecke dann anhand der sieben Sakramente im
einzelnen durch (v. a. S. 164IT): Was bedeuten vor allem „Taufcharakter
" und „Firmcharakter" für christliches Sein als Seinsteilhabe
des Christen an der Christuswirklichkeit in Form einer „Wirkungsteilhabe
" (S. 112)? Dazu kommt die häufig zitierte Lebensaufgabe
der „Christusgestaltung der Welt": „lnstauratio omnium in
Christo" (Kol 3,11) (z.B. S. 129ff). Der Mensch ist bestellt zum
„Consecrator und Vollender der Dinge" (S. 130; „Konsekrationsoder
Heiligungsmoral", S. 203). Demgemäß erneuert Ermecke die
konventionelle katholische Sicht von den in der Seele kraft der „habituellen
Gnade" „eingegossenen übernatürlichen Tugenden"
(S. 131 ff). Weitere Explikationen dieses Ansatzes sind die Ableitung
der „moralischen Christusnachfolge" von „der ontischen Nachfolge
Christi oder gnadenhaften Gleichgestaltung mit Christus" (S. 150),
das sittliche Beispiel der Heiligen (S. 152fF), die sittlichen Pflichten
des Christen als Standespflichten (S. 162ff) entsprechend dem Stand
des Getauften, des Gefirmten, des jungfräulichen Standes (S. 178ff)
und des Ehestandes (S. 183-185; Als Vorbild dient die hl. Familie von
Nazareth), des „amtspriesterlichen Christen" (S. 185ff). Die
zwischenmenschlichen Beziehungen werden im Harmoniemodcll der
Familie („Familiarismus" S. 198, vgl. S. 298ff v. a. S. 301: Auferbauung
der „Familiengemeinschaft" durch „sittlich gute Familienglieder
", 31 7) gesehen. Die Konflikte der Welt hleiben in dieser von
der Berufung des Christen in Christus zur „Mit-Konsekration' oder
Heiligung der Welt" (S. 203) entworfenen Fundamcntalmoral
unbeachtet. „Der übernatürlich-sittliche Akt in sich betrachtet"
(S. 21 Off) deutet die „übernatürlich-sittliche Entscheidung des Christen
" als Erweckung von Christusgedanken und Gottesgedanken und

Abkehr von Objekten, die „Christus- und gottwidrige Ungedanken
zum Ziel haben" (S. 217). Denn „die unmittelbaren Wirkeigenschaften
des übernatürlich-sittlichen Aktes" (S. 230ff) sind als christusgemäße
„Akte" seinsgemäß und normgemäß.

Teil 11 „Die Bedeutung der Erkenntnisse der übernatürlichen
Seinsgrundlagen der christlichen Sittlichkeit für die Moraltheologie
als Wissenschaft" (S. 243-340) zieht aus der „Seins-, Wert- und Ordnungsmetaphysik
" Folgerungen für die christliche Moral. Leitbcgriffc
sind: Die Caritas als übernatürlich-sittliche Grundnorm (S. 246); das
„neue Gesetz" (S. 250); die Unterscheidung von sittlich Gebotenem
und Geratenem, also die traditionelle Unterscheidung zwischen prae-
cepta und consilia (S. 2530); die Mönchsgelübde (S. 259, vgl. S. 307);
die Kasuistik (S. 262fT), welche rehabilitiert wird; Wertverwirklichungen
und Todsünde (S. 266); die üherlieferte Sicht von Tugenden
(S. 281 0) und „Gesinnung" (S. 287); die ontische Teilhabe des
Christen am Gemeinschaftsleben der Erlösten in der Liturgie der Kirche
(S. 309). Ziel christlichen Lebens ist ein „christlicher Eudämonis-
mus", die visio beatifica als „voller Lebensgenuß". „Das Glück des
Menschen besteht in derseinshaften Vollendung in Christus" (S. 315).
Die sachlichen Einwände gegen diese Begründung der Moraltheologie
auf ontologisch begriffene „übernatürliche Seinsgrundlagen" sind
evident.

(1) Der Preis für die „deduktiv-transzendente Betrachtungsweise"
(S. 325) und die Grundlegung der Ethik in einer Metaphysik ist ihre
völlige Abstraktion von den realen ethischen Prohlcmen und Fragen.
Die These, die Vorliebe für platonische Gedankengänge und eine
spekulativ mystische Bestimmung des Seins und Lebens des Christen
werde von der „Offenbarung selbst" (S. 327) gefordert, ist nicht zu
halten. Ob man ein „übernatürlich-sittliches Wertvorzugsgcsct/'"
(S. 274) formulieren kann, wonach Christusgedanken als „sittlicher
Wert" unter bestimmten Voraussetzungen „Weltgedanken" vorgehen
, ist höchst zweifelhaft. Die von G. Ermecke entworfene Onto-
logie und Axiologie beruht auf einer von Transzendentalphilosophie.
Existenzphilosophie und Sprachanalyse bestrittenen Wesensschau.
Sollte diese Philosophie die erkenntnistheoretische Grundlage christlicher
Moral sein, so wäre katholische Fundamcntalmoral auch philosophisch
von einer personal und situationsbezogen orientierten reformatorischen
Ethik prinzipiell geschieden.

(2) G. Ermecke bezieht sich zwar nur beiläufig auf die reformato-
rischc Theologie; Er will die klassische scholastische Auffassung von
der Verdienstlichkeit der sittlichen Werke, vom meritum de congruo.
erneuern (S. 316f; 335). Der „reformatorischc Supranaturalismus"
bedeute „die Unmöglichkeit einer offenbarungsgemäßen christlichen
Sittlichkeit" (S. 38). Dieser Behauptung muß man als evangelischer
Ethiker dann beistimmen, wenn der Autor die „ontische Christusnachfolge
" zur Voraussetzung „moralischer Christusnachfolge"
(S. 1 18) kraft sakramentaler Teilhabe erklärt, ohne den Glauben auch
nur zu erwähnen. Die sakramentale üntologie des Autors, die fast
naturhaft-physisch gedacht wird, und evangelisches Glaubensverständnis
sind unvereinbar. Ausdrücklich stellt er einen Gegensatz lest
zwischen der reformatorischen Lehre von der „personalen Glaubens-,
Vertrauensr und Liebeshingabc" und der katholischen Auffassung
von der „seinsmäßigen Verwandtschaft und Verähnlichung mit Gott
und untereinander" (S. 122). Wieweit diese Antithese auch aufgrund
des geschichtlichen hcilsgeschichtlichcn Denkens des Vaticanum 11
noch so aufrechtzuerhalten ist, wäre gesondert zu diskutieren.
Ermcckes Werk ist in Theologie und Ontologic vorkonziliar und läßt
keine Öffnung zum Dialog mit der Welt (Humanwissenschaften) und
mit der Ökumene erkennen. Ist das Erscheinen dieses Werkes 1985
nur Folge einer geistesgcschichtlichen Verspätung oder bereits
Zeichen nachkonziliarcr Wende?

Bonn Martin Honecker

Bayer, Oswald: Nachfolge-Ethos und Haustafel-Ethos (Theologische Beiträge
17, 1986.24-39).