Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

542-543

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Halkes, Catharina J.

Titel/Untertitel:

Suchen, was verlorenging 1986

Rezensent:

Gerber, Uwe

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

541

Theologische Literatur/eilung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

542

dabei steht den Autoren klar vor Augen, daß diese Aufgabe heute
umfangreicher denn je geworden ist. zumal die Perspektive im Forschungsgespräch
weltweit anzulegen ist. Zum andern will er über die
Bonhoeffer-Rezeption in dem spezifischen Zusammenhang der DDR
Rechenschaft ablegen. Zwar enthält der Band auch einen ungarischen
Beitrag und zwei von Autoren aus Prag, was damit zusammenhängt,
daß in diesem Band die Herausforderung für Theologie und Kirche
aus der Perspektive einer sozialistischen Gcsellschaflssituation
gesehen wird. Richtig scharf und deutlich werden die Konturen
jedoch allein im Blick auf die für die DDR charakteristischen Voraussetzungen
.

Mit der Lösung der genannten zweifachen Zielsetzung bietet sich
nun aher lür den Leser von außerhalb ein dritter Gew inn an. der gewiß
nicht geringzuschätzen ist. daß nämlich die heutige generelle Ge-
sPräehslagc in Theologie und Kirche in der DDR anschaulieh zum
Ausdruck kommt. Wohl konnten Intensität und Weite des Spektrums
der in der DDR betriebenen Theologie und des Gcmeindclebcns auch
bisher keinem Ausländer verborgen bleiben, der auch nur von ferne
die dortige Entwicklung verfolgt hat. Gleichwohl wird - jedenfalls aus
der Sieht eines skandinavischen Beohachters - manches plastischer
und eindrucksvoller, wenn hier ausgehend von Bonhocflcr und der
nie seinem Namen verbundenen Wirkungsgeschichtc sowohl systematische
Grundsatzfragen, kirehenpolitische Überlegungen nach
'^45 als auch mehr praxis-orientierte Erfahrungen erörtert werden.
Dabei werden sehr wohl Akzentunterschiede zwischen der lür die
DDR eigentümlichen Wirklichkeit und dem nordischen Luthertum
mit seiner mehr ungebrochenen volkskirchlichcn Tradition deutlieh.
Dieser Abstand muß jedoch recht verstanden als produktiv angesehen
Werden, u/eil er nicht nur nach einem lieferen Verständnis von theologischer
Wissenschaft und kirchlicher Praxis in der DDR seitens der
nordischen Theologen verlangt, sondern zugleich auch tiefgreifende
Rückfragen an die eigene Tradition in sich schließt. In diesem Sinne
'eistet der Band einen im wahrsten Sinn ökumenischen Dienst.

Der erste Abschnitt „Theologische Orientierungen'* bezeugt Vielfalt
und Tiefe in der von Bonhocffer angeregten Revision evangelischer
Theologie überhaupt, wie torsoartig BonhocfTers eigener
Neuansatz stellenweise im nachhinein auch anmuten mag. Martin
Holtmann diskutiert das Wirklichkeitsverständnis; W. Krötke analy-
s'ert die Christologicvorlesung; H. Müller gibt eine aktualisierte Neufassung
seiner bekannten These von Bonhocffer als Zeuge für eine
l^erygmatische Theologie in einer atheistisch-mündigen Welt.
N. Müller greift seine anderweitig publizierte Deutung der reforma-
'orischen Dialektik von Gesetz und Evangelium auf, um Bonhocffers
Aktual ität an seinem Umgang mit den hiermit verbundenen Grundsatzfragen
zu prüfen. Ferner stellt M. Uhle-Wettler BonhocfTers Gottesverständnis
in die derzeitige Diskussiönslage hinein. Sucht nun der
üeser das mit diesen Beiträgen skizzierte Spektrum systematischtheologisch
einzuordnen, entsteht jedoch eine schillernde Unstimmigkeit
in bezug auf eine sachgemäße Weiterführung des Bonhocffcr-
sehen Vermächtnisses. Selbst wenn man die ausführlichen anderweitiggedruckten
Deutungen der Autoren hinzunimmt, wird eine sol-
cbe Abwägung und Konfrontation keineswegs übersichtlich. Es
erscheint mit anderen Worten als ein Dcsideratum an den Sammelband
, daß die gemeinsame Berufung aufBonhocITer nicht eine direkte
Bezugnahme auf andere Bonhoeffer-Konzeplionen veranlaßt hat. Ein
solches kritisches Gespräch hätte wahrscheinlich einen erweiterten
Aulbau des Bandes mit Rückfragen und Antworten erfordert. Mit
emem derartigen Gespräch wäre jedoch sowohl dem hehandeltcn Anliegen
bei Bonhocffer, den Akzentunterschieden der vorgelegten Beilage
als auch dem Interesse des Lesers gedient gewesen.

Der zweite Hauptteil bringt Beiträge von J. Wiebering über Bon-
hoefTers V erhältnis zur lutherischen Sozialcthik; von D. Kraft und

Lohr über Bonhocffers Verständnis des Friedensgedankens. Ferner
ar|alysiert J. Ligus die Ekklesiologie. und J. Janossy behandelt das aus
Sc'ner Sicht Zukunftsweisende an BonhocfTers Erbe. R. Wagner
berichtet als Laie äußerst eindrucksvoll von Bonhocffers Bedeutung

lür das Leben in der Gemeinde. Schließlich hat G. .1. Kaltenhörn den
Horizont der Thematik erweitert, indem er Bonhocffer mit lateinamerikanischer
Befreiungstheologie verbinden will.

In dem dritten feil greift A. Schönherr mit seiner besonderen Autorität
als Freund Bonhocffers und kirchliche Leitergestalt historisch
zurück, um den seit 1945 beschrittenen Weg der evangelischen Kirche
in der DDR nachzuzeichnen. P. Filipi bringt einen homiletischen Beitrag
, woran sich K. Zehner anschließt, indem er Bonhoelfers Stellenwert
in den „Evangelischen Predigtmeditationen" aufzeigt. M. Kuske
diskutiert Bonhoelfers Verstehen des Evangeliums vom Alten Testament
her und J. Hcnkys bringt Hinweise auf Bonhoelfers Dichtungen
aus der Haftzeit. R. Bodensteins Aufstellung der in der DDR publizierten
Bonhoelfer-Texte sowie der Sekundärliteratur- rundet den
reichhaltigen Band ab.

Uber den bereits erwähnten Wunsch nach einer direkten Diskussion
im Autorenkreis hinaus möchte der Rezensent zur redaktionellen
Gestaltung bemerken, daß einige Überschneidungen, z. B. hinsichtlich
des Friedensgedankens sowie Bonhoelfers Entwicklung als Prediger
, vielleicht doch hätten vermieden werden können, sowie daß
eine ausführliche Vorstellung der Autoren zumindest dem nicht von
vornherein eingeweihten Leser von Nutzen gewesen wäre.

Ärhus Jens I lolger Schjorring

Malkes, ( atharina J. M.. Suchen, was verlorenging. Beiträge zur
feministischen Theologie. Aus dem Nicderl. von F. J. Lukassen.
Gütersloh; Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985. I 74 S. 8" =
GTB/Siebenstcrn,487. Kart. DM 14.80.

Schon der Titel dieses Arbeitsbuches weist auf den im Gang befindlichen
feministischen Such- und Veränderungsprozeß in den westlichen
Gesellschaften und Kirchen hin. Frauen sind es. die nicht mehr
nur „Emanzipation" als „Gleichberechtigung" im bestehenden
System von Kapital. Leistung. Konsum. Militär als Herrschaftsstrukturen
anstreben, sondern unter Rückgriff auf verschüttete biblische
Frauen-Befreiungstraditionen einen revolutionären Paradigma-
Wechsel lür die herrschende Männer-Gesellschaft einläuten (13).
Wohlgemcrkt: Es geht hier nicht um ein irrational-romantisches
Suchen der Blauen Blume und ihres verlorenen mythologischen Paradieses
(wie es manche Feministinnen anstreben); verdrängt und zum
Teil verlorengegangen sind die aktivierenden Erzählungen von
urchristlichen Frauen, von ihren Wegen mit Jesus und ihren Visionen
von Jesus seit dessen Auferstehung, provozierende Berichte von Leiden
. Krankheiten und Heilungen von Frauen, von Unterdrückungen
und Befreiungen von Frauen (29). Die Kirchen haben, so stellen
feministische Theologinnen und Theologen unschwer fest, wenig bis
nichts aus den biblischen Traditionen gelernt für die I lumanisierung
unserer Welt, für die Erhaltung unserer Mitwelt, lür die Verwirklichung
einer kommunikativen WeltgcscIlschafL Deswegen muß
Feministische Theologie zum Zuge kommen: „eine kritische Befreiungstheologie
, die sich nicht auf die Besonderheit der Frauen als
solche stützt, sondern auf ihre historische Erfahrung des Leidens, auf
ihre psychische und sexuelle Unterdrückung, Infantilisierung und
strukturelle Unsichtbarmachung infolge des Sexismus in den Kirchen
und in der Gesellschaft" (14). Dieser christliche Feminismus feiert
„als eine kritische, aber auch neuschöpfende Bewegung . . . ein Fest
der Transformation sowohl von uns selbst als auch der widerspenstigen
Strukturen von Kirche und Gesellschaft" (169. 173).

Diese Beiträge zur Feministischen Theologie enthalten sieben zu
verschiedenen Anlässen ausgearbeitete Texte: (I) „Feministische
Theologie im Gespräch" ist ein diskutierender Überblick, ein
Abgrenzungs- und Verständigungsversuch mit traditioneller und
bislang ausgearbeiteter Feministischer Theologie ohne positioneile
Einengungen, aber insofern parteilich (28, 120), als eben von Frauen-
Erfahrungen als Transformationskraß für den einzelnen, für Kirche
und Gesellschaft ausgegangen wird HIß). - (2) Blicken wir auf die
jüdisch-christliche Geschichte, dann stellen wir eine fortschreitende