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Ausgabe:

1986

Spalte:

537-538

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Bach als Ausleger der Bibel 1986

Rezensent:

Werthemann, Helene

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537

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

538

Christliche Kunst und Literatur

Petzoldt, Martin [Hg.]: Bach als Ausleger der Bibel. Theologische und
musikwissenschaftliche Studien zum Werk Johann Sebastian
Bachs. Hg. im Auftrag des Kirchlichen Komitees Johann Sebastian
Bach 1985. Berlin: Evang. Vcrlagsanstalt u. Göttingen: Vanden-
hoeck& Ruprecht 1985. 280 S. m. 1 Abb. 8-.

Es fällt nicht ganz leicht, das Buch „Bach als Ausleger der Bibel" zu
besprechen; denn es handelt sich dabei nicht um die zusammenfassende
Darstellung von Bachs Bibclauslegung aus der Feder eines einzelnen
Autors, sondern um 13 Aufsätze von 14 Autoren, die sich aus
ihrem je eigenen Fachgebiet der Theologie, der Musikwissenschaft
oder der Musik heraus mit Bachs geistlichem Werk auseinandersetzen
. Der Titel des Buches muß also als weiter Mantel verstanden werden
, unter dessen Schutz Teilbereiche beleuchtet, einzelne Werke
untersucht werden, ohne daß dabei auch nur annähernd gleiche
Methoden angewendet würden. Wer sich aber bewußt auf die Lektüre
des Buches einläßt, der wird mit Spannung von Aufsatz zu Aufsatz
weiterlesen und reichen Gewinn davon tragen, auch dort, wo er selbst
vielleicht anderer Meinung ist und darum das Gespräch mit dem
einen oder andern Autor aufnehmen möchte. Das ist wohl überhaupt
eines der großen Verdienste dieses Buches, daß es über alle Grenzen
hinweg theologische Bachforschung betreibt.

Das Anliegen des Buches ist ein doppeltes. Auf der einen Seite sollen
die von Bach vertonten Texte in ihrer eigenen Zeit und in ihrem
ganzen theologisch-liturgischen Zusammenhang verstanden werden.
Aul der andern Seite sollen sie aber auch dem Hörer von heute nahegebracht
werden. Es ist dabei die Hoffnung, daß sich diesem ein neuer,
freilich nicht mehr direkter, sondern nur vermittelter Zugang zu den
Texten eröffnet (S. 29)/

Die Aufsätze sind so angeordnet, daß sie. wie der Hg. in seiner Einführung
schreibt, vier Gruppen bilden. Im Kapitel I (Hermeneutik
der Texte) liegt das Gemeinsame der drei Aufsätze von Axmacher.
Leaver und Casper in ihrer konsequenten Bezogenheit auf die aus-
frgungsgeschichtliche Sicht bestimmter von Bach vertonter Texte. In
Kapitel 2 (Kontexte der Auslegung) thematisieren die drei Aufsätze
von Kirste, Blankenburg und Petzoldt theologisch-dogmatische
Eirundlagen. Von Spiritualität statt Mystik ist hier die Rede und von
Bachs verschiedenartigen, teils positiven, teils negativen Beziehungen
'f Orthodoxie. Pietismus und Aufklärung. In Kapitel 3 (Übereinstimmung
der Kontexte) gehen die drei Aufsätze von Wetzel. Zcllcr und
^inklcrden Ursprüngen der Kongruenz von Theologie und Musik,
von Glaube und Lobpreis nach. Dabei geht es um den Psalter und das
Kirchenlied sowie um die existenzielle Betroffenheit im kompositorischen
Prozeß. Die Betroffenheit des Hörers gibt Anlaß zur Analyse -
und dabei stößt er auf die Betroffenheit des Komponisten selbst („Ich,
Bach, der ich das hier mit meinem Name bezeuge, bin von der Weihnachtsbotschaft
genauso betroffen wie du, heißest du nun Seheibe,
Erncsti, Schulze oder wie auch immer!". S. 188). In Kapitel 4 (Hermeneutik
der Kontexte) geht es schließlich um die Bewältigung und den
Umgang mit der vergangenen Epoche und deren Auslegungen durch
heutige Bemühungen. In den Aufsätzen von Herchet/Milbradt, Bcrn-
stein, Bräutigam und Bornefcld äußern sich Kirchenmusiker über ihre
eigenen Erfahrungen im Umgang mit Bachs Werken und der daraus
erfolgten Reflexion des damaligen geschichtlichen Umfeldes. Musikalische
Analysen werden hier durch geschichtsanalytische und ge-
sehichtskritische Überlegungen ergänzt.

Die theologische Forschung an Bachs Werk spielt derzeit eine
gewichtige Rolle. Davon zeugt auch und gerade das Buch „Bach als
Ausleger der Bibel". Das hängt zum einen damit zusammen, daß man
s"-'h ganz ernsthaft Bachs theologischer Bibliothek zugewendet hat.
Klit Hilfe dieser Parallcltcxte wird das Verständnis vieler Kantaten
erleichtert oder sogar erst ermöglicht, eine Erkenntnis, zu der Elke
Axmacher Wesentliches beigetragen hat. Die Zusammensetzung von
Bachs Bibliothek läßt aber auch eine genauere Bestimmung seiner
geistig-geistlichen Heimat zu. Es ist die von Winfried Zeller beschriebene
„Reformorthodoxie"; denn es gab ja in der lutherischen Theologie
„einen Geist, der des Umweges über den Pietismus nicht bedurfte,
um Glaube und Frömmigkeit, Geist und Gemüt in der Religiosität
lebendig zu erhalten" (so Casper, S. 64). Ernst genommen werden in
der theologischen Bachforschung zum andern aber auch die liturgischen
Detailangaben in den Kirchenbüchern, z. B. von St. Thomas zu
Leipzig. Mit ihrer Hilfe läßt sich immer exakter der „Sitz im Leben"
der geistlichen Werke Bachs erkennen, ihr Platz und ihre Funktion
also im Vollzug des lutherischen Gottesdienstes sowie ihre Beziehungen
zum Dctempore des Kirchenjahres. Diese Quellen werden ausgiebig
benützt von Robin A. Leaver (Bachs Motetten und das Reformationsfest
) und von Christoph Wetzel (Die Psalmen in Bachs Kantaten
im Dctempore der Leipziger Schaffensperiode).

Da es im Rahmen dieser Buchbesprechung nicht möglich ist.
gründlich auf die 13 verschiedenen Aufsätze einzugehen, seien ein
paar ganz persönliche Bemerkungen erlaubt. Etwas Kritisches vorweg
: Nach meinem Empfinden sind einzelne Aufsätze nicht ganz
leicht verständlich geschrieben, lassen also eine gewisse Leserfreundlichkeit
vermissen. Das wiegt um so schwerer, als ja die weitgespannte
Thematik ohnehin verschiedene Fachsprachen mit sich bringt, deren
Verständnis man auch dem allgemein interessierten Leser erleichtern
und nicht erschweren sollte. So hat mich z. B. die Lektüre des Aufsatzes
von Reinhard Kirste (Theologische und spirituelle Ermög-
lichungsansätze für Bachs Werk unter besonderer Berücksichtigung
des Verständnisses von Wort und Geist bei Leonhard Hutter und
Johann Arnd) einige Anstrengung gekostet, und ich habe mich gefragt,
ob man gewisse wichtige und höchst interessante theologische Sachverhalte
nicht einfacher sagen könnte, auch wenn sie kompliziert sind.
- Da mein eigenes Schwergewicht bei der Theologie liegt, wage ich die
Interpretation von Bachs Weihnachtsoratorium durch Michacl-
C'hristfried Winkler (Momente existentieller Betrolfcnheit im kompositorischen
Prozeß. Einige Beobachtungen in einem Werke Bachs)
nicht zu beurteilen. Warum ist das Weihnachtsoratorium nicht genannt
, um das es sich doch handelt? Winkler weiß selbst, daß
„Deutungsversuche schnell dem Verdacht persönlicher Spitzfindigkeit
ausgesetzt sind" (S. 193). Ich bin von der Tiefe und Prägnanz von
Winklcrs theologischen Formulierungen fasziniert, aber ich gestehe,
daß es mir immer ein wenig bang wird, wenn man Bach in seiner
Komponierstube bei der Arbeit beobachten zu können meint. Daß
sich die Deutung auch einmal in einer falschen Richtung bewegen
kann, zeigt sich im Aufsatz von Christoph Wetzel über die Psalmen in
Bachs Kantaten. Hier wird die im Eingangschor der Kantate 25
instrumental vorgetragene Choralmelodie mit „O Haupt voll Blut
und Wunden" zusammengebracht und theologisch ausgewertet
(S. 1400. während in der Bachzeit doch das Lied „Herzlich tut mich
verlangen" damit assoziiert wurde oder allenfalls das zur Kantate 25
besonders gut passende Lied „Ach Herr, mich armen Sünder". Solche
Fehlinterpretationen könnten vielleicht eine Mahnung sein, nicht
alles verstehen und erklären zu wollen!

Auf der anderen Seite lebt die theologische Bachforschung - wie
jede andere Forschung auch - nur dank der Anwendung exakter
Wissenschaftsmethoden und inhaltlicher Deutungsversuche. Und sie
lebt vor allem dank der existenziellen Betroffenheit der sich mit Bachs
Werk beschäftigenden Menschen. Wer sich freilich dieser Musik aussetzt
, indem er sie spielt, analysiert oder deutet, dem kann geschehen,
was ein Musikhörer so formuliert hat: „Wenn man diese Musik ernst
nimmt, muß man sein Leben ändern" (S. 200). Ich meine, daß man
diesem Ausspruch nur zustimmen kann; denn Bachs Musik ist immer
„mehr als pures akustisches Ereignis" (S. 194).

Basel Helene Werthemann

Thiel, J. F.. u. Heinz Helf; Christliehe Kunst in Afrika. Berlin (West):
Reimer 1984. 355 S. m. 603 Abb. schw./w. u. färb. 4V Lw. DM 88.-.

In diesem schönen Bildband mit über 600 Abbildungen - davon
zahlreiche in Farbe - wird zum ersten Mal ein Gesamtüberblick über