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Ausgabe:

1986

Spalte:

529-530

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schnurr, Klaus Bernhard

Titel/Untertitel:

Hören und Handeln 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

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Seite 1

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529

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

530

Dogmen- und Theologiegeschichte

Schnurr. Klaus Bernhard: Hören und handeln. Lateinische Auslegungen
des Vaterunsers in der Alten Kirche bis zum 5. Jahrhundert.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1985. 290 S. gr. 8" = Freiburgcr
theologische Studien. 132. Veröffentlichungen der Stiftung Oratio
Dominica. Kart. DM 58.-.

Die Freiburger kath.-theol. Dissertation von 1984 kann sich auf 45
Arbeiten zur altkirchlichen Auslegung von Mt 6.9-13 stützen, die
Hermann Josef Sieben in der Fxegesis patrum (Rom 1983) zusammengestellt
hatte: Nr. 770-814 (vgl. ThLZ I 10. 1985. 128). Schnurr
zeigt sowohl die Vielfalt der lateinischen Väter wie auch deren „persönliche
Gestaltungskraft" (18). Der Titel „Hören und handeln"
erweist sieh als fruchtbares Ordnungsprinzip. Die Kirchenväter
..haben in ihrer Zeit den Versuch unternommen, sich von der Botschaft
des Vaterunsers betreffen zu lassen . . . aus dem Hören auf das
Wort der Schrift fordern sie auf zum Handeln aus dem Glauben" (18).
'4 Kapitel sind nach der gleichen Art aufgebaut: Nach einleitenden
Angaben über jeden Kirchenvater und sein Werk wird den einzelnen
Bitten des Vaterunsers nachgegangen. Man kann rasch feststellen, wie
'■ B. die Bitte „Unser täglich Brot gib uns heute" bei jenen Kirchen-
Vätern ausgelegt wurde. Das Inhaltsverzeichnis nennt die Bitten.
Kapitel 15 bringt Ergebnisse. Drei Gruppen von Auslegungen werden
unterschieden. Die erste Gruppe ist die größte und bringt „Auslegungen
, die initiatorisch-katechctischen Charakter haben (Tertullian.
Cyprian. Ambrosius. Augustinus' Erklärungen im Brief an Proba.
seine Predigten. Ps.-Augustinus, Chromatius. Cassian, Sedulius.
Petrus Chrysologus. Ps.-Quodvulldcus, Ps.-Chrysostomus und Ps.1
Chrysostomus latinus). hier liegt das Hauptgewicht auf der Hilfe zum
Leben aus dem Glauben" (277). Die 2. Gruppe von Auslegungen
haben einen „exegetischen Charakter im engeren Sinn" (Augustinus'
Bergpredigtauslegung. Flieronymus' Mt-Auslegung sowie die Vater-
anscrauslegung im opus imperfectum in Matthäum). Als dritte
Gruppe gibt es „F.rklärungen. die im Dienst theologischer Argumentation
stehen" (277). Die erste Gruppe steht oft in Bezug zur Taufe.
Bei der 2. Gruppe kann auch „der gclebte Cilaube im Mittelpunkt"
stehen. Kritisiert wird Hieronymus: „Er ist an philologischen Fragen
interessiert und weniger an der Umsetzung und am Fruchtbarwerden
der Sehrill im eigenen Leben" (280). Kritisiert wird die 3. Gruppe:
.Ihr Ziel ist nicht Lebensgestaltung aus dem Hören auf die Schrift,
sondern Argumentation im Ringen um das richtige Verständnis des
Glaubens" (280). Hier handelt es sich nicht um eine „Auslegung für",
sondern es ist eine „Auslegung gegen", das „theologische Streitgespräch
". Gemeint sind einzelne Schriften des Hieronymus und Augustinus
. Doch gilt auch fürdiese.3. Gruppe: Siegewinnt „ihre Aussagen
ftts dem Hören auf die Schrift im eigenen Verstehenshoriz.ont und
sucht ihren Sinn fruchtbar zu machen für die Diskussion, in der es ja
'etztendl ich auch und gerade um den Glauben geht" (281).

Reiches Oucllenmaterial wird erschlossen und übersichtlich gegliedert
. Auch weniger bekannte Kirchenväter kommen in den Blick.
Literatur ist umfassend eingearbeitet worden. Leider werden aber die
Jeweiligen Quellenabschnitte nicht wörtlich gebracht: nur eine stark
verkürzte Inhaltsangabe wird geboten. Statt der mitunter breiten
Erklärungen mit manchen Wiederholungen wären wörtliche Qucllen-
stückc lehrreicher gewesen. So wird Tertullians Auslegung zur Bitte
Wein Reich komme" in De oratione 5 auf nur 3 112 Zeilen verkürzt
Wiedergegeben. Sehn urr verwahrt sich dagegen, daß man Tertullian
Bier einen „rachsüchtigen Unterton" vorgeworfen habe (36). Hätte er
Jenes Kapitel wörtlich zitiert, so hätte er auch'die folgenden Sätze
Twtullians bringen müssen: „Es schreien ja die Seelen der Märtyrer
unter dem Altar mit Unwillen zum Herrn. Wie lange noch. Herr, wirst
du unser Blut nicht rächen an den Bewohnern der Erde? Denn die
Rache Für sie ist vom Ende der Welt abhängig!" Zu gering wird die
Bedeutung des Vaterunsers für Augustins Kampf gegen Pclagius eingeschätzt
. Die Scrmones 56-59 werden in die Jahre vor 410 verlegt.

„also vor die Zeit, in der Augustinus in die pelagianische Kontroverse
eingreift" (III). Dabei wird hier bei der Bitte „Und führe uns nicht in
Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen" die Sündhaftigkeit
der menschlichen Natur betont (1 180. Ein Bezug zum pelagianischen
Streit wird erst gesehen in De dono perseveranliae 429/430. Dazwischen
hätte ein Hinweis auf Brief 177 Platz linden können, den
Augustin 416 an Innozenz I. in Rom richtete. Darin stellte er seine
Sicht des Pclagius dar und verwies mehrfach in sehr aufschlußreicher
Weise auf die 5. und 6. Bitte des Vaterunsers. Die Bitte „Führe uns
nicht in Versuchung" zeigt, „daß, obwohl das Vorhandensein der
Willensfreiheit nicht bezweifelt wird, doch deren Kraft nicht ausreicht
, um nicht zu sündigen" (4). Die Bitte „Vergib uns unsere
Schuld" soll zeigen, „daß wir nicht ohne Sünde sind" (16). Kein
Christ darf die Behauptung wagen, für ihn sei die Bitte „Vergib uns
unsere Schuld" nicht mehr notwendig (18). Wertvoll sind die zusammenlässenden
Beobachtungen nach Augustinus, die besagen, daß es
„einen gemeinsamen Grundbestand von einzelnen Erklärungen bestimmter
Vaterunserbitten gibt", ohne daß man deshalb gleich auf
„literarische Abhängigkeit" schließen sollte (133). Man kann vielmehr
„von einer gemeinsamen katholischen Tradition sprechen"
(134). So überwiegt insgesamt die Freude an diesem inhaltsreichen
Buch, das auch als allgemeiner Einstieg in die lateinischen Kirchenväter
empfohlen werden kann.

Rostock (iert I laendler

Wyrvta. Dietmar: Die christliche Platorraneignung in den Slromateis
des Clemens von Alexandrien. Berlin-New York: de Gruyter 1983.
X. .364 S. gr. 8' = Arbeiten zur Kirchengeschichte. 53. Lw.
DM 84.-.

Die .Teppiche' des Klemens - ein in seiner Art einmaliges Werk -
bringen eine Fülle von Platon-Zitaten. Sie haben sehr verschiedene
Beurteilung erfahren und dem Vf. Vorwürfe wie die Verfälschung
Piatons oder die Überfremdung des christlichen Glaubens eingebracht
. W. unterzieht sich der Aufgabe, das genauere Verhältnis von
Klemens und Piaton zu untersuchen, wobei er den mühsamen Weg
beschreitet, jedes Platon-Zitat nach seiner Aussage im Kontext bei
Piaton zu befragen, festzustellen, ob bei Klemens diese Aussage beibehalten
oder wie sie abgewandelt wurde und weiterhin zu klären, inwieweit
diese Piatoninterpretation schon im Piatonismus vorbereitet
wurde. Der Vf. erweist sich dabei als vortrefflicher Kenner nicht nur
von Piaton und Klemens, sondern auch der mittelplatonischen Tradition
. Der große Aufwand an Arbeit hat sich gelohnt.

Schon die Feststellung des Vf. daß zwar äußerlich gesehen die
.Teppiche' zur Buntschriftstellerei gehören, ihre Intention aber eine
ganz, andere ist. lührt ins Zentrum. Die .Tcppiche' wollen nicht zerstreuen
und unterhalten, vielmehr dient die unsystematische Form
zur Verhüllung der höchsten Erkenntnis, die dem Würdigen. Vorbereiteten
vorbehalten ist. W. sieht zu Recht die eigentliche Parallele
dazu in Piatons Dialogen, die auch kein System bieten, sondern den
Lcseran die Erkenntnis heranführen.

Die Platon-Zitate erstrecken sich im wesentlichen auf Buch 1-6.
Der VI", zeigt einleuchtend, daß diese Zitate protreptisch gemeint sind.
Sie wollen den Leser zur Anerkennung der biblischen Offenbarung
führen. In Buch 6 wird dies als erreicht angesehen. Die Themen, unter
die W. die Zitate gliedert, lassen den Aufriß hinter der vordergründigen
Unordnung der Buntschriftstellerei deutlich werden: Werbung lür
das Christentum (I.Buch). Verteidigung des Christenstandes
(2. Buch). Kampf gegen die Häretiker (3. Buch). Seelsorge angesichts
des Martyriums (4. Buch). Hinführung zur Gnosis (4. u. 5. Buch), der
Diebstahl der Hellenen (5. u. 6. Buch).

Klemens hat Piaton übernommen, wo er ihn im Recht wähnte, er
hat ihn uminterpretiert, wenn es ihm richtig schien, er hat ihn übergangen
, wenn Piaton eine für Klemens unannehmbare Position vertrat
. Das ist in der Haltung zu Piaton begründet: Piaton hat Wahrhei-