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Ausgabe:

1986

Spalte:

522-524

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ludolphy, Ingetraut

Titel/Untertitel:

Friedrich der Weise 1986

Rezensent:

Kohler, Alfred

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. -7

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möchte M. durchaus festhalten. Dennoch: „Es entspricht vielmehr
allein der Wirklichkeit. . . . daß Luther und seine .Gegner' nicht auf
derselben Ebene wirksam werden" (158). Karlstadt. Müntzer, aber
auch Zwingli und die Wittenberger Mitreformatoren gehören nach
dem Urteil M.s auf die Ebene der Wirkungsgesehiehte. Diese Unterscheidung
der Ebenen erleichtert es M„ darauf hinzuweisen, daß
Luther ganz einfach aus grav ierenden theologischen Gründen nicht in
der Lage war. „die Verantwortung für eine Revolution zu übernehmen
" (179). Sie hindert ihn auch nicht, die Erkenntnis auszusprechen
, der Bauernkrieg habe ohne Luther „niemals das furchtbare
Ausmaß erreicht . . ., das er mit ihm geschichtlich erlangte"
(ebd.). Luthers Heirat widmet M. eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit
. Das entspricht der traditionellen katholischen Lutherliteratur.
Die Beurteilung dieser Ehe hat mit jener Tradition aber vollständig
gebrochen: Luthers Ehe „wurde zu einer der glücklichsten der
Christenheit. Sie stiftete das evangelische Pfarrhaus und wirkt bis
heute als Beispiel. Als von Gott gesegnete Liebe aber stärkt sie zugleich
die Liebe derer, die aus dem gleichen Grund auf die Ehe verziehten
" (183). Der Zeit nach I 525 wird von M„ wie bei den meisten
Biographen, das Sehlußkapitel zugewiesen (185-220). Für M. ist
Luthers Ehe. obgleich ein Höhepunkt seiner geistlichen Entwicklung,
zugleich ein äußeres Zeichen für eine „durch andere Ursachen begründete
Wende in Luthers Verhältnis zum Gesehehen der Reformation
. . . Luther steht im Begriff, sich auf den inneren Bereich der ihm
gestellten Aufgabe zu konzentrieren und die Vertretung seiner
Reform an 1 iegen nach außen .... ja den verfassungsmäßigen Ausbau
und die kirehenleitendc Funktion Tür die Wittenberger Reformation
mehr und mehr mit anderen "zu teilen, anderen zu überlassen oder
auch darin abgelöst zu werden" (185). Den längst anstehenden Streit
mit dem Humanistenfürsten Erasmus um die Zentralfragen des
Gottes- und Glaubensverständnisses mußte er selbst ausfeehten.
Luthers souveräne Position in dieser Sache ist mitbestimmt von der
• •.Wende", die wirksam wird in Luthers Leben" von dieser Zeit an.
und die eine Auswirkung der Uberzeugung ist. das .Ende' sei schon da
und der Antichrist sitze schon auf dem Thron. Deshalb bremste
Luther auch „alle weltbewegenden Aktivitäten" (187), ohne sich
andererseits ins Privatleben zurückzuziehen. Er „widmete . . . sieh
vielmehr mit großer Intensität der weiteren Reform des kirchlichen
Lehens im Bereich des Gottesdienstes und der kirchlichen Unterweisung
" (188). Luthers Beteiligung aber am Prozeß der Bckenntnis-
bildung trägt bereits die Züge der .Wende". „Die berühmte .('onfessio
Augustana' ist demzufolge ohne jede Mitwirkung, wenn auch nicht
ohne seine lakonische Zustimmung entstanden" (211). Im noch verbleibenden
anderthalben Jahrzehnt, in dem nach M.s Urteil „nichts
weltbewegend Neues mehr geschieht", geht „es buchstäblich nur noch
um .letzte Dinge . . .. obgleich sich natürlich auch noch vorletzte' ereignen
" (213). Von dieser Basis aus können selbst die Spottbilder des
letzten Ausfalls gegen das Papsttum von 1545 als „Ausdruck höchst
gewichtiger Anliegen" gelten, „deren Berechtigung theologisch nicht
bestritten werden kann" (218). Die späten Judensehriften erhalten
ebenfalls durch den endzeitlichen Bezug ihr Maß.

M. selbst spricht von seiner „sehr eigenwillig und narrativ geratenen
Biographie" (219). Der Sclbstbeurteilung kann der Rezensent gern zustimmen
, sofern darin mehr als nur eine Portion Selbstironic (vgl.
bierzu die Bemerkung über die „zünftigen Forscher", z. B. 214) steckt.
Die Erzählkunst des Autors hätte auf so manche saloppe Formulierung
verziehten können (15, 18. 87, I 17). Teilweise aufdas Konto
der llüssigen Darstellung sind auch Formulierungen zu buchen, die
von den Quellen nicht gedeckt sind, so wenn z. B. Friedrich der Weise
die Wittenberger Universität gegründet haben soll, „um seinen Vetter
"erzog Georg von Sachsen zu ärgern" (I 3) oder wenn als Motiv für
Luthers Versuche im Drechslerhandwcrk angegeben wird, er habe damit
„Käthes Sparstrumpf ein wenig zu füllen versucht" (187). Zumindest
mißverständlieh ist die Angabc. die für die Promotion erforderlichen
50 Gulden seien „von der Holkammer in Leipzig in
Bnipläng" genommen worden (59). Stärker ins Gewicht fallen die teilweise
einseitig akzentuierten Passagen über Karlstadt. Müntzer und
den Bauernkrieg. Vor allem bei den Auslührungen zum Bauernkrieg
linden sieh Formulierungen, die dem heutigen Forschungsstand nicht
entsprechen, z. B. daß die Gcsamtverluste der Bauern bei
100 000 Mann gelegen hätten und daß die Reformation seit I 525 aufhörte
, „Volksbewegung zu sein" (179). Unzutreffend ist die Auffassung
, die 12 Artikel seien „so gemäßigt gewesen, daß selbst Herzog
Johann . . . zur Annahme bereit gewesen wäre" (178). Für die Behauptung
, die 12 Artikel seien Luther direkt durch eine Bauernabordnung
überreicht worden, gibt es keinerlei Quellcnbelcg. Dasselbe
gilt für die Behauptung, daß Luther ein .gutes Gespräch' mit der
Bauernabordnung gehabt habe, für deren Beköstigung er sorgte (ebd.).
Eine Reihe von Fehlern und Ungcnauigkeiten in der beigegebenen
Zeittafel (z. B. Zwingli 1488 statt 1484 geb.) sind sicher nicht dem
Autor anzulasten (221 -224).

Die von M. so stark herausgestellte Agape wird von der Phalanx der
Lutherforschung kaum in gleicher Weise als zentraler Ansatzpunkt in
Luthers Theologie akzeptiert werden. Glücklicherweise ist die ökumenische
Relevanz von M.s Lutherbild davon nicht abhängig, obgleich
sie davon tangiert wird. M. vertritt die Uberzeugung, die wahre
Ökumene beginne jenseits aller Verhandlungsökumene, wenn wir uns
„auf der tragfähigen Basis des gemeinsamen Glaubens ... in die .Einheit
' führen lassen, die nie und nimmer in unser Belieben gestellt ist"
(213). Luther könne auf dem Weg dahin auch heute noch wie Abraham
und Paulus ein .Vater im Glauben' sein. Gerade in unserer Zeit
gelte es, „den Glauben Luthers als Möglichkeit des eigenen Glaubens"
zu begreifen (87). Dazu will M. seine Leser einladen, und darin liegt
der eigentliche Gewinn seines Lutherbuches.

Nicht nur Beigabe, sondern wichtiger Bestandteil des Buches sind
die 96 ganzseitigen Farbtafcln von Loose, die in ihrer prächtigen
Wiedergabe wohl fast alles Übertreffen, was die Publikationen zum
Lutherjahr an Bildbeigaben aufzuweisen haben. Unter konzeptionellen
und bildhermeneutischen Gesichtspunkten betrachtet, befriedigt
der Bildteil weniger. Es leuchtet nicht ein. daß den Bildnissen von
Luthers Eltern (Nr. 2 und 3) das eines Modells der Gutcnberg-
Druekerpressc (Nr. I) vorangcsehaltet ist. Dasselbe gilt von Era Bartolomeos
Darstellung der Hinrichtung Savonarolas(Nr. 7). Weitere Beispiele
ließen sieh aufführen. Wichtige Personen oder Ereignisse
werden bei der bildliehen Dokumentation übergangen (z. B. Kardinal
Albrecht, die Visitationen). Einesteils wird aus zeitgenössischen Motiven
ausgewählt und daraufhingewiesen, daß Luther eine Darstellung
haben dürfte (z. B. Nr. I I: Picta im Erfurter Dom), zum anderen
werden Objekte ohne entsprechenden Hinweis in ihrem heutigen Zustand
vorgeführt (z. B. Nr. 5 Elternhaus in Mansfeld. Nr. 6 Wartburg).
In einigen Fällen werden spätere Darstellungen ohne entsprechende
Vermerke verwendet (Nr. 25: Tetzel. Nr. 47: Zwingli. Nr. 69: Verlesung
der Confcssio Augustana). Die Auswahl der Abbildungen im
Text, vor allem Holzschnitte und Titelblätter, mutet teilweise etwas
zulällig an. Ihr Standort ist auch nicht immer glücklich gewählt (z. B.
151: Unterschriften unter die Marburger Artikel).

Die vorstehenden Bemerkungen möchten von dem Dank an den
Verfasser, den Landcsbisehof Lohsc in seinem Vorwort zum Ausdruck
gebracht hat. nichts zurücknehmen. Gerade evangelische Leser
werden M. dankbar sein „für die innere Beteiligung, in der er das
Gespräch mit Martin Luther aufgenommen und geführt hat" (9).

Berlin Siegfried Brauer

Eudolphy. Ingetraut: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen
1463-1525. Göttingen: Vandcnhoeek & Ruprecht 1984. 591 S. m.
18 Abb. auf Tat".. 2 Falttaf gr. 8'. geb. DM 136.-.

Quasi im Nachklang zum Lutherjahr 1983 erschien die vorliegende
Gesamtbiographic dieses für die Frühphasc der deutsehen Reformation
so wichtigen deutschen Fürsten, dessen Wirken weit in die vor-