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Ausgabe:

1986

Spalte:

519-522

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Manns, Peter

Titel/Untertitel:

Martin Luther 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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519

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

520

Nürnberg, Straßburg, Augsburg, Bern und Basel verdeutlicht. Die
Dramatik des Geschehens tritt plastisch hervor. Schattenseiten des
reformatorischen Werkes werden nicht verschwiegen, aber im Mittelpunkt
steht doch eine warme Würdigung der Reformation des 16. Jh.,
die noch der letzte Satz der Darstellung die größte Erweckung der
Christenheit seit dem Zeitalter der Apostel nennt. Ihr Ertrag wird
denn auch in den letzten beiden Kp. noch einmal gut zusammengefaßt
. Auch die Katholische Reform wird gewürdigt, wenn auch relativ
summarisch und mit kritischen Akzenten in nur einem Kp.

Besonders gefallen hat mir zweierlei: Der Anteil des „radikalen"
Flügels der Reformation erfahrt eine ausführliche Würdigung, wie
man sie in deutschen Werken dieser Art meist vergeblich sucht. Nur
die Aussagen über Karlstadt und Müntzer bleiben zu blaß. Aber
schon über die Entstehung der Täuferbewegung in Zürich im Schöße
der Reformation Zwingiis liest man viel, und es wird deutlich, daß die
Glaubenstaufe kein abstraktes dogmatisches Postulat war, sondern
sich aus einem geistlich-charismatischen und freikirchlichen Verständnis
rechter Zeugen Jesu ergab. Für die folgende süddeutsche
Periode des Täufertums tritt die Bedeutung des Schleitheimer Bekenntnisses
ebenso hervor, wie die Unterschiede zwischen Hubmaier,
Hut, Denck und Marpeck präzise benannt werden. Die Mclchioriten
werden ebenso anschaulich wie die mährischen Brüderhöfe. Die Ereignisse
in Münster werden keineswegs verschwiegen, aber Vf. hebt
hervor, daß die überwiegende Mehrheit des Täufertums bewußt
andere Wege ging. Der ungeheure Blutzoll von Täufern beiderlei Geschlechts
tritt gerade durch die nüchterne Bestandsaufnahme ohne
Beschönigung erschütternd zutage. Dies geschieht aber ebenso bei den
evangelischen Christen aller jener Länder, in denen reformatorische
Bestrebungen förmlich ausgerottet wurden. Man erfährt hier erstaunlich
viel z. B. über die Fülle und Vielgestalt solcher Intentionen in
Italien und Spanien, und auch die ungeheure Härte des Kampfes in
den Niederlanden ist gut erkennbar. Auch die frühe Geschichte der
Antitrinitarier wird vorurteilsfrei dargestellt, wobei überraschend hervortritt
, in wie starkem Maße solche Anliegen auch reformierte Kirchen
- z. B. in Polen und Siebenbürgen -, aber auch italienische Täufergemeinden
erfaßten und zur Spaltung von Kirchen führten.

Schließlich hat der Leser dieses Buches die seltene Gelegenheit, sich
sogar über den Prozeß der Reformation in Norwegen und Island,
Wales und Irland einen guten Überblick zu verschaffen und selbstverständlich
auch über die anderen nordischen Länder, England und
Schottland, Frankreich, die Tschechoslowakei und Ungarn.

Rostock Gert Wendelborn

Manns. Peter: Martin Luther. Mit 96 Farbtaf. von H. N. Loose und
einem Geleitwort von Bischof Ed. Lohse. Freiburg-Basel-Wien:
Herder; Lahr: Kaufmann 1982. 224 S. m. Abb.. 96 Farbtaf. 4
Lw. DM 98.-.

Im dritten Jahr nach dem Lutherjubiläum haben sich Weihrauch
und Pulverdampf längst verzogen. Die neuen Lutherbücher haben
ihren Platz im Regal gefunden, wenn sie nicht schon wieder aussortiert
worden sind. Der zu rezensierende Text-Bild-Bd. von Manns
und Loose gehört mit Sicherheit zur erstgenannten Gruppe. Nicht nur
durch seine hervorragenden Farbaufnahmen erhebt er sich weit über
die Menge der neuen Lutherbücher. Es ist vor allem der Textteil, der
dem Werk sein sachliches Gewicht verleiht, da er aus der Feder eines
subtilen Lutherkenners stammt und wie keine andere der narrativen
Jubiläumspublikationen von einer eigenständigen Liebe zu Luther
aus ökumenischem Geist geschrieben ist. Auf jeden Fall ist es mit
seiner packenden Schilderung der letzten Geburtstagsleier des Reformators
und mit den bereits vielzitierten Schlußsätzen (220: „Wie
dumm war doch die Redensart. . .: .Evangelisch ist gut leben, katholisch
gut sterben.' Wer sich an Luther hält, der lebt gut und stirbt noch
besser, weil am Ende des dunklen Tunnels jemand steht, der uns lieb
hat und auf den wir uns freuen dürfen . . .") das Lutherhuch mit dem
besonders gut gelungenen Schluß. Der Lortz-Schüler Manns (= M.)

hat die eigenen biographischen Berührungspunkte zu seinem Stoff
nicht verschwiegen. Das nimmt den Leser anders als bei irgendeinem
der neuen Lutherbücher für diese Darstellung ein. Zugleich meldet
sich hier auch ein Problem.

M. gliedert seine Darstellung in 5 Kap. Im ersten (11-24) geht er auf
die Zeitsituation sowie Luthers Herkunft und Entwicklung bis zum
Klostereintritt ein. Wie Lortz ist M. der Auffassung, daß die Reformation
historisch unvermeidbar geworden war. Die These von Luthers
Vaterkomplex lehnt er ab, und den Klostereintritt interpretiert er als
„das Ergebnis einer inneren Entwicklung" (23). Das 2. Kap. (25-88)
führt bis an den Ablaßstreit heran. Knapp die Hälfte des Kap. wird auf
die Schilderung der Erfurter Klosterzeit verwendet. Durch Auswertung
der Novitiatsbestimmungen und in Erinnerung an die eigene
Priesterausbildung findet M. in der Fragestellung Galgenreue oder
Liebesreue als Beichtvoraussetzung den Schlüssel zu Luthers Krise
und damit zugleich in der reinen Gotteslicbe das Kernproblem
Luthers. Letzteres löste sich erst durch die biblische Erkenntnis, daß
„die das Gesetz erfüllende und uns befreiende Liebe identisch mit
unserer Gerechtigkeit vor Gott" ist (84). Dieser „treffliche Ansatz"
(86) sei schon bei Luther selbst in Gefahr geraten, indem die Liebe
hinter den Glauben zurücktrat, erst recht natürlich im späteren Protestantismus
. In diesem Ansatz wurzelt für M. das „ungewöhnlich
starke ökumenische Potential der Grundanlicgen Luthers" (87).
durch das Luther wie Abraham und Paulus zum „Vater im Glauben"
geworden ist. Von der Frage nach dem inhaltlich verstandenen Reformatorischen
und der Fixierung des sogenannten Turmcrlcbnisses
sieht sich M. von seinem Ansatz her entlastet. Er steht aber zugleich
vor dem neuen Problem, Luthers Anteil am bis heute belastenden
Verlauf der Reformation zu klären. In den folgenden 3 Kapiteln
unternimmt er den entsprechenden Versuch, wobei das von ihm definierte
Grundanliegen Luthers das Kriterium angibt. Die Zeit vom
Thesenanschlag bis zum Wartburgaufenthalt stellt M. im 3. Kapitel
dar (89-148). Luther wird das Verdienst zugesprochen, „den zum
Himmel schreienden Handel des Papstes und des Mainzer Erzbischofs
mit den Fuggern nicht zum radikalen Angritf auf die alte Kirche
benutzt zu haben" (94). Für die Verschärfung sorgten andere, z. B.
„der auf Publicity bedachte Karlstadt" (114), aber auch Eck. dem es
gelang, „Luther nach Leipzig in die Arena zu locken" (114) und die
Papstfrage ins Spiel zu bringen. Luthers diesbezügliche Spitzensätze
werden von M. zwar als „Defekte" beurteilt, für die aber nicht der
theologische Ansatz, sondern die „geschichtlich bedingten Engführungen
und Pannen" (120) verantwortlich gemacht werden. Den
„weiteren Verlauf der traurigen Geschichte" bis zum Beginn des
Wartburgaufenthaltes gibt M. gerafft wieder, da ihm „nie die
Stringenz .theologischer Notwendigkeit'" zuzuschreiben ist. (1200
Immer wieder werden die historischen Sachverhalte, z. B. die Bannandrohungsbulle
und ihre Wirkungslosigkeit, zum heutigen Anliegen
und Urteilen in Beziehung gesetzt. Dieses Verlähren macht die
Darstellung zwar lebendig, vereinfacht aber nicht selten die historischen
Zusammenhänge. Dem Stilmittel sind aber auch eindrucksvolle
Passagen wie die Charakteristik Friedrich des Weisen zu verdanken
(1460- Die Zeitspanne von der Rückkehr nach Wittenberg
1522 bis zur Eheschließung 1525 umfaßt das 4. Kap. (149-184).
Nicht wie Luther durch seine biblischen Vorlesungen, Predigten und
frommen Schrillen, Katechismen und Lieder sowie vor allem durch
seine Bibelübersetzung (151: „Es ist buchstäblich Gottes mächtiges
und schöpferisches Wort, das auf diese Weise durch Luthers Mund die
Menschen traf. . .") für viele .Vater im Glauben' wurde, steht im
Mittelpunkt des Kap. Jetzt geht es vielmehr vordringlich „um die
Wirkungsgeschichte seines Werkes, die der Autor nicht mehr allein
und allzumcist auch nicht unmittclhar verursacht und verantwortet"
(151). M. hat sich mit dem Stichwort ,,Wirkungsgeschichte" eine
Position zur Beurteilung vor allem Karlstadts. der vom Aufruhrvorwurf
freigesprochen wird, und der Wittenberger Bewegung, aber
auch des Bauernkrieges geschaffen. „Die Schärfe und das Triebhafte
seiner (sc. Luthers) Polemik verdienen ernstlich Tadel" (157). das