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Ausgabe:

1986

Spalte:

516-517

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Classen, Peter

Titel/Untertitel:

Karl der Grosse, das Papsttum und Byzanz 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 7

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der theologischen bzw. christlichen Sprache im besonderen mit ihren
spezifischen Spielregeln" (S. 13). Wenn Vf. an anderer Stelle seine
Arbeit ein umfassendes Kommentarwerk nennt, das über den Text,
seine Bedingungen und seine Dcnkwelt informiert (S. 686), so stimmt
das nur unter den Aspekten des zitierten Grundanliegens des
Buches.

Die Analyse des Textes (S. 147-685) erfolgt für die ein/einen
inhaltlichen Zusammenhänge (s. den Überblick S. 691) in jeweils
6 Schrillen, die S. 139-143 und 68811"erläutert werden: I. Wiedergabc
des lateinischen Textes mit Hervorhebung der stilistischen und
rhythmischen Besonderheiten und Grundzüge (s. dazu S. 1 18-138 als
Einführung). Bei der Textwiedergabe stützt sieh Vf. auf den Cod.
Monac. und die Edition Silva-Taroucas. 2. Textkritik. Hier werden
die Lesarten Silva-Taroucas und Schwartz' erwogen. Vf. untersucht
S. 42-51 die grundsätzlichen Unterschiede beider Editionen und entscheidet
sich gegen die Argumente von Schwartz für die Collectio
Grimanica. Der Cod. Monac. sei der reinste Repräsentant von Stil
und sprachlicher Eigenart Leos. Diese Entscheidung hat auch für die
folgenden Punkte Bedeutung. 3. Bei der Untersuchung der Stilistik
basiert Vf. auf den Ergebnissen der bisherigen Forschung zur Rhetorik
Leos. Sic sind S. 129-138 zusammenlässend charakterisiert. 4. Die
Rubrik ..Prätexte" führt über die Konzentration auf Leo etwas hinaus,
da hier untersucht wird. ..ob und welchen bereits vorhandenen Texten
ein Einlluß auf die Tcxtgestalt des Tomus zuzuschreiben ist'' (S. 140).
Hier werden auch die biblischen Interpretationen und Anklänge abgehandelt
. Zu beachten ist weiterhin, daß Vf. bei der Sammlung der
Briefe des Eutychcs entgegen Schwartz die Collectio Novariensis der
Collectio Casinensis vorzieht (S. 56-59). 5. Unter dem Stichwort
..Komposition" werden dann Art und Gründe des Textablaufes des
Tomus und die Bedeutung des jeweiligen Abschnittes im Gesamtzusammenhang
der Schrift zu ergründen versucht. Hierzu sind auch
die allgemeinen Bemerkungen über den Charakter des Tomus
(S. 99IT) zu beachten. 6. Die semantische Auslegung wird auch der
philologisch nicht sehr versierte Benutzer mit großem Gewinn zu
Rate ziehen, da hier der Versuch unternommen wird, die Denk- und
Vorstellungswelt Leos, wie sie sich im Tomus niederschlägt, zu erfassen
, zumal Kernbegriffe zusammenlässend charakterisiert werden.

Viele wichtige Erkenntnisse werden auf diese sorgsame Art gewonnen
. Die Sicht des Vf. bleibt aber weithin auf den Tomus begrenzt.
Angestrebt wird eine synchrone Betrachtungsweise (S. 694). verstanden
aber nicht im historischen, theologischen, geistesgeschichtlichen,
politischen oder sozialen, sondern im sprachwissenschaftlichen
Sinne. Die auf diesem Wege gewonnenen Verallgemeinerungen sind
deshalb nicht immer genügend abgesichert. Charakteristisch ist z. B.
der Satz auf S. 696: „Leo lebt in einer aristokratischen Welt". Das
betrifft ja aber nur einen Teil der Gesellschaft seinerzeit. Vf. konfrontiert
dann diese aristokratische Welt mit der unseren und hebt die Unterschiede
hervor. Aber zu Leos Zeilen gab es unterschiedliche Kategorien
gesellschaftlichen Lebens. Die! Problematik daraus sich ergebender
Spannungen hat Vf. als Problem weder behandelt noch wohl
auch erkannt. Wer darüber hinaus noch eine diachronische Betrachtung
anstrebt, etwa z. B. bei den Begriffsuntersuchungen, kann von
vorliegender Arbeit nicht mehr erwarten als eine Ausgangsposition -
allerdings eine notwendige und sehr fundierte.

Für Einzelkritik bleibt hier kein Raum. Zwei Monita allgemeinerer
Natur seien nur noch genannt: I) Die Analyse enthält sehr viele
spezielle Beobachtungen, Erörterungen von Begriffen, Hervorhebungen
von Bibel- oder Sachbezügen usw. Nur durch ein Register
könnten sie der wissenschaftlichen Arbeit wirklich erschlossen werden
. Register fehlen aber. Selbst wenn man die über 500 Seiten der
Analyse genau durchliest, ist später vieles nur noch mit zeitaufwendigem
Suchen wiederzufinden - oder auch nicht. Rez. hat diese ärgerliche
Erfahrung machen müssen. 2) Es handelt sich um eine im Jahr
1979 von der katholischen theologischen Fakultät in Bonn angenommene
Dissertation. Der Charakter der Prüfungsarbeit ist auch im
Druck beibehalten. So fehlt die straffe Konzentration auf das Wesentliche
. In aller Breite werden Thesen und Forschungsergebnisse anderer
Publikationen referiert (z. B. S. 2711". I29IT). Umständliche und für
den Fachmann unnötige Erklärungen von Termini und Forschungsgängen
belasten das Buch. Das Literaturverzeichnis (S. 706-713)
führt mehr auf, als Vf. verarbeitet hat, ist aber wiederum auch nicht
vollständig. Die Liste der S. 7131"genannten Hilfsmittel wäre für den
Druck zu streichen gewesen, f ür die Abkürzungen reichte der Hinweis
aul'S. Schwertner, IATG, Berlin/New York 1974. aus.

Beide Monita richten sieh nicht nur an den Vf.. sondern auch an die
Herausgeber der Reihe.

Berlin Friedhelm Winkelmann

' E. Schwanz. ACO II 4. Berlin 1432: C. Silva-Tarouca. S. Leonis Magni
Tomus ad Flavianum .... Berlin 1932: ders.. S. Leonis Magni Epislulae contra
Eulychis haeresim, I II. Rom 1934/35: ders., Epistularum Romanorum Ponti-
ticum... Collectio Thessalonicensis. Rom 19.37: A. C'havasse. CCSLI38.
138A.Tumhout 1973

Kirchengeschichte: Mittelalter

Classen. Peter: Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die

Begründung des karolingischen Kaisertums. Nach dem Handexemplar
des Verfassers hg. von H. Fuhrmann u.C. Märtl. Sigmaringen:
Thorbecke 1985. XIII, 107 S. m. 3 Abb. dav. I färb. gr. 8'= Beiträge
zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters. 9. Lw.
DM 18.-.

Zum 800. Jahrestag der Heiligsprechung Karls d. Gr. (I 165 durch
Gegenpapst Paschalis III.) kam 1965 das v ierbändige Werk „Karl der
Große - Lebenswerk und Nachleben" heraus, zu dem Peter ( lassen
den Beitrag „Karl der Große, das Papsttum und Byzanz" schrieb.
1968 erschien dieser Beitrag separat mit einem Nachtrag. 1980 starb
Classen (vgl. ThLZ 110, 1985, 8231"). Er hinterließ u.a. ein Handexemplar
mit weiteren Nachträgen, die nun in den Text eingearbeitet
wurden. Horst Fuhrmann spricht im Vorwort mit Recht von einer
„dritten Auflage". Neueste Literatur wurde nachgetragen, ein Personen
- und Ortsregister erhöhen den Wert des Bandes.

Classen beginnt mit der Lage zu Beginn des 8. Jh.: Dem universalen
Kaiser in Konstantinopel „konnte kein König auf gleicher Ebene
begegnen" (2). Das Papsttum beanspruchte „unabhängig und über
dem Kaiser die Verteidigung der rechten Glaubenslehren und die
höchste Jurisdiktion in der gesamten Kirche" (3). Das Bewußtsein der
Franken war „gentil" bestimmt, sprach sich aber im Prolog zur Lex
Salica schon deutlich aus: Die Franken „setzten sich dem alltesta-
mcntlichen Gottesvolk parallel" (3). Das Laterankonzil 769 vereinigte
römische, langobardische und fränkische Bischöfe. Die Akten
vermeiden die Datierung nach Kaiserjahren und leugnen damit „die
Oberherrschaft des Kaisers über seine Versammlung in Rom" (II).
Karls Machtübernahme in Italien 774 änderte die Lage zunächst
wenig: er erstrebte „wie seine Vorgänger das Ziel, die Herrschaft des
Papsttums in Italien zu festigen und zu erweitern" (17). Er kam „als
Helfer und Verbündeter des Papstes, zugleich als Pilger zum heiligen
Petrus" (19). Hadrian unternahm 778 den „ersten offensiven Feldzug.
den das Papsttum unternommen hat" (27). Der 3. Romzug Karls 787
brachte Komplikationen (32). Im Osten beschloß das nieänische
Konzil das Dogma von der Verehrung der Heiligenbilder: Der Vorgang
konnte Karl „nicht ganz verborgen bleiben" (35). Leider wirkte
hier immer noch eine Lücke im „Karlswerk" von 1965 nach, in dem
ein geplanter Beitrag über die Libri Carolin! nicht zustande kam. Der
theologische Inhalt der Libri Carolini wird nicht gebracht, sondern
nur der machtpolitische Zusammenhang: „Die fränkische Kirche
sprach durch ihren gesalbten König . . . gegen das von Kaiserin und
Kaiserdes Ostens veranstaltete allgemeine Konzil. Die Spitze richtete