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Ausgabe:

1986

Spalte:

502-504

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Die Juden und Martin Luther, Martin Luther und die Juden 1986

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Literaturzeitung IM. Jahrgang F986 Nr. 7

502

Mit seinem Buch über narralive Theologie sei/i Vf.. der den Lesern
der ThLZ kein Unbekannter ist, seinen mit den Büchern ..Jüdischer
Glaubet ('1979: gl. ThLZ 107. 19X2. 1901). ..Die Tafeln des
Bundes" (1979; vgl. ThLZ 105. 19X0. X34). ..Betendes Judentum"
(19X0) und ..Jüdische Ethik" (19X5) begonnene« Versuc h einer systematischen
Gesamtdarstellung der Theologie des Judentums fort. Wie
den voraufgegangenen hegt auch diesem Buch wiederum eine Vorlesungsreihe
zugrunde, die Vf. diesmal, im Wintersemester 19X4 85.
an der Theologischen Fakultät der Dormitio-Abtei in Jerusalem
gehalten hat. Wie die voraufgegangenen schließt auch dieses Buch
Wiederum an ein klassisches Dokument des Judentums an,diesmal an
die Pessach-Haggada. die in der von R. R. Geis bearbeiteten Gestalt
L.l'essaeh-llaggadah". Düsseldorf 1954) im Anhang (S. I 32-1 59) abgedruckt
ist. Wie mit den voraulgcgangencn wendet sich Vf. auch mit
diesem Buch wiederum vornehmlich an christliche leset. Wie mit
den voraufgegangenen möchte Vf. auch mit diesem Buch wiederum
durch ..Hinweis aufden innigen Zusammenhang der Glaubensweisen
des Judentums und des Christentums" im Blick auf das zur Verhandlung
anstehende Thema das christlich-jüdische Gespräch bereichern
und verliefen (S. 9).

Vf. beginnt mit einigen grundsätzlichen Erwägungen zu den ..Zwei
Quellen der Offenbarung*' (S. I I -29). der schrill liehen und der mündliehen
Tora, die im Grunde ..in eine Quelle zusammengefaßt werden
müssen", die (mündliche) Tradition nämlich, deren Produkt schließlich
auch die schriftliche Tora ist. In eben dieser Tradition, der
erzählenden Weitergabe der Heilstaten Gottes und seines Umgangs
mit den Menschen, wie sie paradigmatisch die Pcssaeh-I laggada. ..die
Populärste Dokumentation der Aggada. der erzählenden Theologie"
des Judentums (S. 7). bezeugt, ist die ..1'ru.uelle der Offenbarung" zu
linden (S. 270. In den weiteren sechs Kapiteln kommentiert Vf.
Spdann den Text der Pessach-Haggada in laufender f olge. (Die Seiten,
aul denen der Leser die Kommentierungen zu den betreffenden Text-
ubsehnitten linden kann, sind im Anhang jeweils auf dem Seitenrand
angegeben.) Wert legt Vf. auf Erklärung der Symbolik des Pessach-
' estes. der der Bibel entlehnten und der folkloristischen Zutaten
(S. 34 IT. 90 IT), und des Verlaufs des Sedermahles ebenso wie auf Erörterung
historischer (etwa die Anklänge an das griechische Symposion.
S. 38ff) und literarischer Probleme. Vf. Hauptanliegen ist indessen.
Jedenfalls kann man sieh dieses Eindrucks bei der Lektüre nicht erwehren
, der Aufweis von Parallelitäten /wischen der Pessach-
Haggada und dem NT, vor allem der Nachweis, daß Jesu letztes Mahl.
Wie Vf. bereits in seinem ..Bruder Jesus" (München ~ 1972. S. I55IT.
'791V) vertreten hat, ein Sedermahl gewesen ist mit allen Konsequenzen
, die dies für die Deutung der Abendmahlsgeschichten hat. In
Biesen sieht Vf. eine Individualisierung der Geschichte Israels, deren
Ersetzung durch die Geschichte des Menschensohnes (S. 53). In seinem
Bemühen um den genannten Aufweis hat Vf. eine Tülle von -
mindestens - phänomenologischen Vergleichspunkten zusammenzutragen
vermocht, etwa hinsichtlich der Vorstellung von der Real-
Pläsenz hier des Volkes, dort des Leibes Christi in der Gedächtnisfeier
<S- 33. XI). der ..vier Söhne" (S. hl IV). des Gleiehzeitig-Werdens des
Mahlte,

Inehmers an mit dem sich das Geschehen ursprünglich völlig
(S. 961V) bis hin zum fünften Becher und dessen Deutung (S. 39.
"'8-1 19). um nur einiges zu nennen.

Gelegentlich jedoch wirken die aufgezeigten Parallelen eher gezwungen
als sich anbietend, etwa dort, wo Vf. in der ..Übcrschatlung
Mariens von der Kraft des Höchsten" (l.k 1.35) die der kabbah-
sbsehen Erotik entstammende Paarung Gottes mit der Schechina
s«ht (S. 7X111 der Blut schwitzende Jesus (l.k 22.44) als chaian-
^ommim (Ex 4.24-26) gedeutet wird (S. I 150 oder (das l.iedchen
Vom) Chad gattja und (der Hymnus vom) Agnus Di'i parallelisiert
werden (S. 127111

Wenn auch zugegehenermalJen Vf. vieles von dem. was er in diesen
Vorlesungen entfaltet hat. bereits an anderer Stelle schon, vor allem in
dem o. e. ..Bruder Jesus" und in ..Thcologia Judaica" ( Tübingen
1982; vgl. ThLZ 109. 1984. 29-31). vorgetragen hat. bietet das

Buch dennoch zahlreiche nachdenkenswerte l.in/clbcohachlungcn
zur Auslegung der Pcssach-Ilnggnda. die auch dem Exegeten des
Alten wie des Neuen Testaments gleichermaßen interessante Anregungen
zu geben und den ..innigen Zusammenhang" von Abendmahl
und Sedermahl neu zu bedenken geeignet sind.

Berlin Stefan Schreiner

Kremers. I lern/ [Hg.]: Die Juden und Marlin I uther - Martin Luther
und die .Inden. Geschichte. Wii kungsgcschichle. Herausforderung.
Hg. in Z.usammcnarb. m. I . Siegele-Wcnschkewitz u. B. Klappert.
Mit einem Geleitwort von .1. Rau. Neukirchen-Vluyn; Neu-
kirehener Verlag 1985. XX.440 S.gr. X . Karl. DM 38.-.

Außer Geleitwort und ausfuhrlichem Vorwort des Hg. (II. Kremers
in Zusammenarbeit mit L. Siegele-Wenschkewitz und B. Klappert)
umfaßt der Band IX Beiträge eines Symposiums, das vom 21. bis
2.5.2. 19X3 in Mülheim Ruin stattfand. Im wesentlichen dem Anliegen
des Rheinischen Sv nodalbeschlusses zur ..Erneuerung des Verhältnisses
von Christen und Juden" vom II. I. 19X0 konzeptionell
verpflichtet, wird schon im Vorwort Kritik an der gegenwärtigen
kirchlichen Sichtweise im Blick auf die Judenfrage laut. Auch das
l.uthcrjahr 19X3 habe das Prnblemfeld Luther und die Juden entweder
tabuisiert oder verharmlost (Xllllll Für den Internationalen
Lutherforscherkongreß August 1983 in Erfurt trifft das jedenfalls
nicht ZU. Auch sonst haben kirchliche Gremien sich dem in der Nachkriegszeit
zunächst als heikel empfundenen Thema gestellt, wobei
freilich seine Behandlung nicht immer in den Leitschienen einer
ohnehin problematischen christlich-jüdischen Ökumene sich vollzog.
Von der Tatsache, daß 13 Theologieprofessoren der Universität
Bonn, denen sich auch eine Reihe von Kollegen aus Münster anschlössen
, die Ergebnisse des Rheinischen Sv nodalbeschlusses exege-
tisch-biheltheologisch in I rage stellten und damit eine heftige Kontroverse
provozierten, zeigt sich der vorliegende Sammclband in aktuellen
Diveigen/punkten nicht unberührt.

Daß so prominente Neutestamentlet wie E. Käsemann den Svno-
dalbeschluß als ...Abfall, von Paulus und von der reformalorischen
Theologie" scharf ablehnten (XVIII) und ihn als von Karl Barths
später Israeltheologie wie von reformierter Eöderaltheologie überhaupt
inspiriert bezeichneten, gilt als kennzeichnend für die gespannte
Situation im Blick auf den christlich-jüdischen Dialog, der
von den Kontrahenten gleichwohl als unverzichtbar anerkannt wird.
E. Bclhge betont indes: ..I leute hat vier I loloeaust für uns üherw icgend
den Charakter eines Störfaktors, weniger den. theologische Überprüfungen
einzuleiten im Blick auf das Verhältnis zu den Juden."
(247)

An Ben-Zion Deganis Durchblick wird ..Die Formulierung und
Propagierung des jüdischen Stereotyps in der Zc i vor der Reformation
und sein Einfluß auf den jungen Luther" (3-44) verdeutlicht,
wenngleich weniger die mittelalterlichen Vorwürfe als vielmehr die
essentiell antijudaislische Theologie Luthers durchgängig seine Beurteilungssicht
des Judentums bestimmte. Die in diesem Band zu
Wort kommenden engagierten Exponenten einer bleibenden Heilsbedeutung
Israels für christliche Theologie konstatieren fast durchweg
die theologisch bestimmte Kontinuitätslinie bei Luthers Judenbeurteilung
und einen weitgehenden neuerliehen Konsensus in dieser
Hinsieht (vgl. besonders den Beitrag von B. Klappert). Sie folgen hier
der auf dem Symposium von H. A. Oberman prononciert vertretenen
Forschungsmeinung, daß Christologie und Rechtfertigungslehre
I lauptkriterien juden kritischer Sieht weise Luthers gewesen sind,
bei Oberman noch eschatologisch-apokalv ptisch intensiv iert und
v erschärft.

J, P. Boendermakcr (Amsterdam) untersucht den alttestamentlich-
hebraistischen Einfluß auf Luthers Theologie (45-57). während
Stefan Schreiner (Berlin) aufweist, daß Luther kaum authentische
Kenntnis vom Judentum hatte und sieh vornehmlieh auf antijüdische