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Ausgabe:

1986

Spalte:

27-28

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Malherbe, Abraham J.

Titel/Untertitel:

Social aspects of early Christianity 1986

Rezensent:

Theißen, Gerd

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 1

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einer Wiedervereinigung der Kirchen auf absehbare Zeit nicht gerechnet
werden kann. Wenn heute eine begründete Hoffnung auf größere
kirchliche Gemeinsamkeit besteht, dann wird sie wesentlich von den
Bewegungen erschlossen, die unterhalb der offiziellen Ebene der
katholischen Kirche existent sind, etwa in den „Integrierten Gemeinden
", in denen sich auch wissenschaftliche Theologen aktiv beteiligen
. Das vorliegende Buch ist in einem solchen Kontext geschrieben
worden. Auch wenn zum Inhalt kritische Fragen gestellt werden
müssen - daß und wie sich hier wissenschaftliches mit basiskirchlichem
Engagement verbindet, sollte nicht nur der Aufmerksamkeit,
sondern auch der Hochachtung in der ökumenischen Welt sicher sein
und Nachahmer im evangelischen Raum linden.

Göttingen Georg Strecker

Malherbe, Abraham J.: Social Aspects of Early C'hristianity. 2nd Ed.,
Enlarged. Philadelphia: Fortress Press 1983. XI. 131 S. 8 Kart.
$6.95.

Als in den 70er Jahren ein neues Interesse an der sozialgeschichtlichen
Erforschung des Urchristentums bemerkbar wurde, war Mal-
herbes 1977 zum ersten Mal erschienenes Buch eine erste Bestandsaufnahme
: Es formulierte in überzeugender Weise einen sich anbahnenden
„neuen Konsens" (S. 31) darüber, daß das Urchristentum
nicht nur in den unteren Schichten zu lokalisieren sei, sondern einen
Querschnitt der Gesamtgesellschaft darstelle - freilich unter Ausklammerung
der imperialen Oberschichten. Sein Beitrag zu diesem
„neuen Konsens" ist:

1. Eine kritische Diskussion des Kriteriums „Bildung" als Indikator
für den Sozialstatus der ersten Christen. M. differenziert dies Kriterium
weiter in: a) Sprache, b) literarische Zitate, c) rhetorische Ausbildung
- mit dem Ergebnis einer Korrektur der These A. Deißmanns
vom proletarischen Charakter des Urchristentums.

2. M. arbeitet die Bedeutung von Hausgemeinden Für das Urchristentum
heraus - und hat damit ein wichtiges Thema neuer sozial-
geschichtlicher Forschungen (J. H. Eilum, H. J. Klauck, L. M. White)
vorhergesehen und vorstrukturiert. Er sieht in sozial inhomogenen
Handwerkskollegien sozialgeschichtliche Analogien zu christlichen
Gruppen, die bei ihren Hausversammlungen Mitglieder verschiedener
Schichten zusammenführten (vgl. S. 89).

3. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf der lokalen Mobilität der Christen
, ein Thema, das durch ein in der 2. Auflage neu hinzugekommenes
Kapitel überdie Gastfreundschaft im Urchristentum vertieft wird.
Die These lautet: Der 3. Joh stelle keinen theologischen Streit dar,
sondern einen durch Gewährung und Ablehnung von Gastfreundschaft
hervorgerufenen Streit, bei dem Diotrephes nicht aufgrund
eines kirchlichen Amtes, sondern aufgrund seiner sozialen Macht als
Gastgeber andere reisende Christen aus seinem Haus ausschließe.

Nicht zuletzt aufgrund der von M. mit angeregten neueren sozialgeschichtlichen
Forschung seit 1977, über die ein kurzer Anhang in
Stichworten referiert, sind m. E. drei Differenzierungen und Präzisierungen
innerhalb des „neuen Konsens" über Malherbe's Buch hinaus
notwendig.

1. M. behandelt primär das paulinische Urchristentum. Zieht man
die Zeit vorher und nachher mit in die Betrachtung ein, so kommt
man zu folgendem Bild: Das Urchristentum ist in Palästina ursprünglich
durchaus eine Unterschichtbewegung mit einem bedeutenden
Anteil von sozial entwurzelten Menschen (L. Schollrolf, W. Stegemann
u. a.). Mit dem hellenistischen Urchristentum steigt es zögernd
in höhere (regionale) Schichten auf, eine Entwicklung, die sich im
2. Jahrhundert fortsetzt, wie P. Lumpe: Die stadtrömischen Christen,
Diss. Bern 1983. am Beispiel der römischen Gemeinden gezeigt hat.

2. Aber nicht nur der kollektiv erfahrene allmähliche soziale „Aufstieg
" ist für eine Sozialgeschichte des Urchristentums bedeutsam,
sondern ebenso individuell erlebte Mobilität. Aufgrund von Mobilitätsprozessen
läßt sich sozialer Status oft nicht eindeutig bestimmen.

Er kann bei derselben Person in einer Hinsicht hoch, in einer anderen
niedrig sein. W. A. Movks: The first Urban Christians, Yalc 1983. hat
mit Recht die These vertreten, daß das Urchristentum gerade Menschen
mit solch einer „Statusdissonanz" umfaßte.

3. Der „neue Konsens" wurde manchmal deswegen begrüßt, weil er
als Widerlegung religionssoziologischer, z. T. marxistisch inspirierter
Konflikttheorien zum Urchristentum verstanden wurde. Dagegen
muß betont werden: Der soziale Konflikt zwischen „oben" und
„unten" wird jetzt teils in die Gemeinden hineinverlegt (meine
Thesen dazu diskutiert M. S. 71 ff), teils bleibt er zwischen imperialer
Oberschicht und christlichen Gruppen bestehen: Die Ablehnung des
Blutvergießens durch Christen (als Richter und Soldaten) und die Verweigerung
des Kaiscrkultes entzogen der realen und ideologischen
Basis der römischen Herrschaftselite die Zustimmung. Je mehr das
Urchristentum seiner Stratilikation nach gesellschaftlich „integriert"
erscheint, um so schärfer tritt diese grundsätzliche Spannung zur
Gesellschaft hervor. Die Distanz und Spannungzur Welt ist daher mit
Recht eins der großen Themen der folgenden Forschung gewesen,
wofür z. B. J. H. Eltiott: A Home for the Homeless, Philadelphia
1981, hinzuweisen ist.

Die Neuauflage der besonnenen Bestandsaufnahme von A. J. Malherbe
aus dem Jahre 1977 ist zu begrüßen: Sie hat dazu beigetragen,
daß eine zunächst mit großer Skepsis betrachtete Forschungsrichtung
in den letzten Jahren reife Früchte gebracht hat. Das Buch ist zudem
symptomatisch für die gelassene Aufgeschlossenheit amerikanischer
Exegese für sozialgeschichtliche Fragestellungen, die in angenehmem
Kontrast zu anderswo verbreiteten Haltungen steht.

Heidelberg GerdTheißcn

Schwarz, Roland: Bürgerliches Christentum im Neuen Testament?

Eine Studie zu Ethik, Amt und Recht in den Pastoralbriefen.
Klosterneuburg: Österreichisches Bibelwerk 1983. 224 S. 8' =
Österreichische Biblische Studien, 4. Kart. ÖS 246.-.

Die vorliegende Arbeit ist eine Dissertation der katholisch-theologischen
Fakultät der Universität Wien und wurde durch die Professoren
Jacob Kremer und Walter Kornfeld betreut und begutachtet. Der
Vf. hat sich in ihr einem Thema zugewandt, das in den letzten Jahrzehnten
häufig kontrovers und mit unterschiedlichem Ergebnis diskutiert
worden ist. Er setzt sich mit den Einwänden auseinander, die seit
dem Kommentar von M. Dibelius zur Charakterisierung der Ethik
der Pastoralbriefe (Past.) als Ausdruck christlicher Bürgerlichkeit vorgebracht
worden sind und die in den letzten Jahrzehnten ihre wohl
schärfste Formulierung bei Käsemann gefunden haben.

Zunächst sucht der Vf. zu klären, was unter Bürgerlichkeit zu verstehen
ist, einem Begriff, bei dem meist etwas Negatives anklinge. Im
negativen Sinne gehe es bei Bürgerlichkeit um eine Haltung, die sich
mit dem Erreichten zufrieden gebe und nicht mehr bereit sei, dieses zu
hinterfragen oder hinterfragen zu lassen. Dazu gehöre weiterhin eine
gewisse Passivität und mangelnde Bereitschaft, sich für Ideale einzusetzen
sowie eine gewisse Sterilität der Lebensführung mit festen
Lcbensregeln, die möglichst von niemand durchbrochen werden dürften
. Das höchste Ideal einer so verstandenen Bürgerlichkeit sei die
Zufriedenheit. Eine solche Haltung bewirke in Theologie und Kirche
eine verstärkte institutionelle Absicherung des Erreichten, eine Stabilisierung
und Häufung von Ämtern, eine zunehmende Rechtssetzung
zur detaillierten Regelung des christlichen Gemeinschaftslebens
(S. 8), ein Zurücktreten des Kcrygmas gegenüber einer zunehmenden
Ethisierung des Glaubens, wobei Gläubigkeit vor allem an äußerlichen
ethischen Maßstäben gemessen und Glaube zur Pflichterfüllung
werde. Ferner gehöre dazu eine zunehmende dogmatische Fixierung
des Glaubensgutes, eine Verdrängung der Glaubenserfahrung
des einzelnen durch Übernahme von (ilaubensformeln, eine Verwandlung
des lebendigen Kcrygmas in Glaubenssätze, die unverändert
weitertradiert werden müssen (S. 9).