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Ausgabe:

1986

Spalte:

478-479

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Titel/Untertitel:

Der Spielraum der Predigt und der Ernst der Verkündigung 1986

Rezensent:

Engemann, Wilfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 6

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von einer Erosion bedroht ist. In einigen großstädtischen Ballungsgebieten
sinkt die Mitgliederzahl unter 50% der Bevölkerung; vor
allem unter den 20-35jährigen wächst die Neigung zum Austritt. Der
Verlust an geistlicher und missionarischer Kraft unter den Kirchenmitgliedern
zeigt sich an der Geringschätzung des Gottesdienstes, am
weitgehenden Wegfall der religiösen Kindererziehung, an der kaum
vorhandenen Praxis des Glaubens in den Häusern, an der Unkenntnis
biblischer Inhalte und Zusammenhänge. Dementsprechend ist die Fähigkeit
des einzelnen Christen zurückgegangen, seinem Glauben Ausdruck
zu geben; die Sprachlosigkeit der Gemcindcglieder nimmt zu.

In dieser Situation haben die westdeutschen lutherischen Kirchen
(VELKD) 1982 eine ,,missionarische Doppelstrategie" beschlossen
(Texte aus der VELKD Nr. 21 /83), in der zwei Intentionen verknüpft
werden sollen: a) „verdichtende Formen" kirchlicher Arbeit, in denen
es um „Gestaltwerdung des Glaubens im persönlichen Leben, um
Einbindung in die Gemeinschaft des Glaubens und die Befähigung
zum Aussprechen des Glaubens" geht; b) „öffnende Formen" der Arbeit
, in denen die Relevanz des Evangeliums in der Gesellschaft und
bftentlichkeitsbezogene Kommunikationsformen des Glaubens Sichtbarwerden
. Die Bedeutung der religiösen Erziehung und Sozialisation
und die Beteiligung von Laien wird dabei besonders hoch veranschlagt
.

Der „Ausschuß für Fragen des gemeindlichen Lebens" der VELKD
möchte nun in einer Schriftenreihe „Priestertum aller Gläubigen aktuell
" diese Doppelstrategie unterstützen. Der erste Band liegt hiermit
vor.

Er beschreibt an dem Modell der Beteiligung von Eltern (Müttern)
uti Vorkonfirmandenunterricht eine volkskirchliche Möglichkeit zu
• verdichtender Arbeit". Ausführlich wird über das Konzept von
Pastor Hans Wilhelm Hastedt aus Hoya (3 850 Einw.; davon 3 360
evang.) in Niedersachsen berichtet (zwei weitere Beispiele werden sehr
knapp skizziert), der in jedem Jahr einige Mütter gewinnt, die er anband
einfacher Stundenentwürfe (11 Einheiten werden dokumen-
bert) anleitet und befähigt, den Vorkonfirmanden schon im 4. Schuljahr
in Kleingruppen biblische (vorwiegend alttcstamentlichc) Geschichten
zu erzählen. Einmal im Monat werden alle Kinder unter
Leitung des Pastors zusammengefaßt. Nach 3jähriger Pause (unterbrochen
durch den freiwilligen Besuch des Kindergottesdienstes, von
Sommerfahrten und anderen Angeboten, an denen sich einzelne
Mütter beteiligen) wird der Konfirmandenunterricht im 8. Schuljahr
als Blockunterricht (mit Gruppenarbeit, Spiclphase, Essen und Andacht
) vom Pastor erteilt. Konfirmierte unterstützen ihn dabei.

'm Laufe von 10 Jahren hat sich in der Gemeinde etwas verändert.
Die Motivation der Konfirmanden auch über die Konfirmation hin-
aus, das Interesse der Eltern an der Bibel, am Glauben und daran, an
neuen Aufgaben mitzuarbeiten, die Resonanz in der Gemeinde, in der
überall von der Kirche gesprochen wird, zeigen, daß hierein überzeugendes
Beispiel vorliegt, wie die pädagogische und missionarische Dimension
des Gemeindeaufbaus durch eine gezielte Veränderung des
Konfirmandenunterrichts miteinander verknüpft werden können.

Eragen, die zu wenig bedacht sind:

Wenn die Stärkung der religiösen Erziehung so bedeutsam ist -
können dann auch Eltern und Familien der Konfirmanden über die
beteiligten Mütter und geeignete Arbeitshilfen erreicht und unterstützt
werden?

Warum wird bei den Transferübcrlcgungcn der Herausgeber so we-
n'g mit den Widerständen gerechnet, „die im Status des Pastors, in
°-er Traditionsprägung des Kirchenvorstandes" (VELKD-Papier)
'legen?

Wie können Pastoren, aber auch hauptamtliche Mitarbeiter in ihrer
Ausbildung und Fortbildung auf diese Form des Konfirmandenunter-
r'chts und der Laienmitarbeit bzw. auf die Aufgaben der missionarischen
Doppelstrategic vorbereitet werden?

Münster Hans Bernhard Kaufmann

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

I ngemann. Wilfried: Die Verkündigung als transaktiunales Ereignis
zwischen Prediger und Hörer. Eine Studie zur Anwendbarkeit der
Transaktionsanalyse auf homiletische Fragehinsichten. Relevanzen
und Probleme. Diss. Rostock 1985. VII, 155 S. u. 65 S„ XIX S.

Was spielt sieh ab. wenn einer darum bemüht ist. dem anderen
etwas mitzuteilen: sei es das Ergebnis einer Überlegung, sei es eine
Lebensweisheit oder sei es ein Gefühl? Man muß nicht erst eine Predigt
hören, um zu erleben, daß dieser Versuch ebenso gelingen wie
mißglücken kann - und nur selten hat dies mit akustischen Störungen
oder intellektuellen Defiziten zu tun. Ausgehend von dem Grundsatz,
daß sieh aber auch Predigt „in, mit und unter" den Bedingungen
zwischenmenschlicher Kommunikation vollzieht, werden in der vorgelegten
Dissertation die Ergebnisse und Verfahrensweisen der von E.
Berne begründeten Transaktionsanalyse (TA) - einer Kommunikationspsychologie
-auf die Homiletik angewendet.

Die Arbeit wird mit einem ausführliehen Exkurs zum Verhältnis
von Subjektivität und Objektivität eingeleitet (1.1.), wobei das Verständnis
dafür vertieft werden soll, daß der Prediger sich nicht heraushalten
kann aus dem Wort, das er sagt, sondern mitcnthalten ist in
dem, was dem Hörer unter der Verkündigung widerfährt. Auf diesem
Hintergrund werden noch im einleitenden Teil (2.) die „Ichzustände"
und „Lebenspositionen" als Grundmodelle der TA vorgestellt und
mit homiletischen Fragehinsichten in Beziehung gesetzt. Dabei repräsentieren
die Ichzuständc - eigenständige Systeme von Vorstellungen.
Gefühlen und Verhaltensweisen - die Persönliehkeitsstruktur der
Kommunizierenden: Eltern-, Erwachsenen- und Kind-Ich konstituieren
das Verhaltenspotcntial bei Prediger und Hörer. Die Kommunikationspartner
einer Predigt stehen sich jedoch auch in einer bestimmten
Lebensposition gegenüber, die als das Resultat jenes Prozesses
zu verstehen ist, in dem der einzelne versucht, sich selbst und die
Umwelt „auf einen Nenner zu bringen". Daraus ergeben sich die drei
Hauptteile det Arbeit.

Im ersten Teil wird auf der Grundlage umfangreicher Predigtanaly-
sen eine „Typisicrung" von Prediger-Ichzuständen vorgelegt, die
durch bestimmte Gottcsvorstellungen, bevorzugte Predigtthemen,
Spreehakte, Einstellungen zur Predigt etc. charakterisierbar sind.
Von daher ergeben sich vielfache Möglichkeiten der Interpretation
und Therapie homiletischen Fehlvcrhaltens, die in der Arbeit als das
Ergebnis verschiedentlich angewendeter TA auch aufgezeigt werden.
(4.). Der zweite Hauptteil erläutert anhand „komplementärer",
„gekreuzter" und „verdeckter Transaktionen", wie die beiden Ebenen
jeder Verständigung (Inhalts- und Beziehungsebene) in der Prediger-
Hörcr-Kommunikation zum Tragen kommen (6.2.). Dabei wird deutlich
, daß auch die während der Predigt einander gegenüberstehenden
Kommunikationspartnersich nicht nur Botschaften übermitteln, sondern
gleichzeitig entsprechende Haltungen zuweisen, die für das
(beabsichtigte) „Kommunikationsziel" (z. B. „Ankommen der Predigt
") erforderlieh sind. Die Ausgangssituation, in der die Kommunikation
einsetzt, wird im wesentlichen durch die Lebenspositionen und
Persönliehkeitsstrukturen der Beteiligten geprägt. Dabei ist dem Prediger
insofern mehr Aufmerksamkeit (als dem Hörer) zu widmen, als
er immer die Rolle des „Situationsmächtigen" übernehmen wird;
denn er verfügt vorrangig über den Gebrauch der Kommunikationsmittel
(Sprechton, Talar, Kanzel, zurückgelegte Wege im Gottesdienstraum
etc.). Das versetzt ihn in die Lage, den Hörer in „Spiele"
einzubeziehen. die an bestimmten stereotypen Strukturen von Stimulation
und Reaktion als solche erkannt werden (6.5.). Der Begriff
„Spiel" wird in der TA wertfrei zur Bezeichnung des Kommunikationsverhaltens
überhaupt verwendet. Das analysierte Spiel erhält seinen
Namen nach der Absieht, die die Kommunikation bestimmt. Bei
der Analyse von Predigten kommen vor allem charakteristische Wendungen
oder Predigtanfänge als Spiclnamen in Betracht.