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1986

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 6

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schaftlichen Buchgemeinschaft zu danken, daß sie mit der Edition
solcher Einführungen in theologische Grundprobleme wichtige und
unverzichtbare Arbeitsgrundlagen zur Verfügung stellt. Wenn es dann
gelegentlich gelingt, über die Einführung hinausgehende zukunftsweisende
Konzepte vorzulegen, kann das nicht die Normalerwartung an
diese Reihe sein.

Die Einführung wird ergänzt durch eine umfangreiche, aber keineswegs
vollständige Bibliographie, ein Personen- und Sachregister (bei
denen allerdings einige Fehler zu bedauern sind).

Wien Johannes Dantine

Agouridis, Savas: The Application of New Methods in the Study of Holy
ScripturesanditsUsefulness.(DBM4, 1985,5-23)

Brito, Emilio: Christologie, soteriologie, eschatologie Quelques ouvrages
recents. (RTL 16,1985,351-358)

Hintzen, Georg: Gedanken zu einem personalen Verständnis der eucharisti-
schenRealpräsenz.(Cath 39,1985,279-310)

Ruh, Ulrich: Bausteine für eine ökologische Schöpfungslehre. Überlegungen
aus Anlaß von Jürgen Moltmanns neuem Buch. (HK 39, 1985,472-475)

Schütte, Heinz: Zum Gedanken einer trinitarischen Entfaltung der Ekklesio-
logie.(Cath 39,1985,173-192).

Systematische Theologie: Ethik

Rieh, Arthur: Wirtschaftsethik. Grundlagen in theologischer Perspektive
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1984.
270 S. gr.8°.geb. DM 38,-.

Bei diesem Band ist der Untertitel auf jeden Fall mitzuhören,
wenn es nicht zu falschen Erwartungen beim Leser kommen soll.
Spezielle Fragen der Wirtschaft werden in ihm noch nicht behandelt
, sondern sind einem zweiten Band vorbehalten, dessen provisorische
Disposition am Ende bereits mitgeteilt wird. Hier geht es
nur um eine weit ausholende Grundlegung, die Hauptgestalten und
Grundaspekte der Ethik vorstellt und den theologischen Ansatz für
eine Sozialethik entwickelt. Wirtschaftsethik wird als „Anwendung
der sozialethischen Fragestellungen, Gesichtspunkte und Prinzipien
auf die wirtschaftlichen Grundprobleme", als „wohl wichtigstes und
auch schwierigstes Teilgebiet der Sozialethik" verstanden (67). So
liegt in diesem Buch eine Einführung in die theologische Sozialethik
überhaupt vor, die zugleich eine Reihe von neueren Konzepten in den
Sozial wissenschaften und der Theologie diskutiert. Das hebt das Buch
über eine Spezialmonographie hinaus und gibt ihm den Rang einer
zusammenfassenden Präsentation der sozialethischen Lebensarbeit
des Verfassers, der von 1954 bis 1976 als Nachfolger Emil Brunners in
Zürich gelehrt hat.

Sozialethik integriert den individual-, personal- und umweltethischen
Aspekt des Verhaltens, sofern es darin jeweils um institutionelle
Strukturen geht. Deswegen hat sich Sozialethik um den
Konnex mit den Sozialwissenschaften zu bemühen, um das „Sachgemäße
" zu berücksichtigen, ohne dabei vor vermeintlichen Sachgesetzlichkeiten
zu kapitulieren, die auf fehlgeleiteten Grundanliegen
basieren. Als ethisches Grundanliegen sieht Rieh die Suche
nach dem „Menschengerechten" an, das das „Umweltgerechte"
einschließt. Das Sachgemäße darf dem Menschengerechten nicht
widerstreiten (81) - mit diesem Leitsatz wird einer Berufung auf die
„Eigengesetzlichkeit" der Wirtschaft widersprochen, die sich einer
kritischen Befragung entzieht.

In theologischer Perspektive nennt Rieh das Menschengerechte
eine Humanität aus Glauben, Hoffnung, Liebe - „Grundworte, die
allgemeinmenschliche und nicht bloß speziell christliche Erfahrungen
in sich befassen" (105). Das spezifisch. Christliche dieser Humanität
zeigt sich erst angesichts des personal und strukturell
Bösen, weil erst das Kommen des Reiches Gottes davon zu erlösen
vermag. Aus dieser eschatologischen Dimension gewinnt jene Humanität
die notwendige „Antriebsenergie", um das Menschengerechte
zu erkennen und zu verwirklichen. Dabei spielt das Verhältnis
von Absolutem und Relativem eine wesentliche Rolle; denn das
Reich Gottes als das Absolute kann auf diese Weise nicht erreicht
werden, wohl aber eine relative Veränderung der Strukturen unter
den Kriterien des Menschengerechten. r

Methodologisch unterscheidet Rieh drei Ebenen sozialethischer
Argumentation: die Ebene „der fundamentalen Erfahrungsgewißheit
vom Humanen" (170), die Ebene ihrer prinzipiellen Kriterien,
die rational evident gemacht werden müssen, und schließlich die
Ebene der praktischen Maximen, die stets situationsbezogen sind
und im Relativen bleiben. Im vorliegenden Band wird die dritte (und
am meisten diskutierte) Ebene nur im letzten Kapitel nach ihren formalen
Aspekten angesprochen, während das Gewicht auf der Begründung
der beiden ersten liegt. Zum Grundsätzlichen ist in der
Sozialethik freilich oft eher Einverständnis zu erzielen als zu den
praktischen Urteilen in Einzelfragen.

So ist es durchaus einleuchtend, daß hier die Sozialethik auf dem
Begriff der Humanität aufbaut und die Suche nach dem Menschengerechten
als normativ deklariert. Ist es aber geraten, durch die Formulierung
der „Humanität aus Glauben, Hoffnung, Liebe" den Eindruck
zu erwecken, daß sie allein aus christlichen Wurzeln erwachse
? Rieh will allerdings die drei Begriffe „als Grundkategorien
humaner Existenz erwahren" (107); doch das reibt sich mit ihrem
gleich darauf aus theologischer Perspektive gewonnenen Verständnis
: Glauben ist „Erfahrung von Auferstehung" (121), Hoffnung
Warten auf die „adventische Zu-Kunft Gottes" (124) und Liebe
„Gabe Gottes, die dem Glaubenden und Hoffenden zum treibenden
Gebot wird" (125). Es wird nicht genügend geklärt, wie sich allgemeinmenschliches
Erfahrungswissen und theologisches Verständnis
zueinander verhalten.

Rieh nennt seinen Ansatz „existential-eschatologisch" und grenzt
ihn vom transzendentalen Ansatz des frühen Barth, von der Ordnungstheologie
Brunners und der Geschichtstheologie Shaulls ab. Dagegen
kommt die Auseinandersetzung mit den sozialethischen Konzepten
Marsch's oder Renstorffs zu kurz, und der Leser ertährt auch
zu wenig, ob sich die Unterscheidung von Absolutem und Relativem
mit der von Letztem und Vorletztem deckt, die ohne weitere Auseinandersetzung
von Bonhoeffer übernommen wird. Ob der Anschluß an
Zwingiis Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit
(229ff) in der aktuellen Diskussion weiter hilft als der von Rieh
ganz beiseitegelassene Bezug auf Luthers Unterscheidung der beiden
Herrschaftsweisen Gottes, bleibt ebenfalls offen. Vom Reich-Gottes-
Gedanken her, wie Rieh ihn im Anschluß an Ragaz oder Wendland
bevorzugt, ließe sich zudem ein stärkeres Eingehen auf die „Theologie
der Hoffnung" oder die „Theologie der Befreiung" denken, als es hier
geschieht.

Von zentraler Bedeutung in Richs Buch sind die sieben Kriterien
des Menschengerechten, die von ihm expliziert und auf die gesellschaftliche
Gerechtigkeit bezogen werden. Sie sind durchweg aus
anthropologischen Erwägungen gewonnen, denn sie haben „sich als
humane Kriterien schlechthin zu legitimieren" (172). Es gelingt Rieh
hier am ehesten, allgemeinmenschliche und rational evidente Beziehungen
deutlich zu machen, die mit der theologischen Tradition
vermittelt werden können. Das Ziel der gesellschaftlichen Gerechtigkeit
wird dabei weder durch Absolutierung uberhöht noch durch Anpassung
an das Bestehende unterlaufen. So kann man erwarten, daß
die „Erwägungen und Entscheidungen zum Ordnungsproblem in der
Wirtschaft", die im zweiten Band behandelt werden sollen, auf das
Ziel der gesellschaftlichen Gerechtigkeit hin durch diese Kriterien
wirklich kritisch offengehalten werden.

Der Verlag hat das Buch in ausgezeichneter Qualität herausgebracht
; ausführliche Register und Literaturverzeichnisse machen es
zu einem hervorragenden sozialethischcn Arbeitsbuch.

Leipzig Joachim Wiebering