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Ausgabe:

1986

Spalte:

466-467

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Wiederkehr von Religion? 1986

Rezensent:

Minor, Rüdiger

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 6

466

Die vorliegende von 1780 war von ihm selbst als abschließend verstanden
worden. Sie hat in den folgenden Auflagen nur geringfügige
redaktionelle Überarbeitung erfahren. (Der kritische Apparat notiert
alle Abweichungen in Schreibweise und Wortwahl.) Wesley hielt sie
für „umfangreich genug, um alle wichtigen Wahrheiten unserer aller-
heiligsten Religion, die gedanklichen wie die praktischen, zu enthalten
" (aus seinem Vorwort, §4, S. 730- Was er für wichtig hielt,
zeigt die Disposition, die seine eigene Schöpfung ist, eine „geistliche
Biographie der Menschen, die Wesley echte Christen nannte"
(B. Manning), eine „poetische .Pilgerreise'" (S. 58).

In diesen Liedern fanden die Mitglieder der methodistischen Socie-
ties ihre geistlichen Erfahrungen ausgedrückt und vorgeprägt, sie lebten
mit ihnen in den Versammlungen und in der Übung privater
Frömmigkeit. Nicht wenige sind durch eine singende Versammlung
angezogen und so Methodisten geworden (zu den auf S. 62 genannten
Beispielen kann u. a. noch der Vater des deutschen Methodismus
Christoph Gottlob Müller hinzugefügt werden). Singen ist ein wichtiger
Teil des methodistischen Gottesdienstes, das betont schon
Wesley in seiner Vorrede (§ 3, S. 73). Deshalb gab er auch Anweisungen
, wie man singen sollte ("Directions for Singing" 1761,
S. 765). Sie sind im Anhang abgedruckt zusammen mit den Vorreden
anderer Gesangbücher Wesleys, einigen auf die Musik bezüglichen
Gelegenheitsschriften (erheiternd die Vcrdammungdes Kontrapunkts
als „Verderbnis" des natürlichen Geschmacks - S. 768 f- ein Beleg für
die Wandlung des musikalischen Geschmacks im 18. Jh.), einer speziellen
Bibliographie und einer Reihe sorgfältiger und hilfreicher
Register (Melodien, Liedanfange, Bibelstellen). Einige Faksimilia -
unter ihnen (leider nur wenige) Melodien - illustrieren den gut ausgestatteten
Band.

Der deutsche Leser nimmt mit Bewunderung diese Lieder zur
Kenntnis, ihre großartige Sprache, ihre biblische Botschaft und die in
ihnen weitergegebene geistliche Erfahrung. Von dem allen ist in den
deutschen Kirchen nur ein Bruchteil bekannt, und dies auch nur in
den von der spätpietistischen Erweckungsbewegung berührten Kreisen
. (Selbst das gegenwärtige Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen
Kirche enthält nur sechs Lieder von Charles Wesley.) So
bleibt neben dem Dank an die Hgg. für die Hebung dieses Schatzes der
Wunsch nach kongenialen Nachdichtungen, die ihn auch der deutschen
Christenheit erschließen.

Bad Klosterlausnitz Rüdiger Minor

Philosophie, Religionsphilosophie

Schöllgen. Gregor: Handlungsfreiheit und Zweckrationalität. Max

Weber und die Tradition praktischer Philosophie. Tübingen: Mohr
1984. 125 S. gr. 8'. Kart. DM 48,-.

Der Autor versteht seine Untersuchung in erster Linie als einen Bei-
Uag zur Max-Weber-Forschung und nicht als einen zur philosophischen
Diskussion um den Handlungsbegriff. Doch setzt er mit einer
breiten philosophiegeschichtlichen Skizze zur Geschichte des Hand-
'ungsbcgrift's ein und schließtirüt ihrer Zusammenfassung die Untersuchung
ab. Bei Aristoteles sind Handeln und Arbeit noch deutlich
unterschieden; „die Möglichkeit freien, nicht fremdbestimmten Handelns
aus eigener Einsicht" (13) wird betont, während Arbeit durch
vorgegebene Zwecke und Mittel determiniert ist. Diese Distinktion
geht im Laufe der weiteren Entwicklung verloren. Das wird zuerst an
Kant und Hegel erläutert. Gegenüber Kants ethischem Handlungsbegriff
, der nur das innere, durch das moralische Gesetz bestimmte Tun
berücksichtigt, leitet Hegel historisch die Handlung aus der Arbeit her
und versteht systematisch Arbeit als eine Form des Handelns. Dabei
ist impliziert, daß Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft „als selbständiges
Tun des Individuums verstanden und legitimiert werden
kann" (40). Gerade dies wird jedoch von Karl Marx bezweifelt, derein

freies Handeln erst nach der Umwälzung der Produktionsverhältnisse
erwartet.

Auf dem Hintergrund dieser philosophiegeschichtlichen Entwicklung
wird nun Max Webers Begriff vom „sozialen Handeln" vorgestellt
. Der Autor formuliert: „Arbeit ist eine (freilich die idealtypischste
) Form zweckrationalen Handelns, zweckrationales Handeln ist
eine (freilich die idealtypischste) Form sozialen Handelns und soziales
Handeln ist schließlich eine (freilich die idealtypischste) Form
menschlichen Handelns" (45). Die Konzeption des „Idealtypus" ist
das wichtigste methodische Hilfsmittel Webers, um menschliches
Handeln wissenschaftlich adäquat zu erfassen. Weber folgt hier den
Interessen Wilhelm Diltheys und Heinrich Rickerts an einem werturteilsfreien
und möglichst „objektiven" Forschungsinstrumentarium
für die Kulturwissenschaften. Ebenfalls steht Weber dabei in der Tradition
von Kants Theorie der Einbildungskraft aus der „Kritik der
Urteilskraft". Zudem läßt sich in Webers Werk eine Entwicklung vom
historischen zum soziologischen Idealtypus feststellen, bei der dieser
die Funktion übernimmt, die bei Marx das „Gesetz" hat. nämlich
„menschliches Handeln in der Konsequenz als ein regel- bzw. gesetzmäßig
verlaufendes" zu begreifen (90).

Indem Weber nun speziell das zweckrationale Handeln als den
Idealtypus sozialen Handelns ansieht, legt er alles Gewicht auf den für
den Beobachter erkennbaren äußeren Handlungsablauf und kann die
Frage nach dem subjektiv je gemeinten Sinn konkreten Handelns
nicht mehr beantworten. Der Mensch „ist dem Prozeß einer durchgehenden
Rationalisierung, d. h. aber auch Entfremdung aller Lebensbereiche
unterworfen" (94). Zweckrationalität als Wahl der richtigen
Mittel für einen gegebenen Zweck besitzt nur idealtypischen Charakter
; nach Webers Meinung kann in der durchrationalisierten modernen
Welt „in der Mehrzahl der Handlungen nicht mehr von bewußter
Sinngebung gesprochen werden" (101). So sieht der Autor das Paradoxon
, „daß Weber die verfestigten Strukturen zweckrationalen Handelns
nicht mehr als Resultat sinnvoller bewußter Zielsetzung
behaupten kann, gleichwohl aber formell immer wieder die Frage
nach diesem (subjektiv nicht mehr gewußten) Sinn gestellt wissen
will" (109). Damit kommt der Autor zur Pointe seiner Argumentation
: Es ist „das Dilemma unzureichender begrifflicher Distinktion im
Feld der Handlungstheorie", weil die verschiedenen Weisen
menschlichen Tuns nicht differenziert und einlinig der Zweckrationalität
unterworfen werden und damit der Sinn dessen verlorengeht,
„was Handeln von Aristoteles bis Hegel auszeichnete, der Sinn
menschlichen Handelns aus freiem Entschluß" (115).

Die präzise formulierte und überaus klar gegliederte Untersuchung
endet also in einer fundamentalen Kritik an Max Webers Theorie.
Dem Leser bleibt überlassen, wo er die bessere Theorie finden kann:
in der Rückkehr zu Aristoteles - oder vielleicht bei Karl Marx?

Leipzig Joachim Wiebering

Oelmüiler, Willi [Hg.]: Wiederkehr von Religion? Perspektiven,
Argumente, Fragen. Paderborn-München-Wien-Zürich:
Schöningh 1984. 288 S. kl. 8* = Kolloquium Religion und Philosophie
, 1. Kart. DM 29,80.

Die Vorstellung, daß wir einer „völlig religionslosen Zeit" entgegengehen
, wie das Bonhoefter einmal formulierte, scheint jedenfalls
keine Beschreibung der Gegenwart zu sein. Es gibt sicher eine ganze
Reihe von Gründen, die für ein sichtlich gewachsenes religiöses Interesse
benannt werden könnten - aber wegdiskutiert werden kann es
nicht. Daher lohnt sich die Frage: Hat auch die Neuzeit eine „religiöse
Dimension"? (s. auch T. Rendtorff: Die Religion in der Moderne-die
Moderne in der Religion. ThLZ 110, 1985, 561-574) Gibt es etwas
wie eine „Wiederkehr von Religion"?

So lautet jedenfalls das Thema eines Kolloquiums, das die darin
liegende Herausforderung für Wissenschaftler verschiedener Konfession
und Weltanschauung aufzunehmen versuchte. Es fand 1983 in
Bad Homburg statt. Die Ergebnisse dieser Tagung werden hiermit