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Ausgabe:

1986

Spalte:

459-462

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Grosse Mystiker 1986

Rezensent:

Strohm, Stefan

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 6

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vollständig, wenn er nicht auch den Anteil der darin benutzten
Sprachen erfaßte. Es ergibt sich, daß von den 157 Beiträgen beider
Teile fast zwei Drittel (102) englisch und ein gutes Viertel (38)
französisch abgefaßt sind und daß von dem übrigen Zwölftel neun in
deutscher, fünf in italienischer und drei in spanischer Sprache vorliegen
. Aus diesen Zahlen darf man freilich nur mit größter Vorsicht
auf den Stand der patristischen Forschung in den verschiedenen Ländern
schließen, zumal nicht alle Beiträge zum Kongreß hier abgedruckt
sind und sich manche Verfasser ja nicht ihrer Muttersprache
bedient haben (vgl. Bd. XV, 26 und 399). Aber vielleicht kann man
der Statistik doch entnehmen, wo zur Zeit des 7. Kongresses ein
Arbeitsgebiet besonders gepflegt wurde. Darauf weist etwa die Feststellung
, daß alle vier Beiträge zu Chrysostomus und drei von vier
Beiträgen zu den „Editiones" französisch geschrieben sind, ferner, daß
von acht Arbeiten zu Origenes je drei französisch und deutsch abgefaßt
sind - das ist ein Drittel der deutschen Beiträge überhaupt. Das
wachsende patristische Interesse in Spanien hat sich jedoch in den
Kongreßveröffentlichungen nicht sprachlich niedergeschlagen.

Auch diesmal schließt ein alphabetisches Verfasserverzeichnis zu
allen Bänden der Studia Patristica die Veröffentlichung ab. Für ihr
Gelingen ist E. Livingstone als Herausgeberin und den Betreuern
U. und K. Treu sehr zu danken.

Sankt Augustin Heinrich Karpp

Ruhbach, Gerhard, u. Josef Sudbrack [Hg.]: Große Mystiker. Leben
und Wirken. München: Beck 1984.400 S.gr. 8°. Lw. DM 48,-.

„Man spricht gegenwärtig viel von religiöser Erfahrung, nicht weil
in der Kirche und dem von ihr geprägten Glauben so viele Erfahrungen
freigesetzt würden, sondern aus einem Mangel heraus.
Vielen Christen begegnet Gott selbst nur noch als Gegenstand der
Überlieferung, über den man spricht, in dem man aber nicht lebt", so
beginnt einer der 21 Autoren dieses Buches seinen Beitrag. Die damit
charakterisierte religiöse Situation im Abendland ist bekannt, auch
der Versuch, andere religiöse Traditionen ins Abendland zu verpflanzen
. Der durchschnittlich unterrichtete Leser dürfte von den
inneren Voraussetzungen der Teezeremonie mehr wissen als von
den Männern und Frauen, deren Leben in diesem Buch geschildert
werden. Darum ist so ein Buch wie dieses heute notwendig.

Die Vorüberlegungen Sudbracks gehen von der geistlichen Situation
des Abendlandes aus und nennen dann Gesichtspunkte, um
beim Phänomen Mystik das Christliche unterscheidbar zu kennzeichnen
. Bubers Beschreibung von zwei Geschehnissen, der Eins-
werdung der Seele und der Entrückung in der Liebe zu Gott, helfen
ihm dabei. Der Bezug auf Jesus Christus sei konstitutiv für christliche
Mystik, personalisierende Liebe, Verantwortung für Welt und Geschichte
und bleibender „Glaube". Gerade dieser Glaube verwehre es,
die Gotteserfahrungen als bleibenden „Besitz" zu verstehen, bei
Johannes v. Kreuz wie bei Hammarskjöld sei eher von einem
„nackten Glauben" zu sprechen, für Luthers „Glaube" habe man die
Formulierung eines „nos extra nos" gefunden. Das sind gewichtige
Überlegungen. Sie machen auch verständlich, daß unter den 20 Männern
und Frauen, die das Buch vorstellt, Luther vorkommt, und zwar
nicht bloß wegen seiner Beziehung zur sog. Deutschen Mystik, sondern
weil sein „Glauben" unter das Thema dieses Buches gehört. Das
ist richtig und nötig. Aber kaum daß der Leser - der Vorüberlegungen
wie der 20 Kurzbiographien - sich darauf (wie auf das andere Gebotene
) eingelassen hat, ist der Abschnitt schon zu Ende. Bei der
Anlage dieses Buches ist dieser Umstand jedoch ein Lob, es regt zu
weiterer Lektüre, zu sich fortsetzendem Studium an und gibt dafür
auch ausreichend Hinweise.

Jedem der 21 Autoren ist eine gediegene, zuverlässige Arbeit geglückt
. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie nach dem Schema gegliedert
: Leben, Werke, Lehre, Wirkung und Einfluß. Die Herausgeber
und Autoren stammen aus beiden abendländischen Kirchen. In

den Kreis der behandelten Männer und Frauen sind auch Vertreter
der Ostkirche einbezogen.

Die 20 Mystiker und Mystikerinnen sind zeitlich angeordnet. Ihre
Auswahl kann nicht Gegenstand einer Erörterung sein; wer andere
gern berücksichtigt sähe, wird keinen der vorliegenden Aufsätze
missen wollen. Gregor von Nyssa, Euagrios Pontikos, Augustinus,
Pseudo-Dionysios vertreten die Zeit der Alten Kirche. Die beiden
erstgenannten haben ihren Wirkungsraum vornehmlich oder ausschließlich
im Osten gehabt. Über das Gewicht des augustinischen
und des areopagitischen Werkes gibt es keinen Zweifel. Beim Areo-
pagiten wird auf die Gefahr verwiesen, ihn gnostisch mißzuverstehen.
Mit Symeon, dem Neuen Theologen, und Gregor Palamas sind große
Vertreter ostkirchlichen Mittelalters benannt, die Praxis des hesycha-
stischen Gebetes, das Erlebnis des Athos schlagen von beiden Männern
Brücken in die Gegenwart. Das abendländische Mittelalter ist
repräsentiert durch Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen,
Meister Eckhart und den Autor der Wolke des Nichtwissens. Bei den
drei Namen wird deutlich, wie wenig der Lebensraum des „Mystikers
" Beschränkung auf klösterliche Abgeschiedenheit erlaubt. (Im
Aufsatz über Eckhart blieb eine fatale Verwechslung Alfons Rosenbergs
mit Alfred Rosenberg stehen.) Der Beitrag über die Wolke
verweist auf T. S. Eliot und erinnert ausdrücklich an Schopenhauer,
verhält sich aber kritisch zur Parallelisierung der Wolke mit buddhistischer
Spirituafcät.

An der Schwelle zur Neuzeit stehen Martin Luther, Ignatius von
Loyola und Teresa von Avila. Luther in diesem Zusammenhang zu
finden, wird manchen Leser überraschen. Er wird gezeigt bekommen,
daß Luther das Innewerden eines Vereintseins mit Gott kennt, und
das sei Mystik. Dabei habe der späte Luther eine höchst eigentümliche
Form dieser Mystik herausgebildet. „Ein Leib, Ding, Kuchen" sind
Erläuterungen des Einsseins. Dann findet sich die Rede vom erfreulichen
Tausch zwischen Christus und dem Menschen. Glaube ist auch
der Brautring oder Mahlschatz in der geistlichen Bindung des Christen
an Christus. Luther, Ignatius und Teresa sind nicht nur Zeitgenossen,
sie verstehen ihr Leben als Beitrag zur Erneuerung der Kirche. Was
bedeuten diese drei allein schon in der Geschichte des Gebets!

Drei Namen stehen für röm.-kath. Mystik der Neuzeit: Franz von
Sales, Charles de Foucauld und Henri de Saux (Abhishiktananda). Es
gilt für jeden, was an dieser Stelle einmal erwähnt werden soll: Das
jeweils tiefer im Wesentlichen Leben hebt die Unverwechselbarkeit
der Persönlichkeit nicht auf, verstärkt sie eher. Der eine wird Bischof
von Genf und besteht einen randvollen Arbeitsalltag. Der andere lebt
einsam unter den muslimischen Tuaregs, aber nach seinem Tod hat er
Nachfolger. Der dritte taucht in die Welt der Hindus ein und vollzieht
die Advaita-Erfahrung nach.

Aus der Ostkirche ist Theophan der Rekluse vorgestellt, ein Gelehrter
, ein Bischof, ein Einsiedler, ein „Theologe des Herzens". Ter-
steegen, Oetinger und Hammarskjöld sind drei Männer aus dem Bereich
evangelischen Kirchentums: Ein „Stiller im Lande", dessen
Gedanken von vielen aufgegriffen wurden. Einer, der aus Bibel und
Natur eine „Heilige Philosophie" entwickelt - Theologen, Theo-
sophen und Dichtern Anregung, ja Nahrung vermittelnd. Schellings
und Hegels Lebenswerk wurzelt im Weltbild Oetingers. Und der letztgenannte
, einst ranghöchster politischer Beamter der Welt, wird erst
nach s.einem Tod als Mystikerhekannt.

Das gelungene Buch wird kaum die Einzelforschung gefördert
haben. Doch in seiner Zuverlässigkeit hat es die Möglichkeit, das
religiöse Bewußtsein der Gegenwart zu verändern, indem es weitgezogene
Kreise mit dem Leben des Christentums bekannt machen
kann.

Rostock Peter Hcidrich

Wünsch, Dietrich: Evangelienharmonien im Rcformationszeitalter.

Ein Beitrag zur Geschichte der Lebcn-Jcsu-Darstellungen. Berlin
(West)-New York: de Gruyter 1983. XL 282 S. m. 2 Abb., 7 Falt-
tab. gr. 8' = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 52. Lw. DM 142,-.