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Ausgabe:

1986

Spalte:

24-27

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Gerhard

Titel/Untertitel:

Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? 1986

Rezensent:

Strecker, Georg

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Theologische Literaturzeitung I 1 I.Jahrgang 1986 Nr. 1

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sieht und ihren eigenen unverwechselbaren Ausdruck. So ist z. B. Phi-
lons philosophisches System, ganz im Gegensatz zu der hellenistischgriechischen
Philosophie seiner Zeit, nur vom GottesbegrifT her zu
verstehen, findet die Intellektualisierung der Religion in Lewi ben
Gerson (Gersonides) ihren unüberbietbaren Höhepunkt, und bei wohl
keinem anderen Philosophen ist der innerweltliche Dialog so auf Gott
bezogen wie bei Martin Bubcr. Angesichts des Letztgenannten wird
aber auch deutlich: die Geschichte der jüdischen Philosophie ist auch
die Geschichte ihrer Verfolgung und der Verfolgung ihrer Vertreter.
Jüdische Philosophie läßt sich nicht aus der Geschichte der Pogrome
herausnehmen.

Z. B. (1.) Moses ben Maimon (Maimonides), der größte jüdische
Gelehrte des Mittelalters, wurde in Cordova geboren, zog dann von
Spanien über Fes in Nordafrika nach Akko in Palästina, um endlich in
Altkairo seine Heimat zu finden. Seine erste wichtige Schrift war ein
„Schreiben über den Glaubenszwang" und eine Antwort auf ein Gutachten
, in dem festgestellt worden war, statt des Scheinbekcnntnisscs
zum Islam habe der fromme Jude den Märtyrertod zu wählen. Maimonides
hält dagegen: die göttlichen Gebote helfen zum Leben, nicht
zum Tod. (2.) Tragische Dimensionen nimmt die Geschichte in der
Biographie des Isaak Abravanel an. Vom König von Kastilien zum
Steuerpächter berufen, bringt er die zerrütteten Staatsfinanzen wieder
in Ordnung, die dem König erlauben, Krieg zu führen und den letzten
muslimischen Staat auf der iberischen Halbinsel zu zerstören. Dies
war die Voraussetzung der Judenvertreibung aus Spanien. (Und
schließlich 3.) Moses Mendelssohn hat in seinem Buch „Jerusalem
oder über religiöse Macht und Judentum" die erste theoretische Begründung
eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Juden und
Christen gegeben - aber seine Hoffnungen haben sich nicht verwirklicht
; seine Überzeugungen haben der grausigen Wirklichkeit der (ie-
schichte nicht standgehalten.

Uns bleibt Hoffnung, was Moses Mendelssohn in seinem „Phädon"
schreibt: „Das Schicksal eines einzigen Menschen in seinem gehörigen
Lichte zu betrachten, müßten wir es in seiner ganzen Ewigkeit
übersehen können. Alsdann erst könnten wir die Wege der Vorsehung
untersuchen und beurteilen, wenn wir die ewige Fortdauer eines vernünftigen
Wesens unter einen einzigen, unsrer Schwachheit angemessenen
Gesichtspunkt bringen können; aber alsdann seid versichert,
meine Lieben, würden wir weder tadeln, noch murren, noch unzufrieden
sein, sondern voll Bewunderung die Weisheit und Güte des Weltbeherrschers
verehren und anbeten." (Phädon oder über die Unsterblichkeit
der Seele in drei Gesprächen von Moses Mendelssohn, Weimar
1920, Martin Biewald Verlag, 1040 Möge der Welt diese
Mendelssohn'sche Zuversicht bleiben.

Gnadau Gerhard Begrich

Neues Testament

('■■Ilmann. Oscar: Einführung in das Neue Testament. Aus dem Franz.
von [. Vogelsanger-de Roche. 2. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1984. 1 58 S. 8- = GTB/Siebenstern 1409.
Kart. DM9,80.

Schon in zweiter Auflage ist die deutsche Übersetzung der im Jahre
1966 französisch verfaßten Einführung in das Neue Testament von
dem bekannten Basler Neutestamentier erschienen. Das Büchlein bietet
eine populär geschriebene Übersicht des Stoffes, eine Einleitung in
allen ihren drei klassischen Teilen: Textgeschichte, spezielle Einleitung
und die Kanonsgeschichte.

Auch wenn es sich um eine Schrift handelt, die für eine breitere
Leserschaft bestimmt ist, spürt man, daß mehrere Kapitel Ergebnisse
der monographisch publizierten Studien des Altmeisters widerspiegeln
, aber jetzt sein Bild der urchristlichen Literatur in einer übersichtlichen
Kurzfassung dargeboten wird. Seine Positionen wurden oft
als konservativ etikettiert. Das ist zwar eine subjektive Einschätzung,

aber die Korrekturen, bzw. sachliche Deutungen dieser Etikette können
wir zur formalen Gliederung unserer Besprechung benutzen.

„Konservativ" heißt hier in vieler Hinsicht einfach „verläßlich".
C. will nicht etwas Originelles bieten und dort, wo er es könnte, schildert
er die Meinung der Mehrheit der Neutestamentier: in der synoptischen
Frage, wo er von der Zweiquellcntheorie ausgeht, in der Datierung
der Evangelien und der paulinischen Hauptbriefe, in der Einschätzung
der formgeschichtlichen Schule als einer unwiderruflichen
Etappc der Forschung und in der ganzen Text- und Kanonsgeschichte
.

Konservativ ist C. jedoch auch in dem Sinne, daß seine Lösung in
mehreren strittigen Fällen der traditionellen Sicht nähersteht. Soz. B.
in der Datierung der Gclängenschaftsbricfc in die römische Gefangenschaft
, in dem Versuch, in den Pastoralbriefen Fragmente authentischer
paulinischer Korrespondenz zu suchen oder in der Tendenz
zur Verteidigung der Echtheit des Epheserbricfcs. In allen diesen Fällen
informiert er jedoch auch über die anderen Meinungen.

„Erfolgreich konservativ" kann man C. in dem Sinne nennen, daß
er. wenn auch oft in einer modifizierten Weise, seine älteren Thesen
aufnimmt, die man vor einigen Jahren für überholt hielt und die man
jetzt doch als eine unüberhörbare Stimme ernst nehmen muß. Gerade
in dieser kurzen und mit robusten Zügen skizzierten Darstellung tritt
das berechtigte Hauptanliegen seiner älteren bekannten Monographien
deutlicher hervor. Sein Konzept der Heilsgeschichte aus den
Studien „Christus und die Kirche" oder „Heil als Geschichte" wurde
mit Recht kritisiert, aber seine jetzigen Ausführungen über den
geschichtlichen Charakter der Offenbarung Gottes in Jesus Christus
und über die Konsequenz, die daraus zu ziehen ist, nämlich daß die
Reihenfolge der Zeugnisse des Allen und des Neuen Testaments
irreversibel ist, ist ein berechtigtes und nicht immer ganz selbstverständliches
Anliegen. Auch die Überzeugung, daß Jesus ein mcssia-
nisches Bewußtsein hatte (s.S. 121), wird heute nicht so skeptisch
beurteilt, auch wenn wir die Anwendung des messianischen Hohcits-
titels kritischer beurteilen als C. Ähnliches gilt von Cullmanns Bestimmung
des religionsgeschichtlichen Hintergrundes der johannci-
schen Schriften, vom Bewußtsein einer Durchdringung der Äone. das
für mehrere Schichten des Neuen Testaments bezeichnend ist. oder
über die These von der inneren Affinität der SajiVe/o-Verkündigung
und der Sündenvergebung bei den Synoptikern zu der paulinischen
Rechtfertigungslehre.

Zuletzt ist C. auch in dem guten Sinne konservativ, daß er Theologe
bleibt, der vor der Pflicht, theologische Konsequenzen der historischen
und literarkritischen Forschung anzudeuten, nicht flüchten
will.

Der Laie wird für das Büchlein dankbar sein, die Fachleute lädt es
ein, sich mit Cullmanns älteren Beiträgen erneut ernst auseinanderzusetzen
.

Prag Petr Pokorny

I.oh link. Gerhard: Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Zur gesellschaftlichen
Dimension des christlichen Glaubens. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1982. 223 S. 8". Kart. DM 22,80.

Dieses Buch des Neutestamentiers an der katholisch-theologischen
Fakultät in Tübingen ist aus Vorträgen entstanden, die im Jahr 1981
in den Bistümern Limburg und Rottenburg-Stuttgart gehalten wurden
und in denen der Verfasser der Frage nachgeht, aufweiche Weise Jesus
„sich die Gemeinschaft des wahren Israel vorgestellt" hat und „wie
Kirche heute auszusehen hätte" (S. 7). Solcher Versuch hat die Intention
, „das Erbe des Individualismus", das der Verfasser besonders in
A. von Harnack verkörpert sieht, zu überwinden (S. 1 1 II).

Der angezeigte Weg wird mit dem Blick auf das Verhältnis von Kirche
und Israel beschritten. Der erste Teil steht unter der Überschrift
„Jesus und Israel" (S. 17-41). Nach dem „Israelbezug der Täuferpredigt
" skizziert der Verfasser die Verkündigung Jesu: Die Einsetzung
der 12 Jünger wird als „prophetische Zeichenhandlung" Jesu