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Ausgabe:

1986

Spalte:

444-447

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Die volkssprachliche Rezeption des Erasmus von Rotterdam in der reformatorischen Öffentlichkeit 1519 - 1536 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 6

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„Stubengelehrte", war erfolgreicher: „Sein Traktat wurde gelesen und
erreichte im 14. Jahrhundert einige Bedeutung" (155). Sie könnte „die
Krönungszeremonie vom 15. August 1347, mit der das Tribunat Cola
di Rienzos seinen Höhepunkt erreichte, beeinflußt" haben (158).
Bloch bietet den Text des „Liber dignitatum Romani imperii"
(161-171), den er als die „Urgraphia" vorgestellt hatte (127 141). Eine
Textedition bietet auch Arno Borst am Schluß seines Aufsatzes „Ein
Forschungsbericht Hermanns des Lahmen". Dieser war bei der Berechnung
von Daten im Heiligenkalender auf Ungenauigkeiten gestoßen
. Er berichtet seinem Freunde Details über die Berechnung des
Mondmonats. „Die hier geschilderte neue Erkenntnis grenzt ans Unglaubliche
." (425) Jener Brief ist „ein Schlüsseldokument für Hermanns
Lebenswerk" (426). Danach schrieb er 1042 seinen Compotus,
der Erkenntnisse des „Forschungsberichts" anwendet. Hermann
„schenkte den Mitmenschen, wovon sie kaum zu träumen wagten,
eine zuverlässige Uhr am Firmament, und nahm ihnen die Angst vor
unheimlichen Himmelszeichen. Das Eintreten von Neumond und
Vollmond ließ sich auf Bruchteile von Stunden, auf Punkte und Teilchen
genau angeben für gegenwärtige, vergangene und zukünftige
Zeiten" (430). Leider fanden diese Forschungen keine Fortsetzung,
woran die gregorianische Reform des endenden 1 1. Jhs. Schuld hat
(459). Hermann wurde als Historiker benannt; seine Bedeutung für
die Geschichte der Emanzipation der Naturwissenschaft nennt man
„höchstens am Rande" (471). - Auch Rolf Kuithan und Joachim
Wollasch bieten eine Edition; „Der Kalender des Chronisten Ber-
nold" (495-522). Es gibt zwar schon 3 Editionen, aber jener „Kalenderenthält
wesentlich mehr Einträge" (483). Neben den Festen der
Heiligen ging es um „Notizen necrologischer, astronomisch-compu-
tistischer, historiographischer und medizinischer Art" (484). Theo
Kölzer untersucht „Die sizilische Kanzlei von Kaiserin Konstanze
bis König Manfred (1195-1266)". Es gab eine „Vielzahl personeller
Querverbindungen zwischen päpstlicher Kurie und kaiserlicher
Kanzlei". Eine kirchliche Gruppe hatte großen Einfluß bis zu einem
freilich nur vage zu erahnenden „Umschwung, der sich spätestens um
1227 innerhalb der Kanzlei vollzieht, als der Tod Honorius III. die
päpstlich-kaiserliche Zusammenarbeit beendete" (540). Die Sprache
der Kanzlei führt zurück auf normannische Tradition und „damit
mittelbar auch die Sprache der päpstlichen Kurie, Gedankengut der
deutschen Kanzlei und Anleihen bei liturgischen Texten, vor allem
der Vulgata" (555). Auffällig ist „die betonte Sakralisierung des Herrschers
" (555). - Wolfgang Gieses Beitrag „Der Reichstag vom
8. September 1256 und die Entstehung des Alleinstimmrechts der
Kurfürsten" (562-590) verweist auf ein Schreiben Papst Alexanders
IV., der sich 1255 wegen der Wahl „an alle deutschen Fürsten
und Städte wendete" (572); von Kurfürsten ist keine Rede. 5 Kandidaten
bewarben sich um die Nachfolge, eine Einigung war kaum zu erwarten
. Giese vermutet, „daß der September-Reichstag sich zur Stimmendelegation
entschloß" (585). Der Verzicht auf die eigene Stimme
war „nur erfolgt, um eine augenblickliche Stagnation zu überwinden"
(588). 17 Jahre danach sah man 1273 in der Wahl durch Kurfürsten
offenbar schon „eine Art gewohnheitsrechtliche Handlung und fragte
nicht mehr lange nach Ursprung und Sinn" (590).
Nachstehend seien die 6 Miszellen genannt;

Gerhard Schmitz, Die Überlieferung der sog. „Abbreviatio Ansegisi et
Benedicti Levitae". Mit einem Anhang: Die Abbreviatio- und Dacheriana-
Rezeption in der 17-Bücher-Sammlung; Alain J. Stoclct, Zur politischreligiösen
Tendenz der Chronik Frutolfs von Michelsberg: Hartmut Boock-
mann. Über Schrifttafeln in spätmittelalterlichen deutschen Kirchen; Rudolf
Schieffer, Die Iren und Europa im frühen Mittelalter. Ein Bericht: Hans-
Eberhard Hilpert, Zu den Rubriken im Register Gregors VII. (Reg. Vat. 2);
Myron Wojtowytsch, Proprio auctoritates apostolice sedis. Bemerkungen
zu einer bisher unbeachteten Überlieferung. Der Band enthält Nachrufe
auf R. Morghen und K. Jordan sowie Berichte über die Tätigkeit der Pius-
Stiftung für Papsturkundenforschung sowie über den Stand der Germania sacra
des Max-Planck-lnstituts fürGeschichte in Göttingen. Die Seiten 225-370 und
622-763 bieten Besprechungen und Anzeigen.

Rostock Gert Haendler

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Holeczek, Heinz: Erasmus Deutsch. 1. Die volkssprachliche
Rezeption des Erasmus von Rotterdam in der reformatorischen
Öffentlichkeit 1519-1536. Stuttgart: fromman-holzboog 1983.
339 S.gr. 8°.

Holeczeks (= H.) Arbeit, eine überarbeitete Freiburger Habil.-
schrift von 1981, ragt aus der Fülle der neueren Publikationen zur
Reformationsgeschichte heraus. Der Autor wendet sich mit der
Untersuchung der deutsch-sprachigen zeitgenössischen Erasmusrezeption
zugleich dem kaum beachteten Gebiet der Übersetzung im
Verlauf der reformatorischen Bewegung zu. Außer in Bibliographien
oder Beiträgen zur Druckgeschichte war bislang hierzu selten Stellung
genommen worden. H. betritt in gewisser Weise also Neuland in der
Reformationsgeschichtsschreibung, und entspricht damit zugleich
dem Trend zur Rezeptionsgeschichte.

Im vorliegenden Bd. beschäftigt sich H. mit den deutsch-sprachigen
Erasmusschriften zur Bibel und zur Reformation, die zu Lebzeiten des
großen Humanisten erschienen. In einer ausführlichen Einleitung
(9-42) begegnet der Leser sofort den Stärken und Schwächen des
Buches. Er wird in gut lesbarer Form ausführlich in die sachlichen und
methodischen Probleme eingeführt. Die Darlegung ist aber bisweilen
so breit angelegt, daß Wiederholungen nicht ausbleiben und der
Wunsch nach Straffung aufkommt (vor allem in den Ausführungen
zur Druckgeschichte, 64flf, 81 ff u. ö.; aber auch sonst, z. B. 238f:
Doppelter Quellenverweis Anm. 59 und 61, 270: Paraphrase und
Zitat). Dieser Zug verbindet sich mit einem starken Interesse an
Begriffsklärungen. H. verwendet „Reform" übergreifend für die drei
„reformerischen Grundpositionen der reformdiskutierenden Öffentlichkeit
" (28), die sich seit ca. 1525 stärker voneinander trennten als
Reformation, Humanismus und katholische Reform. Zugleich richtet
er an die gegenwärtige Diskussion um die Flugschriftendefinition
gewichtige Fragen (33-36). Er möchte „für die Frühzeit bis etwa gegen
1524 vornehmlich von .reformatorischer Bewegung' und erst ab 1525
von .Reformation' sprechen" (36). Daß unmittelbar darauf von „der
frühen Reformation (bis 1524/25)" die Rede ist (37), signalisiert den
begrenzten Wert und die beschränkte Durchsichtigkeit dieser einführenden
Klärungsversuche, zumal die Definitionen erst nach längerem
Anlauf zu finden sind und vom Autor auch nicht konsequent angewendet
werden. Ähnliche Unschärfcn sind im Blick auf Rezeptionsund
Wirkungsgeschichte zu beobachten (z. B. 15). Zumindest ungewöhnlich
ist die Verwendung von „biblizistisch" als Terminus für die
Erasmusschriften zur Bibel, ungebräuchlich das alte Wort „Hauptstück
" für die Gliederung des Buches. Auch sonst stößt der Leser hier
und da auf Abweichungen von der üblichen Terminologie (z. B. 205:
„Inschrift" und „Überschrift" statt „lebende Kolumnen").

Im „1. Hauptstück: Die deutschen Ausgaben aus den biblizisti-
schen Schriften des Erasmus" (43-128) befaßt sich H. im 1. Teil mit
den deutschen Bibelausgaben nach der neuen Version des Erasmus
(1521-1524). Er rechnet zwischen 1518 und 1525 mit einer Gesamtauflage
von 35 000-45 000 Exemplaren der lateinischen NT-Drucke
nach der Version des Erasmus von 1519. Davon erschienen, vorwiegend
Teildrucke (die Evangelien und einige Apostelbriefe), annähernd
85 deutsche Ausgaben. Voran geht die Wort-für-Wort-Übersetzung
des Mt von Johannes Lang 1521, ihm folgt 1522 der Querfurter Pfarrer
Nikolaus Krumpach mit Übersetzungen von 1 und 2Petr. 1 und
2Tim, Tit, Gal, Joh und Urban Rhegius, ebenfalls 1522 mit Tit.
Wenn auch Ende 1522 „diese Entwicklung zum deutschsprachigen
NT nach dem Novum Testamentum des Erasmus abgebrochen"
wurde durch das Erscheinen von Luthers Septembertestament, so ist
festzuhalten, daß Erasmus nicht nur die philologischen Voraussetzungen
„für die volkssprachliche Bibel geschaffen und diese argumentativ
auf breiter Ebene durchgesetzt" hat, sondern daß „aufgrund der
zahlreichen deutschen Auszüge aus seiner lateinischen Bibclversion"
1522 eine breite Bibellesebewegung im deutschen Sprachraum