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Ausgabe:

1986

Spalte:

436-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schenk, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Philipperbriefe des Paulus 1986

Rezensent:

Rese, Martin

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 6

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der Taufe „durch den rituellen Tod... auch den Weltelementen
gestorben [ist], so daß er nicht mehr unter den Vorschriften einer
durch Weltangst bedingten Askese steht" (S. 235). Dies sei keine
gnostische, wohl aber eine „gnostisierbare" Vorstellung, die in
gnostischen Schriften später aufgenommen werde (S. 240).

Das letzte Kapitel behandelt „die Eschatologie im Eph"
(S. 240-448). Wie zuvor stellt L. auch hier m. E. im wesentlichen
richtig zunächst das „Einst-Jetzt-Schema" und das „Revelations-
schema" dar. Allzu selbstverständlich setzt er freilich voraus, daß es in
Eph 2,11 ff um das Verhältnis Kirche - Israel gehe, wobei L. widersprüchlich
argumentiert: Einerseits handele es sich „nicht um eine
heilsgeschichtliche Entwicklung, im Sinne, daß Israel eine heilsgeschichtliche
Phase darstellt"; andererseits aber sei die Kirche „nicht
ein absolutes Novum in der Geschichte. Israel repräsentiert die Wirklichkeit
der Heilsgeschichte vorder Kirche als tatsächliche Geschichte
des Heils" (S. 269). Ähnlich problematisch ist die Auslegung von
Eph 1,9f. Richtig konstatiert L„ daß im Verb ävaxe.(palaubaaax)ai,
„eine Zukunftsperspektive gar nicht gegeben" sei; doch er fährt
fort: „Sie ist jedoch vorhanden, aber nur in der Gestalt der Kirche"
(S. 2750- L. sieht richtig, daß Eph 2,5-7 eine Schlüsselaussage für die
Eschatologie des ganzen Briefes enthalten; er deutet diese aoristische
Eschatologie als den Anfang eines „Sprachphänomens" (S. 408): Der
Verfasser des Eph habe - wie schon Kol - zwar nicht mehr auf apokalyptische
Begrifflichkeit zurückgegriffen; er habe seine Vorstellung
aber auch nicht aus dem religiösen Umfeld - vor allem nicht aus der
ohnedies erst viel später entstandenen Gnosis - übernommen, sondern
sie im Gegenteil selbst geschaffen. L. bietet in diesem Zusammenhang
eine breite Darstellung des Verständnisses von Taufe und
Auferstehung in der Gnosis, wo sich aber lediglich die Wirkungsgeschichte
der nach L. von den Gnostikern hoch geschätzten paulini-
schen Tradition zeige (S. 374-418; L. referiert die Kirchenväter sowie
ExAn, EvPhil und Rheg aus Nag Hammadi).

Relativ knapp ist in diesem Kapitel der Abschnitt „Eschatologie
und Situation" (S. 428-448), in dem L. von der Annahme ausgeht (!),
„daß Eph ein echter Brief ist, der über die Kirche anläßlich einer konkreten
Gemeindesituation reflektiert" (S. 430): Die Gemeinde sei, wie
die Paränese zeige, von der Gefahr einer Anpassung an die heidnische
Umwelt bedroht gewesen, wogegen der Verfasser die Erinnerung an
die Bindung an das Judenchristentum setze. Zwar werde dies Thema
in Eph 4-6 nicht behandelt; dennoch sei klar, daß der Autor „die
Gefahr einer .heilsgeschichtlichen Entwurzelung' der Heidenchristen
erkannt" habe, „nicht zuletzt wegen der Bedrohung durch die heidnische
Umwelt" (S. 444). Hier stützen sich offenkundig mehrere unbewiesene
Hypothesen gegenseitig und lassen den Eindruck entstehen,
man könne die konkrete Situation des Eph beschreiben und seine
Theologie von daher erklären. Daß Eph sich im 2. Jh. nicht durchgesetzt
habe, liege freilich dann doch an dessen Verfasser selbst,
denn: „Wo es um konkrete Lebensgestaltung von Heiden- und Judenchristen
geht, darf sich die Ermahnung und die Belehrung nicht auf
Grundsätzliches reduzieren" (S. 448). Darf man wirklich die konkrete
Situation des Eph so genau bestimmen und gleichzeitig behaupten,
der Verfasser habe sich darüber aber gar nicht konkret genug geäußert
? Den Schluß des Buches bilden (fünft „Abschließende Bemerkungen
zur Eschatologie der Deuteropaulinen" (S. 449f).

L.s Buch ist im exegetischen Detail sorgfaltig und im kritischen Forschungsreferat
informativ und hilfreich, wenn auch nicht unbedingt
immer wissenschaftlich originell. Seine eigentliche These scheint mir
freilich überaus problematisch zu sein: Die Korrektur von Rom 6
durch Kol 2.12 und vor allem Eph 2,5tT ist /Joch nicht einfach ein
„Sprachphänomen"; und selbst wenn man sich auf die Erklärung
einläßt, die Verfasser der Deuteropaulinen hätten sich des apokalyptischen
Sprachmodells nicht mehr zu bedienen vermocht und deshalb
ein eigenes geschaffen (s. o.), so muß man doch fragen, warum dies
geschah und ob es wirklich ohne jeden Anstoß von außen erfolgte. L.s
Bestreitung der Existenz jeglicher Form von Gnosis zur Zeit der Abfassung
von Kol und Eph ist, gerade angesichts der Wichtigkeit dieser

chronologischen Annahme für seine These insgesamt, nicht genügend
begründet. Und wenn, wie L. meint, für beide Briefe die Situationsbe-
zogenheit so zentral wichtig ist, dann muß doch zumindest die Frage
erörtert werden, warum Kol und Eph von ihren Verfassern als „Briefe
des Paulus" konzipiert wurden, die zur Zeit ihrer „Ankunft" bei den
Adressaten ja mitnichten direkt auf die „konkrete Situation" bei
diesen eingehen konnten. L. erklärt in diesem Zusammenhang m. E.
doch etwas zu schlicht, daß dem Kol anders als 1 Kor eine Korrespondenz
zwischen der Gemeinde und dem Verfasser (!) nicht vorangegangen
sei; doch könne das Problem, wie der Verfasser von der Situation
in der Gemeinde Kenntnis nahm und in welcher Beziehung er zu
ihr stand, „hier nicht diskutiert werden" (S. l90Anm. 169).

L.s Untersuchung bestätigt, daß die Eschatologie des Kol und des
Eph im Urchristentum ohne Parallele ist und daß sie insbesondere
nicht als im Kontext oder in der unmittelbaren Tradition paulinischer
Theologie stehend vorgestellt werden kann. Die Abweisung jedes religionsgeschichtlichen
Erklärungsversuchs für diesen Sachverhalt vermag
(mich) aber nicht zu überzeugen.

Bethel Andreas Lindemann

Schenk, Wolfgang: Die Philipperbriefe des Paulus. Kommentar.
Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1984. 352 S. gr. 8".
Lw. DM 98,-.

Schon der Titel dieses Kommentars verrät, daß Sch. sich in einem
Punkt voll dem anschließt, was heute viele Neutestamentier annehmen
, nämlich, daß sich der uns überlieferte Philipperbrief aus
mehreren Fragmenten zusammensetzt. Für Sch. sind es (mit Schmit-
hals)drei Fragmente: Phil A(4,10-23), Phil B(l,l bis3,1;4,4-7)und
Phil C (3,2-4,3.8-9). Sonst will Sch. jedoch etwas Neues bieten, nicht
aber einen Kommentar üblicher Art. Das macht er in seiner Einleitung
„Linguistik und Exegese" (13-28) unmißverständlich deutlich
. Er selbst ordnet sein Unternehmen als „Analyse-Experiment"
(13) „eines stärker linguistisch reflektierten, neutestamentlichen
Kommentars" ein und hofft, mit ihm zu zeigen, „daß es hinter eine
sich linguistisch präzisierende Exegese kein Zurück mehr gibt" (14).
Sch. ist davon überzeugt, einzig so erreiche „die exegetische Erfassung
des Textsinnes... den höchstmöglichen Grad der Erklärungsad-
äquatheit" (13). Für ihn ist „Exegeseziel ... die kommunikativ äquivalente
Ubersetzung eines neutestamentlichen Textes" (20). Methodisch
gilt ihm die Übersetzung als „ein Metatext zweiter Ordnung, da
er vom Metatext der exegetischen Erschließung abhängt" (35). Diese
Erschließung vollziehe sich durch „eine geordnete (methodisch
durchgeführte) Befragung eines Textes nach seiner Zeichengestalt
(Textsyntax), seinem Zeichengehalt (Textsemantik) und seinem
Sinn/seiner Funktion (Textpragmatik)" (20). Wenn Sch. etwas später
formuliert: „Was ein Text bedeutet, wird dadurch herausgearbeitet,
daß man untersucht, wie seine Bedeutung zustande kommt" (28). so
scheint er damit diese Befragung auf die beiden ersten Aspekte (Textsyntax
und Textsemantik) zu beschränken. Wie dem auch sei, sicher
ist, daß im Kommentar selbst diese beiden Aspekte mit Abstand den
größten Raum einnehmen.

Aus Sch.s methodischem Ansatz ergibt sich die augenfälligste formale
Besonderheit seiner Auslegung: Die Übersetzung des griechischen
Textes steht bei jedem Textabschnitt erst am Ende der Erklärung
und nicht wie sonst häufig am Anfang. Es entspricht diesem Ansatz
auch, daß Sch. nicht wie üblich die „Einlcitungsfragen geschlossen
am Beginn seines Kommentars behandelt; erst am Schluß bietet er
einige knappe Bemerkungen zu diesen Fragen, und zwar unter der
Überschrift „Literaturgeschichtliche Zusammenfassung" (331-340).
Im Aufbau folgt der Kommentar nicht der Textanordnung des vorliegenden
Philipperbriefes, sondern der zeitlichen Reihenfolge der
Brieffragmente, so wie Sch. sie sieht. Bereits die Überschriften zu den
einzelnen Textabschnitten lassen erkennen, als was Sch. sie jeweils
einschätzt: „Der Dankbrief Phil A (4,10-20)", 29-67; „Ein Briefschluß
, PhilA (4,21-23)", 68-75; „Das Briefpräskript von Phil B