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Ausgabe:

1986

Spalte:

21-23

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Simon, Heinrich

Titel/Untertitel:

Geschichte der jüdischen Philosophie 1986

Rezensent:

Begrich, Gerhard

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Theologische Lileraturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 1

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Schritten findet M. zumal in ant bibl (S. 280-283), "a work .. . com-
posed towards the very end of the intertestamcntal period" (S. 280).
d. h. nach M. im 1. Jh. n. Chr. (s. o.l).

Kap. 8 "Conclusions" (S. 284-299) setzt ein mit Rückblicken auf
die besondere religiöse Situation um 200 v. Chr. (S. 284-286) sowie
auf Veränderungen in der Folgezeit vom Politischen her (S. 286-288)
und weist auf die "Literary Creativity during the Intertestamcntal
Period" (wobei die Bezeichnung wieder im engeren Sinn genommen
wird; S. 288-290). Schließlich skizziert M. die Entwicklung religiöser
Ideen in dieser Zeit (S. 290-299) unter besonderen Gesichtspunkten:
Sadduzäer: Weiterleben nach dem Tode - Auferstehung; messia-
nische Erwartung: "biblicai interpretation" (im Ansatz vom Alten
Testament her den verschiedenen Gruppen gemeinsam): priesterliche
Frömmigkeit.

Eine anschließende Zeittafel (S. 300-305) der politischen Geschichte
und der Literatur von der persischen Zeit bis 180 n.Chr.
dürfte besonders instruktiv sein für Studenten und für den "serious
reader"1, dem antike Geschichte und biblische Sprachen ungeläufig
sind (die Hrsg. S. 14). Der Band popularisiert aber keineswegs nur in
Fachkreisen Bekanntes, sondern verarbeitet es mit Einsichten des
Fachmannes zu einem weithin geschlossenen und interessanten Bild.
Leider kommt, wie angedeutet, die eigentliche "intertcstamental Ute-
rature" im einzelnen weithin zu kurz"' zugunsten der rabbinischen. In
dem damit bezeichneten Rahmen gibt M. indessen eine informative
und weiterführende Darstellung zur antiken jüdischen Literatur, als
deren Kenner er bereits anderweit ausgewiesen ist.

Halle(Saale) Gerhard Delling

Die kapitelweise gegliederte - des öfteren charakterisierte - Literatur
(S. 306-319) stellt Ansprüche: sie nennt die wichtigen neueren Titel auch speziell
zu den von M. verarbeiteten einzelnen Schriften.

Übersetzungen etwas längerer Stücke aus ihr, so informativ sie gewählt
sind, vermögen eine eingehendere literarisehe Kennzeichnung nicht zu ersetzen
.

zsimon. Heinrich und Marie: Geschichte der jüdischen Philosophie.

Berlin: Union Verlag, zugleich München: Beck 1984. 233 S. 8*.

Diese Geschichte der jüdischen Philosophie zeigt einen klaren
dreigliedrigen, überschaubaren Aulbau folgender Gliederung: I. Jüdische
Philosophie in der Antike (21-36), II. Jüdische Philosophie im
Mittelalter (37-205) und schließlich III. Die neue Zeit (206-226);
eine Auswahlbibliographie und ein Namensregister schließen das
Werk ab. Der inhaltliche Schwerpunkt ist schon am Umläng der Seiten
erkennbar: inhaltlicher Hauptteil ist die jüdische Philosophie im
Mittelalter, die die Verfasser eindeutig als Höhepunkt und im gewis-
sen Sinn auch als Vollendung jüdischer Philosophie ansehen, wobei
die jüdische Philosophie der Antike mehr ein Vorspiel und die Neue

'l- auch wegen ihrer Unabgeschlossenheit, ein Nachspiel dazu darstellen
.

••Das Buch ist das Resultat gemeinsamer Arbeit, bei der der Anteil
des einzelnen auch für die Autoren nicht mehr rekonstruierbar ist. Im
ersten Entwurf hat Marie Simon die Teile .Antike' und .Neuzeit' vorliegt
. Heinrich Simon den Teil .Mittelalter'. Als Ergebnis ständiger
Diskussionen entstand die Endfassung, so daß beide Verfasser diese zu
Verantworten haben." (8) So wird man beiden Verfassern danken
Bussen, und der Rezensent bittet beide, doch noch ein Lesebuch zur
Geschichte der jüdischen Philosophie dazuzutun ...

Wer eine Geschichte der jüdischen Philosophie, zumal die erste
deutschsprachige nach dem 2. Weltkrieg!, vorlegt, muß sich dem

agnis ihrer Definition stellen. Die Verfasser haben sich dieser
schweren Aufgabe (vielleicht der schwierigsten in dieser Geschichte
Cjer Philosophie) nicht entzogen, vielmehr einen eigenen Abschnitt
gewidmet: Was ist jüdische Philosophie? (9-20). Das Problem der
'slonschen Einordnung ist zugleich ein Problem der Sprache, was für

die Definition jüdischer Philosophie nicht unerheblich ist: die jüdische
Philosophie hat keine ihr eigene Sprache, sondern ist bestimmt
von der Umwelt und dem Kontext, in den sie gehört und in dem sie
getrieben wird, wobei die Sprache zugleich von dem apologetischen
Ziel des Philosophicrens abhängt. So bedient sich die jüdisch-alexan-
drinische Philosophie, deren glänzendes Haupt Philon von Alexandrien
ist. der griechischen Sprache. Die Hochblüte der jüdischen Philosophie
im Mittelalter gehört in den islamischen Bereich, so daß die
Sprache dieser Philosophie das Arabische ist: in christlicher Umgebung
wurden die Texte hebräisch abgefaßt. Mit dem Beginn der
Judcnemanz.ipation um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert
bedient sich die jüdische Philosophie immer mehr (und schließlich
ganz) der Sprache der sogenannten Wirtsvölker, vor allem des Deutschen
.

Natürlich bestimmt die Sprache einer Philosophie nicht nur ihr
Denken, sondern auch ihren Einlluß und ihre Rezeption. Die Frage
nach der indischen Philosophie wird dadurch nicht einfacher. Vielleicht
aber ist hier schon klargeworden: Nicht jeder philosophierende
Jude ist auch ein jüdischer Philosoph. Was aber meint ..Philosophie"
und was ..das Jüdische"? Das erstere läßt sich gut sagen: ..Generell
wird von der Prämisse ausgegangen, die Welt und die Dinge in ihr
seien mit Hilfe des menschlichen Verstandes erkennbar und die Aufgabe
der Philosophie bestehe in diesem rationalen Erlässen der Realität
." Wer wollte dem nicht zustimmen? Und „das Jüdische"? Die
Verfasser geben zuvor zu bedenken (in einer bewundernswerten Haltung
): ..Ob und inwieweit es allerdings überhaupt möglich ist. in einer
Epoche, die noch unter dem Eindruck der fast vollkommenen Vernichtung
des mittel- und osteuropäischen Judentums steht, ein nicht
durch Emotionen bestimmtes Interesse an der hier behandelten Problematik
bei demjenigen vorauszusetzen, der sich mit ihr vertraut
machen will, ist eine offene Frage. Sicher ist allerdings, daß die Uberwindung
der faschistischen Rassendoktrin mit ihrer Verteufelung der
Juden - in Nazimanier würde man besser sagen des Juden, weil die
negative Wertung durch die Leugnung der Individualität leichter zu
bewerkstelligen ist - nicht in ihrer Umkehrung. einem subjektiv gut
gemeinten, aber ebenso unberechtigten Philoscmitismus bestehen
kann, sondern nur in sachlicher Haltung, in dem Versuch des Verste-
hens und der kritischen Würdigung." (II) Rezensent bekennt seine
Betroffenheit und dankt den Verfassern den Versuch des Verste-
hens.

So ist jüdische Philosophie weder einfach Philosophie von Juden
noch einfach Religionsphilosophie des Judentums, sondern wir tun
gut daran, mit den Verlässern von einer an die jüdische Religion
gebundene Philosophie zu sprechen: besteht die Bindung der Philosophie
an die jüdische Religion nicht mehr, so handelt es sich auch
nicht um jüdische Philosophie, derer in dieser Geschichte nachgegangen
werden müßte. Dies gilt sowohl für Benedikt Spinoza als auch für
Karl Marx. Und andererseits gilt: wird der Weg philosophischen
Erkennens verlassen, kann man. trotz vielfaltiger thematischer und
sachlicher Übereinstimmung und Zusammenhänge, nicht von jüdischer
Philosophie reden. So wird auch die jüdische Mystik in dieser
Geschichte von den Verfassern nicht behandelt.

Die großen Themen der jüdischen Philosophie - und nicht nur dieser
-werden schon in der Bibel präludiert, so das Todesproblem, die
Fragen nach dem Glück und dem Sinn des Lebens im Buch Kohclct.
die Erkennbarkeit Gottes in der Welt bzw. durch sie im Buch der
Weisheit Salomonis. Jüdische Philosophie führt immerein Gespräch
mit der Bibel, den je eigenen Traditionen und den philosophischen
Lehren der sie umgebenden Gedankengebäude. Jüdische Philosophie
trägt apologetischen Charakter, ist Philosophie in der Auseinandersetzung
, also immer im Dialog. So reicht ein großer geistesgeschichtlicher
Bogen von der Stoa. über den Ncuplatonismus. den Aristotelis-
mus islamischer Prägung (und christlicher Ausformung), die Renaissancephilosophie
, über die Aufklärung zu Kant und dem Neukan-
■ tianismus bis zum Existenzialismus in der Neuzeit und darüber hinaus
. Im Gespräch gewinnt die jüdische Philosophie ihr eigenes Ge-