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Ausgabe:

1986

Spalte:

429-431

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kleinknecht, Karl Theodor

Titel/Untertitel:

Der leidende Gerechtfertigte 1986

Rezensent:

Wolff, Christian

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429

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 6

430

Kleinknecht, Karl Theodor: Der leidende Gerechtfertigte. Die

alttcstamentlich-jiidische Tradition vom .leidenden Gerechten"
und ihre Rezeption bei Paulus. Tübingen: Mohr 1984. X, 422 S.
gr. 8' = Wissenschaftliche Untersuchung zum Neuen Testament.
2. Reihe. 13. Kart. DM 68.-.

In dieser von P. Stuhlmacher begleiteten Tübinger Dissertation geht
es um den Einfluß der alttestamentlich-jüdischcn Tradition vom leidenden
Gerechten aufdic paulinischen Leidensaussagen.

Der Einleitungsteil enthält u. a. wichtige Reflexionen über die
Methodik traditionsgeschichtlicher Arbeit, die in differenzierender
Weise der Entfaltung einer Tradition und damit ihrer Dynamik nachzuspüren
hat. - Dieses Programm wird im 1. Hauptteil durchgerührt,
der einen diachronen Überblick über die Entwicklung der Tradition
vom leidenden Gerechten im Alten Testament, dem frühen Judentum
und der urchristlichen Jcsusübcrlieferung zum Inhalt hat. Als älteste
Belege werden vorexilische Psalmen untersucht, die von der Situation
der Feindbedrängnis geprägt sind. In ihnen ist die Beziehung zwischen
dem Beter und Jahwe als ein Vertrauensverhältnis verstanden, dem
der erhoffte bzw. bereits zuteilgewordene unmittelbare Erweis der in
Frage gestellten göttlichen Gemeinschaftstreue (sedakah) entspricht;
die durch das Leid gestörte Jahwe-Beter-Relation wird durch die
Beseitigung des Leidens wiederhergestellt. - Unter den vorexilischen
Schriftpropheten ist Jeremia in besonderer Weise als Leidender dargestellt
; in den Schichten des Jeremiabuches wird sein Schicksal immer
konsequenter mit der Tradition vom leidenden Gerechten verbunden,
vor allem in den sog. Konfessionen. Zu ihnen stehen die Gottesknechtslieder
Deuterojesajas in auffälliger Parallele: Beide Male geht
es um die Leiden eines von Gott Beauftragten; aber Jeremia leidet in
seinem Auftrag an anderen, während der Gottesknecht (Israel) zugunsten
anderer (oder Völker) leidet, das Leiden erfahrt jetzt erstmals eine
Sinndeutung als Heilsermöglichung. - In nachexilischen, stark weisheitlich
geprägten Psalmen erscheint das Leiden als Charakteristikum
des Gerechten. Es hat erzieherische Funktion, dient der Bewährung.
Auch wird der Erweis von Jahwes sedakah als Sündenvergebung
begriffen, vereinzelt sogar als Rettung des Gerechten durch das Totenreich
hindurch. - Für den Dialogteil des Hiobbuches wird eine Diskussion
innerhalb der Tradition vom leidenden Gerechten aufgezeigt,
m der Hiob aufgrund seiner Wirklichkeitserfahrung den Tun-
Ergehcn-Zusammenhang in Frage stellt und Gott zum Rechtsstreit
herausfordert; Hiob bezieht sich auf Gottes sedakah und erhält sein
Recht durch das Widerfahrnis der Theophanie. - Eine Eschatologisie-
rung ist schließlich in Jcs25 zu bemerken: Die Aufhebung des Leidens
wird für die Endzeit im Zusammenhang der Beseitigung allen
Leidens erwartet.

Die gründliche Untersuchung der zahlreichen frühjüdischen Belege
zeigt, wie die alttestamcntlichen Aspekte weiterwirken und ausgestaltet
werden: der weisheitlich-pädagogische etwa im Sirachbuch, in der
SapSal. den PsSal und 1QS, der eschatologische z.B. bei Daniel,
äthHcn, slHcn, IV Esr, syrBar, SapSal 5, TestJud 25,4; der stellvertretend
sühnende TestBenj 3,8 und IV Makk.

Eine Befragung der ältesten Jcsusübcrlieferung ergibt, daß in Jesu
Basileiaverkündigung, in seiner Nachfolgeforderung und im Verständnis
seines Todes Einflüsse der Tradition vom leidenden Gerechten
erkennbar sind. Dasselbe gilt für die vormarkinische Passionsgeschichte
. - Auch in „vorpaulinischem" Überlieferungsgut versucht
Kl. die Tradition vom leidenden Gerechten nachzuweisen. Wenn für
' Kor 15,3 und Phil 2,6-11 ein Einfluß von Jes 53 behauptet wird, so
ist dagegen freilich zu bedenken, daß in 1 Kor 15,3 die Pluralform
••Schriften" primär nicht an eine Einzelstelle, sondern an die Erfüllung
der Schriften schlechthin denken läßt und daß in Phil 2,6ffnichts
Rir den Gottesknecht Spezifisches ausgesagt wird. Für Rom 3.25f
ließe sich wohl auch nur ein ..Traditionssplitter" nachweisen; denn
über die Errettung des Leidenden verlautet nichts.

Der 2. Hauptteil beschäftigt sich "mit der paulinischen Rezeption
der alttestamentlich-jüdischcn Tradition vom leidenden Gerechten.
Bereits für den 1 Thess wird ein Einfluß dieser Tradition herausgearbeitet
: 2,14ffzeigt als Entfaltung von 1,6, daß die Gemeinde in besonderer
Kontinuität zu den Leiden ihres Herrn und seines Apostels steht
und des Heils gewiß sein darf (2,16 als Kontrapunkt zu 1,10).- Zum
Verständnis von 1 Kor 4,6-13 werden I Kor 1 -4 insgesamt eingehend
analysiert. Wenn Kl. ermittelt, daß sämtliche Schriftzitate (1,19.31;
2,9; 3.19f) in ihrem ursprünglichen Kontext eine Verbindung zur
Tradition vom leidenden Gerechten aufweisen, so ist dies für
Jer9,22f, worauf I Kor 1,31 zurückgreifen soll, nicht deutlich, und
von dem in 1 Kor 2,9 vermuteten Apokryphon ist uns der Kontext
nicht bekannt. Mit Recht wird aber 4,6-13 als „summierender Höhepunkt
der ersten vier Kapitel" verstanden (S. 222). In überzeugender
Weise wird sodann aufgezeigt, wie stark 4,8-13 von Motiven aus der
Tradition vom leidenden Gerechten bestimmt ist (während die stoischen
Peristascnkataloge nur eine entfernte Parallele darstellen) und
welch fester Sachzusammenhang durch sie zwischen der paulinischen
Kreuzesbotschaft, den Apostelleiden und der Korrektur des korinthischen
Fehlverhaltens besteht. 1 Kor 15,30-32 belegt, daß das pauli-
nische Auferstehungsverständnis ebenfalls von der Tradition vom leidenden
Gerechten beeinflußt ist. Für 15,42-44 erscheint mir der
Nachweis freilich nicht gelungen, ebensowenig für V. 54f: Wenn Kl.
die Kontextverbindung von Jes 25,8 zur Tradition vom leidenden Gerechten
betont, wie paßt dazu dann der Kontext von Hos 13,14?

Aus dem 2Kor wird zunächst die Eingangseulogie 1,3-11 untersucht
und für sie (vgl. besonders V. 8-1 1) vielfacher Bezug zur Tradition
vom leidenden Gerechten ermittelt. Im Rahmen einer detaillierten
Kontextbetrachtung wird 4,7-18 richtig als „eine Art präzisierender
Kontrapunkt" zu 3,4-4,6 verstanden (S. 253). Als nächste Parallele
wird auf TestJos 1 f verwiesen, wo ganz ähnlich von Gottes
Zuwendung zum leidenden Gerechten die Rede ist; das alttestament-
liche Zitat in 4,13 verweist in denselben Vorstellungskreis. Die chri-
stologische Zentrierung der Tradition vom leidenden Gerechten in
4,7ff wird ebenso gut zur Geltung gebracht wie die Umformung des
eschatologischen Aspekts: Die Auferstehungskraft ist bereits in der
Gegenwart wirksam. - Auch für 6,3-10 wird ein Zusammenhang mit
der Tradition vom leidenden Gerechten erkannt. Einen Bezug auf Ps
(LXX) 117,17F in V. 9 wird man dafür jedoch schwerlich anführen
können; denn die übrigen Passivformen in V. 9f legen es nicht nahe,
bei dem Gezüchtigtwerden an eine Handlung Gottes zu denken. - In
8,9 will Kl. eine Verbindung der Tradition vom leidenden Gerechten
mit der Vorstellung vom präexistenten Logos-Christus aufzeigen;
aber hier ist weder von Bedrängnissen oder Feinden noch von Gottes
Rettungshandeln die Rede.

Ein Einwirken der Tradition vom leidenden Gerechten wird im
Phil besonders in l,19f.27-30 bemerkt, wo das Motiv vom kämpfenden
und leidenden Gerechten auf Paulus und auf die Gemeinde übertragen
wird, und zwar wie im 2Kor unter deutlicher christologischer
Zentrierung. Mit dem Christushymnus in Phil 2 stellt Paulus „der
Gemeinde die Tradition vom leidenden Gerechten als den .Rahmen'
vor Augen, in dessen Koordinaten christliches Leben seinen Ort hat"
(S. 312); in 3,8-11 versteht sich Paulus als leidender Gerechtfertigter,
und in dieser Weise ist er Vorbild für die Gemeinde (V. 15.17).

Anhand eines instruktiven Vergleichs zwischen Rom 5.1-1 1 und
8,18-39 wird das Verhältnis von Rechtfertigung und Leiden durch
den Nachweis der Verarbeitung von Motiven aus der Tradition vom
leidenden Gerechten präzisiert: Die leidenden Gerechtfertigten, die
Gottes Heilstat bereits erfuhren, haben eine begründete Hoffnung auf
die Überwindung des Leidens. Auch kann mit dem Hinweis auf das
alttestamentliche Zitat in 8,36 die Prägung der paulinischen Perista-
senkataloge von dieser Tradition bestätigt werden. - Rom 15.3b
liefert den Beleg, daß Christus selbst von Paulus als leidender
Gerechter verstanden wurde, wobei der Stellvertretungsgedanke
impliziert ist (vgl. V. 1 f.7).

In der „Auswertung" werden die Einzelcrgebnissc übersichtlich
zusammengefaßt. KI. betont hier u. a., daß der durch das Kreuz
Gerechtfertigte in die Kontinuität mit dem leidenden Gerechten
schlechthin, mit Christus, gestellt ist und daß den apostolischen