Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

416-417

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brooke, George J.

Titel/Untertitel:

Exegesis at Qumran 1986

Rezensent:

Holm-Nielsen, Svend

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

415

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 6

416

ihm als einer Praxis der Existenz. Sie ist geradezu ein Paradigma
dogmatischen Fortschritts." (617) Und er kommt zu dem Schluß:
„Die Auflassung vom Glauben als pastoraler Tatsache stand am Anfang
des Konzils. Sie ist sein unmittelbarer religiöser Impuls und die
Basis, auf der es verstanden und angenommen wurde, besonders in
Lateinamerika: die Praxis des Glaubens als Kampf um die Befreiung
der Armen, die Vorwegnahme der Zukunft Gottes durch Handeln des
Menschen in der Welt." (6250

Damit aber ist die Brücke geschlagen zum V. Teil des Buches,
,, Weltperspekliven des Christentums". Hier geht es um „Die Öffnung
der Kirche zur Welt" (Heinrich Dumoulin, 703-712), ein besonders
zentrales Anliegen des Konzils, um „Christentum und Menschenwürde
" (Erich Schrofner, 741-756), um die Beziehungen des christlichen
Glaubens zu außerchristlichen Religionen und Kulturen. Vor
allem aber wird das Thema bedacht, das von Klinger deutlich bereits
mit angesprochen wurde: „Die Option für die Armen" (Gregory
Baum, 655-665). Und aus diesem Zusammenhang sei exemplarisch
auf den Beitrag von Leonardo Boß verwiesen: „Eine kreative Rezeption
des II. Vatikanums aus der Sicht der Armen: Die Theologie der
Befreiung" (628-654). B. versteht das Konzil als Abschluß des
Sich-Sperrens der Kirche gegen den Aufbruch zu neuen Ufern. Die
Theologie der Befreiung ist ein solcher Aufbruch, nämlich als eine
spezifische „kreative Rezeption des Konzils". Sie antwortet auf die
Frage „Was heißt Christsein in einer Welt von Unterdrückten?" und
ihr Spezifikum liegt darin, „daß sie als eine Reflexion des Glaubens
sich im Innern der Praxis der Befreiung vollzieht und von ihr ebenfalls
ausgeht" (638). Gerade damit aber nimmt sie - kreativ - Grundpositionen
des Konzils auf (vgl. bes. S. 644).

Noch einmal: Die hier angedeuteten Linien sind eine Auswahl. Die
gebotene Fülle zwingt dazu. Durchgängig scheint jedoch die Tendenz,
das Konzil wirklich beim Worte zu nehmen, es nicht Abschluß sein zu
lassen, sondern als Aufbruch ernstzunehmen, dessen Ziel noch längst
nicht erreicht ist. Damit wird manch anderer Position kräftig widersprochen
. Daß bereits auf der zweiten Textseite daran erinnert wird,
daß „Erzbischof Woityla im Verlauf der Ausarbeitung des Textes (der
Kirchenkonstilution) verlangte, man solle den Begriff Societas
perfecta, zu dem ,Volk' nicht gehöre, beibehalten" (17), ist sicher Zufall
, aber wiederum doch auch symptomatisch und unterstreicht die
Aktualität des Buches heute, wo anderenorts über dasselbe Konzil
und seine Konsequenzen unter dem Stichwort ,Restauration' nachgedacht
wird. Ja, mehr noch: Das Buch nimmt recht umfassend vorweg
, was inzwischen Thema einer außerordentlichen römischen
Bischofssynode ist: „Das II. Vatikanische Konzil 20 Jahre später", so
der Titel des Beitrages von Leon-Joseph Kardinal Suenens (182-194).
Insofern ist auott der Titel glücklich gewählt, „Glaube im Prozeß",
weniger aber vielleicht der Untertitel. Hier läse man wohl besser
„Akzente des Katholischen nach dem IL Vatikanum", des möglichen
Katholischen.

Schöneiche b. Berlin Hubert Kirchner

Affolderbach, Martin, u. Hans-Ulrich Kirchhoff [Hg.]: Miteinander leben
lernen. Zum Gespräch der Generationen in der christlichen Gemeinde.
Empfehlungen der Jugendkammer und Dokumente der Synode der Evangelischen
Kirche in Deutschland mit Beiträgen von Ch. Bäumler, E. Cherdron, K.
Engelhard, P. Krusche, J. Matthes, H. Scarbath. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1985. 126 S.8*. Kart. DM 8,80.

Geisendorfer. James V.: Religion in America. Comp, and ed. Leiden: Brill
1983. IV, 175 S. gr. 8'. Kart, hfl 48.-.

Maron. Gottfried: Auf dem Wege zu einem ökumenischen Lutherbild.
Katholische Veröffentlichungen zum Lutherjahr 1983. (ThR 50, 1985,
250-283)

Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz
. Hg. vom Kirchenamt der Evang. Kirche in Deutschland und dem
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1985.63 S. 8". Kart. DM 2,40.

Altes Testament

Brooke, George J.: Exegesis at Qumran. 4QFlorilegium in its Jewish
Context. Sheffield: JSOT Press 1985. XII, 390 S. 8" = Journal forthe
Study of the Old Testament Suppl. Series, 29. Kart. £8.95; Lw.
£ 18.50.

Der nicht-biblische Teil der Qumranlitcratur ist in unterschiedlichem
Maße vom Alten Testament abhängig. Es handelt sich dabei
um Kommentare zu den biblischen Schriften, um nachzuerzählende
Darstellungen biblischer Motive, um Schriften, die den Charakter
eines Targums oder Midrasch haben, aber es handelt sich auch um
Schriften, welche die Geschichte, Organisation und Existenz der
Gemeinde betreffen, wo kürzere oder längere Zitate aus dem Alten
Testament oder Anspielungen auf alttestamentliche Schriftstellcn zur
Illustration oder gar Beweisführung dienen. Ein solcher „Schriftgebrauch
" war schon vom Neuen Testament her bekannt und ist
Thema vieler wissenschaftlicher Arbeiten gewesen. Mit der Qumran-
literatur erhielt man nun neues Material, das zur besseren Erhellung
der exegetischen und hermeneutischen Prinzipien für die Verwendung
des Alten Testaments in einem theologischen Milieu dienen
konnte, das sich von dem Milieu unterschied, in dem das Neue Testament
entstanden ist, aber mit diesem zum Teil gleichzeitig war.

George J. Brooke ist Lektor für intertestamentarische Literatur an
der Universität in Manchester. 1978 erhielt er mit der Dissertation,
die 1985 in bearbeiteter Form unter dem Titel: Exegesis at Qumran
erschien, den Doktorgrad. Das Buch widmete er dem verstorbenen
William H. Brownlee, dessen Forschung in der Literatur des Toten
Meeres er großen Dank schuldig ist. Er hat sich die Erforschung der
exegetischen Prinzipien, nach der die Qumrangemeinde das Alte
Testament las und verstand, zur Aufgabe gemacht und nimmt seinen
Ausgangspunkt in einer Handschrift, die 1952 in einer Höhle gefunden
wurde, die später als Höhle 4 bezeichnet wurde. Die Handschrift,
die aus vielen Fragmenten bestand, konnte zu zwei zum Teil vollständigen
Kolonnen zusammengesetzt werden. Von den übrigen Fragmenten
her gesehen, umfaßte sie in voller Länge wohl fünf Kolonnen.
Der Anfang der Handschrift jedoch fehlt, und theoretisch könnte sie
länger gewesen sein. Die Handschrift wurde vom Palästinensischen
Nationalmuseum erworben, aber 1967 in die Abteilung für Literatur
des Toten Meeres des Museums Israel überführt. Der Inhalt der Handschrift
basiert auf 2. Samuel, Kapitel 7, kombiniert mit Passagen aus
dem Psalm 1 und dem Psalm 2; mehr oder weniger direkt werden
auch andere Passagen des Alten Testaments verwandt. Auf Grund
dessen wurde die Handschrift als ein Florilegium bezeichnet und als
4QFIor registriert. Brooke behält diese Bezeichnung bei, obgleich er
erkennt, daß sie für das Verständnis des Inhalts irreführend sein
kann.

Vor ihm haben sich viele, ausgehend von der gefundenen Literatur,
mehr oder weniger ausführlich mit dem Schriftverständnis der Qumrangemeinde
beschäftigt. Brookes Auffassung ist es jedoch, daß eine
eingehende Kenntnis der Auslegung des Alten Testaments durch das
zeitgenössische Judentum notwendige Voraussetzung dafür sei. um
den Gebrauch der Schrift durch die Gemeinde zu ergründen. Davon
handelt das erste Kapitel des Buches. Brooke hebt hervor, daß nicht -
wie so oft geschehen - allzu scharf zwischen Judentum und Hellenismus
unterschieden werden darf, auch nicht zwischen Judentum in der
Diaspora und Judentum in dessen Heimatland Palästina. Palästina
hatte in hohem Maße eine Hellenisierung erfahren, und nicht wenige
Juden erhielten eine griechische Ausbildung. Auch in bezug auf Hermeneutik
und Exegese ist das Judentum hellenistischen Einflüssen
ausgesetzt gewesen. Das gilt auch für die sieben middöt, d. h., die exegetischen
Regeln Rabbi Hillels. Mit diesem Verhältnis haben sich
besonders M. Hengel und J. Neusner beschäftigt. Brookes eigene
Auffassung von middol ist, daß sie im Kampf der Pharisäer, das
Judentum nach dem Fall des Tempels im Jahre 70 n. Chr. zu beherrschen
, als feste Regeln entwickelt worden seien, obgleich sie ihre Wur-