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Ausgabe:

1986

Spalte:

407-409

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Rupert Leser - Ereignisse und Gestalten 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

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407

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 6

408

VI.

Einen weiteren Blick eröffnet folgender Satz: „Ist Gott nicht Geist,
d. h. der in der ihm eigenen Freiheit, Macht, Weisheit und Liebe sich
selbst vergegenwärtigende und applizierende Gott?" Hier werden nun
Stichworte genannt, die immer schon von Gott allgemein und vom
Hl. Geist im besonderen ausgesagt werden. Wichtiger ist der zweite
Teil, der auf das Zeitproblem hinweist. Das Zeitproblem hat für Barth
immer schon besondere Relevanz, weil die grundsätzliche und sachliche
Vorordnung der Offenbarung in Christus auch als zeitliche Abfolge
beschrieben wird. Folgerichtig spielt dann auch das lukanische
Zeitschema mit der Abfolge: Tod - Auferstehung - 40 Tage -
Himmelfahrt - Pfingsten eine besondere Rolle, wobei die Betonung
der 40 Tage zweifellos eine auffällige Besonderheit darstellt. Die erträumte
Theologie des 3. Artikels könnte nun eine Relativierung, sogar
Aufhebung der Dominanz dieses Zeitschemas bedeuten. Das
Interesse der Theologie würde also nicht so sehr dem vergangenen
Christusereignis, als dem gegenwärtigen Wirken des Hl. Geistes gelten
, der die Gegenwart auf die Zukunft hin aufbricht. Es scheint, als
würden die in der KD deutlich zunehmenden Geistaussagen, vor
allem ihr Gewicht unter dem Thema „Sendung der Gemeinde", bereits
von dieser neuen Perspektive zeugen. Das würde dann bedeuten,
daß die Theologie des 3. Artikels nicht die Aufgabe hätte, das Ganze
„vom Menschen" her nochmals zu entwickeln, sondern das Ganze
von der „Gegenwart", d. h. von dem in der Gegenwart wirkenden
Geist. In diese Richtung weisen wohl auch einige der „Ketzerreferenzen
" im SchN.

Manch anderes wäre von einer solchen Theologie des 3. Artikels
wohl auch noch zu sagen: daß all die Themen, die bisher schon pneu-
matologisch formuliert worden sind, Freiheit und Hoffnung vor
allem, noch stärker betont würden, und daß die trinitätstheologischen
Bezüge und „Kompetenzverteilungen" im Sinne des „vinculum pacis
inter Patrem et Filium" verändert, ausgewogener würden. Das sich
etwas grundsätzlich ändern würde, ist da allerdings nicht zu erwarten.
Die beiden erstgenannten Punkte zeigen aber in etwa, wo stärkere
Modifizierungen sehr wohl zu erwarten gewesen wären und wie Barth
selbst indirekt auf Kritik eingegangen ist.

Mehr wird sich über das Ganze nicht sagen lassen. So bleibt dem

Spurensucher nur der Ausdruck des Bedauerns, noch nicht Zeuge
jenes gewiß dramatischen theologischen Diskurses zwischen Barth
und Schleiermacher sein zu können (auch wenn er manch anderen
Diskurs in dieser Sphäre für vielleicht wichtiger hält), bei aller Hoffnung
, noch recht lange Zeuge und Betroffener des Wirkens des Geistes
in dieser Welt zu sein. So neugierig ist er wiederum auch nicht,
daß er nicht noch gerne einige Zeit darauf warten könnte.

1 Schleicrmacher-Auswahl mit einem Nachwort von Karl Barth. Siebenstern
Taschenbuch 1968, 290-312, vor allem 31 lt'= SchN. Nicht näher bezeichnete
Zitate beziehen sich hierauf.

2 Die protestantische Theologie im 19. Jh., 1947,411.

' Evangelische Theologie im 19. Jh .ThSt 49,1957,16.

4 Die protestantische Theologie im 19. Jh., ebd.

5 Ph. J. Rosato, Karl Barth's Theology of the Holy Spirit. God's Noetic
Realization of theOntological Relationship between Jesus Christ and All Men.
Diss. Tübingen 1976.

6 Karl Barth - Eduard Thurneysen, Briefwechsel Bd. 2. 1921-1930 (Gesamtausgabe
1974), 321 f.

' A.a.O.67.

8 Vgl. Vorwort zu KDIV/2; zu KD V vgl. Gesamtausgabe, Briefe
1961-1968, 1975, 145.

9 Gesamtausgabe. Briefe 1961-1968, 1975,223f, 231,275f, 281, 294, 324,
326f, 351,452,5l4fu.a.

10 KDIII/l,207;III/2,389ff.
" KDIIl/1,391.
12 A.a.O.414.
" A.a.O.431.

14 W. Dantine, Der Weltbezug des Glaubens. Überlegungen zum Verhältnis
von Geschichte und Gesetz im Denken Karl Barths, in: W. Dantine u. K. Lüthi.
Hg., Theologie zwischen Gestern und Morgen. Interpretationen und Anfragen
zum Werk Karl Barths, 1968.270.

15 KD III/2,429.

16 W. Dantine,a.a.O. 271.
" A.a.O. 277.

18 A.a.O. 267.

19 A.a.O.271.

20 W. Dantine, Gcschichtsproblematik und Pneumatologic. in: EvTh21,
1961,241-263.

Allgemeines, Festschriften

Leser, Norbert [Hg.]: Religion und Kultur an Zeitenwenden. Auf

Gottes Spuren in Österreich. Wien-München: Herold 1984. 398 S.
8°.

Die 27 Beiträge gehen auf eine Ringvorlesung zurück, die 1983
gehalten wurde im Gedenken an das Jahr 1683,'in dem die Türkengefahr
vor Wien abgewendet wurde. Der Herausgeber formuliert als
Zweck des Bandes, „das religiöse Leben Österreichs in den vergangenen
dreihundert Jahren in historischer Abklärung und ökumenischer
Sicht einem Publikum nahezubringen, das Religion nicht
nur als Gegenstand wissenschaftlicher Darstellung und historischer
Forschung, sondern auch als Beitrag zu den Problemen der Gegenwart
ernst nimmt und annimmt" (10). Der erste Beitrag stammt von Rudolf
Kirchschläger; er spricht nicht offiziell als Bundespräsident, sondern
er äußert „Gedanken eines politisch und religiös interessierten Österreichers
, der derzeit auch Bundespräsident ist" (II). Statistische
Zahlen zeigen einen Rückgang kirchlichen Einflusses; trotzdem wirkt
die Religion im öffentlichen Leben. Die zehn Gebote werden genannt:
„Wir finden sie im Schutz der Integrität des Lebens und der körperlichen
Sicherheit, im Schutz des Eigentums, im Wahrheitsgebot der
Zeugenaussage, in der Institution der Ehe oder auch in der Sorgepflicht
nicht nur der Kinder für die Eltern, sondern auch der Eltern für
die Kinder in den staatlichen Gesetzen wieder" (15). Die Erklärungen
über die Menschenrechte in der Schlußakte der KSZE in Helsinki zeigen
, „daß die Sicherstellung der Religionsfreiheit auch ein Mittel ist,

um die Sicherheit in Europa zu fordern und zu gewährleisten" (16).
Franz König sprach über „Die Idee des Katholischen als universales
religiöses Prinzip". Der Kardinal verweist auf Paulus und verweilt bei
Justin von Rom, der über den Logos-Begriff nachdenkend zu der
Folgerung kam, „daß die Christen einzig danach zu beurteilen seien,
ob ihr Verhalten der wahren Vernunft entspreche oder nicht" (21).
Universale Gedanken finden sich bei Irenäus. Tertullian sprach von
der anima naturaliter christiana. Die Pastoralkonstitution „Die
Kirche in der Welt von heute" formulierte, „daß der Heilige Geist
allen Menschen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis
(von Tod und Auferstehung Jesu) in einer Gott bekannten Weise
verbunden zu sein" (25). Einspruch von der Theologia crucis her wird
ernst genommen; doch ist das Kreuz nicht nur als „grausamer Widerspruch
" zu sehen, es kann „auch erfahren werden als eine tiefere Entsprechung
zum eigentlichen Menschsein und Menschengeschick. So
hat das Kreuz eine universale Relevanz, als Offenbarung Gottes und
als Offenbarung des Menschen, der sich darin wiedererkennt und zu
sich selber findet" (27). Das Wort „katholisch" sei nicht exklusiv zu
verstehen, es sollte „noch viel stärker als eine ökumenische Verpflichtunggesehen
werden" (28).

Der evangelische Kirchenhistoriker Alfred Raddatz schrieb den
3. Beitrag: „Verborgen - geduldet"- gleichberechtigt: Evangelisch in
Österreich". Er greift auf die Reformation zurück. 1519-1522 wurden
in Wien Schriften Luthers nachgedruckt. Der Augsburger Rcligions-
frieden begünstigte die Ausbreitung des Protestantismus. Um 1580
war in Niederösterreich der Adel „etwa zu neun Zehntel evan-