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Ausgabe:

1986

Spalte:

394-395

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Adam, Adolf

Titel/Untertitel:

Grundriß Liturgie 1986

Rezensent:

Albrecht, Christoph

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393

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

394

Der „Untersuchende Hauptteil" des Buches (47-243) bietet eine
material- und kenntnisreiche Typologie der Passionspredigt im
19. Jh. Z. unterscheidet vereinfachend neun Typen der Passionspredigt
, die jeweils von einem oder mehreren bedeutenden Predigern
repräsentiert werden. Es sind dies: 1. Die Passionspredigt des späten
Rationalismus (v. Ammon, Röhr, Schmaltz). 2. Die Passionspredigt
Schleiermachers. 3. Die biblizistische, heilsgeschichtlich-realistische
Passionspredigt (Menken, Blumhardt d. Ä.). 4. Die biblizistische,
lehrhaft-gesetzliche Passionspredigt (Beck, Krafft). 5. Die reformatorische
, soteriologisch-existentielle Passionspredigt (L. Hofacker,
Kohlbrügge). 6. Die Passionspredigt im Dienst der Erweckung
(Tholuck, F. W. Krummacher, W. Hofacker). 7. Die traditionsgebundene
, apologetisch-orthodoxe Passionspredigt (C. Harms). 8.
Die erfahrungsbezogene, kirchlich-lutherische Passionspredigt
(v. Harleß, Thomasius, Löhe. v. Zezschwitz). 9. Die ethische, idealistisch
-humanistische Passionspredigt des frühen Liberalismus
(Schwarz. Bitzius, Lang). - Diese Übersicht zeigt, daß die wichtigsten
Prediger des 19. Jh. in der Untersuchung berücksichtigt wurden; dabei
hat Z. jeweils eine Fülle von Predigten analysiert und verarbeitet.
Besonders bemerkenswert sind die der Beschreibung eines jeden Predigttypus
' angefügten prägnanten Zusammenfassungen, die das Beobachtete
in einen weiteren Rahmen stellen und kritisch werten und
so dem Leser eine gute Gesamtschau der Passionspredigt im 19. Jh.
vermitteln. - Die Dcskription der einzelnen Typen der Passions-
Predigt erfolgt in jeweils drei Schritten, in denen der Vf. „Fragen der
systematischen Theologie" (1), „Fragen der homiletischen Aktualisierung
" (II) und „Fragen der biblischen Hermeneutik" (III) an das
Quellenmaterial richtet. Diese Leitfragen werden bereits im Einlci-
lungsteil (260 offengelegt und differenziert. Durch ihre systematische
Anwendung ist die Darstellung sehr übersichtlich, wirkt aber gelegentlich
etwas starr. Zudem ist nicht deutlich, warum in dieser predigtgeschichtlichen
Untersuchung nicht zuerst nach spezifisch homiletischen
Gesichtspunkten gefragt wird, sondern die Predigten nun
doch - entgegen der erklärten Absicht des Vf. - sehr ausgiebig auf
ihren dogmatischen Gehalt hin abgehört werden. Gegenüber diesem
erkenntnisleitenden Interesse treten die Fragen etwa nach dem homiletischen
.Skopus', nach den homiletischen Zuspitzungen in bezugauf
Gemeinde und Predigthörer sowie nach Autbau und Stil der Predigten
spürbar zurück. Z. selbst erklärt diese Schwerpunktsetzung damit, daß
sein Thema in den Bereich der materialen Homiletik falle (22). Es
fragt sich indessen, ob die Bereiche der prinzipiellen, der materialen
und der sog. formalen, kommunikationstheoretisch orientierten
Homiletik exklusiv voneinander abgegrenzt werden können, so sehr
'hre Unterscheidung seit Alexander Schweizer ein Desiderat homiletischer
Theorie ist. - Eine weitere Schwierigkeit der Darstellung liegt
m der außerordentlich großen Anzahl von kurzen Predigtzitaten. Es
'st zu fragen, ob nicht die Zusammenfassung einiger weniger exemplarischer
Predigten die homiletische Eigenart des einzelnen Predigt-
'ypus deutlicher hätte zur Geltung bringen können.

Der abschließende dritte Teil des Buches (247-277) stellt den
••Ansatz zu einer Wertung der Predigten im Blick auf die aktuelle
homiletische Problematik" dar. Z. beschreibt, wiederum mit Hilfe des
Dreischritts von systematischen, homiletischen und hermeneutischen
Erwägungen, die Chancen und Grenzen der einzelnen Typen der
Eassionsprcdigt im 19. Jh. Dabei wird deutlich, daß der heutige Predi-
8er. dessen Predigtthema das Leiden und Sterben Jesu Christi ist, sich
mischen den Extremen zurechtfinden muß, die die Passionspredigt
des letzten Jahrhunderts kennzeichnen. Die Passionsbetrachtung wird
sich bewegen müssen zwischen Innerlichkeit und Gesetzlichkeit
'263), zwischen Psychologisierung und Spiritualisierung (266), zwischen
Dogmatisierung und Historisicrung (269), zwischen emotionalem
Erleben und Ostergewißheit (275).

Das Buch gewährt wichtige Einblicke in ein thematisch wie zeitlich
begrenztes Gebiet der Prcdigtgcschichte.

Huna Martin Dutzmann

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Adam. Adolf: Grundriß Liturgie. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1985.334 S. 8° Kart. DM 28,-.

Wohl nie zuvor hat es in der katholischen Liturgik einen so ge-
schichts- und sachkundigen Neuaufbruch gegeben, der dem „an
Umfang und Intensität einzigartigen Reformprozeß" (318) zu vergleichen
wäre, der sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten seit dem
II. Vaticanischen Konzil vollzogen hat.

Der Vf., emeritierter Professor für Liturgie Wissenschaft an der Universität
Mainz, gibt in seinem Grundriß nicht nur eine umfassende
Einführung in das große Gebiet der katholischen Liturgik, sondern
bietet auch eine der besten Zusammenfassungen der nachkonziliaren
Arbeiten und Ergebnisse (einschließlich der Erörterung ungelöster
Probleme und offener Fragen) auf liturgischem Gebiet.

Der erste Teil (Allgemeine Liturgik) gibt einen Überblick über die
Geschichte der Liturgie und der liturgischen Wissenschaft. Die Liturgie
erhält den höchsten Stellenwert vor den beiden anderen kirchlichen
Grundfunktionen Martyria und Diakonia (15). Christus und
die Kirche sind „die beiden wesentlichen Träger des christlichen Gottesdienstes
" (17), wobei neben der besonderen Amtsvollmacht des
Klerus auch die Bedeutung der Laien als Träger der liturgischen
Handlung hervorgehoben wird.

Die liturgische Reform, die durch das Vaticanum II eingeleitet
wurde, darf nicht als Selbstzweck mißverstanden werden: Sie beabsichtigt
die „Erneuerung der Kirche durch die Erneuerung der Liturgie
" (318); auch die einzelnen Christen sollen durch die Liturgie
erneuert werden (49). Neben den theologischen und historischen
Aspekten des Gottesdienstes werden auch die Ergebnisse der Humanwissenschaften
einbezogen, weil stets „der konkrete Mensch bei der
Liturgie beteiligt ist" (56). Gottesdienst kann nur in zwei Dimensionen
sachgerecht beschrieben werden: in der „Dimension des Heilsmysteriums
" und der „Dimension des zwischenmenschlichen Verhaltens
und Handelns" (60). Für letztere ist die Muttersprache eine der
wesentlichen Voraussetzungen. Das Tridentinum hatte diese keineswegs
ausgeschlossen, sondern sich nur von der Auffassung distanziert,
die Messe dürfe nur in der Volkssprache zelebriert werden (65).
Umgekehrt hat der vorsichtige Hinweis des Vaticanum II auf die Möglichkeit
und Nützlichkeit der Muttersprache praktisch zu einer generell
volkssprachigen Liturgie geführt (66), wogegen sich die „Una-
voce"-Gruppen formierten (52). Die Übersetzerkommissionen machten
bald die Erfahrung, daß eine wörtliche Übertragung aus dem
Lateinischen oft nicht möglich bzw. sinnvoll ist, sondern daß die
Texte aus ihrem geschichtlichen, gesellschaftlichen und gottesdienstlichen
Kontext heraus verstanden und wieder in einen solchen
hineingestellt werden müssen (67). Als Gefahr des nachkonziliaren
Gottesdienstes wird seine Verbalisierung („Verwortung") angesehen
(322); dagegen wird auf die Bedeutung und Funktion der Zeichen
hingewiesen, durch die ein wesentlicher Teil des menschlichen Kommunikationsprozesses
erfolgt (71).- Den Kirchenmusiker interessiert
besonders die gedrängte, aber doch informative Darstellung in dem
Kapitel „Die Musik des Gottesdienstes" (82-90).

Den nichtkatholischen Leser berühren die häufigen Seitenblicke
auf ostkirchliche, anglikanische und reformatorische liturgische
Bräuche und Formen sowie das Kapitel „Liturgie und Ökumene" besonders
positiv. Letzteres schließt mit einer Behandlung der Lima-
Liturgie (94-100)- freilich auch mit der beschwerlichen Feststellung,
daß eine Kommuniongemeinschaft mit Nichtkatholiken nach
römischem Verständnis nicht möglich ist (100).

Der zweite Hauptteil (Spezielle Liturgik) wird eingeleitet mit einem
Kapitel über Wesen und Bedeutung der Sakramente, die dann im folgenden
einzeln abgehandelt werden, gefolgt von einer Besprechung
der Sakramentalicn. Weihungen und Segnungen. Etwas verwunder-