Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

389-391

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kraus, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Systematische Theologie im Kontext biblischer Geschichte und Eschatologie 1986

Rezensent:

Langer, Jens

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

389

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

390

stellen und ein intellektualistisches OfTenbarungsverständnis voraussetzen
. Man konnte für diesen Weg bei den Verteidigern der Grundlagen
des Christentums im Zeitalter des Renaissancehumanismus, der
alle Religionen als gleich gültige Formen behandeln wollte, anknüpfen
(S. 83). Hier ging es um den Nachweis, daß die christliche
Religion im Gegenüber zu den anderen Religionen die wahre sei. Die
diese These tragenden Standpunkte sollten in gewandelter Form auch
gegenüber den Offenbarungskritikern zum Tragen kommen. Zum
einen ist es die Auffassung, daß es Wahrheiten gibt, die die Vernunft
niemals aus sich heraus erreichen kann und die folglich nur extrinsezi-
stisch (d. h. mittels Wundern und anderen historischen Argumenten)
beglaubigt werden können. Zum anderen ist es die Zuversicht, daß die
Vernunft alle Glaubenswahrheiten - zumindest nach geschehener
Offenbarung - einsichtig machen kann. Beiden Ansichten werden indes
von einer die Gegensätze umgreifenden Theorie getragen, gemäß
der die wahre Religion der Offenbarung bedarf. Ob diese faktisch oder
wesensmäßig notwendig sei, bleibt in der Schwebe und wird auch in
der weiteren Entfaltung des Problems zum Streitpunkt.

Der Vf. verweist darauf, in wie starkem Maße die innerkatholische
Diskussion zum Offenbarungsproblem von der protestantischen
Theologie beeinflußt worden ist. Der durch sie vorgegebene Argumentationsrahmen
wird jedoch gesprengt, indem neben der Offenbarung
auch die katholische Kirche als Hüterin dieser zum Gegenstand
der Apologetik wird (S. 143). Als weitere Hilfe für die gedankliche
Bewältigung der Offenbarungskritik läßt der Vf. die Tradition
der Analysis-fidei-Lehre, die das Vermögen der natürlichen Vernunft
für den Weg zum Glauben durch Aufweis der motiva credibilitatis
bestimmt, in den Blick treten. Schließlich kommt negativ der Traditionsstrang
der scholastisch-deduzierenden Theologie zur Sprache.
Auch dieser Theologie entgegen galt es, die Offenbarungsgegründet-
heit der christlichen Theologie herauszuarbeiten. Genau diesem
Anliegen dienten zahlreiche Reformbestrebungen der theologischen
Ausbildung im 18. Jh. (so die Reformpläne Rautenstrauchs in Österreich
und Brauns in Bayern, S. 236 bzw. S. 252).

Das Ergebnis der apologetischen und fundamentaltheologischen
Bemühungen hinsichtlich des Offenbarungsproblems kann, wenn
man die hauptsächlich vertretene Position als Maß nimmt, folgendermaßen
zusammengefaßt werden: Durch eine Theorie der Offenbarung
soll dem vernünftigen Nachdenken die Möglichkeit und Nützlichkeit
der Offenbarung einsichtig gemacht werden, um dann mittels
historischer Gründe die Existenz der Offenbarung in der biblischen
Geschichte moralisch evident zu machen. Andere Auffassungen gehen
darüber hinaus, indem sie auch die Notwendigkeit der Offenbarung
auf Grund des Sünderseins des Menschen und des der Vernunft
erkennbaren unbedingten Liebeswillens Gottes behaupten, eine
Position, die die Gratuität der Offenbarung nicht mehr überzeugend
festzuhalten vermag. Um diese letzte Kontingenz der Offenbarung im
freien Liebeswillen Gottes wird vielfältig gerungen, wohl ahnend, daß
bei der Preisgabe der Unableitbarkeit der Offenbarung die Auseinandersetzung
mit dem Deismus überflüssig würde. In der Darstellung
der Konzeption Stattlers (1728-1797) lesen wir die Sätze: „Das Reich
der Wahrheit Gottes, aber auch der Welt, erstreckt sich viel weiter als
die Reichweite der begrenzten menschlichen Vernunft ... Es muß
allerdings sichergestellt sein, daß die offenbarte Wahrheit weder in
sich widersprüchlich ist noch einer mit Gewißheit erkannten natürlichen
Wahrheit widerstreitet." (S. 195) Damit ist - über die theologiegeschichtlichen
Antworten hinaus - die Frage nach Recht und
Grenze des im Buchtitel bezeichneten Anliegens der theologischen
Besinnung erneut vorgelegt.

Greifswald Bernd Hildebrandt

Kraus, Hans-Joachim: Systematische Theologie im Kontext biblischer
Geschichte und Eschatologie. Neukirchen: Neukirchencr
Verlag 1983. VIII. 591 S. 8". Kart. DM 58,-.

Der Grundriß Systematischer Theologie „Reich Gottes: Reich der
Freiheit" (442 S.) von Kraus erschien 1975. Es wurde besprochen in
der ThLZ 103, 1978. 601 f. Nunmehr liegt eine völlige Neubearbeitung
vor. Zwar ist die „zugespitzte Titelformulierung" (V) entfallen,
und es scheint sich zunächst vielmehr um ein „Lehr- und Arbeitsbuch
" (ebd.) zu handeln. Aber die innovätorische „Zuspitzung" ist -
zum Glück, wie ich meine - erhalten geblieben. Vf. spricht das auch
klar aus: „Die hier veröffentlichte .Systematische Theologie' bezieht
sich in ihrer Gesamtausführung auf die in der Bibel bezeugte
Geschichte, auf die Perspektive des kommenden Reiches Gottes.
Damit wurde die eminent kategoriale Bedeutung, die dem Alten
Testament im dogmatischen Denken zukommt, geltend gemacht und,
konsequent, der Dialog mit dem Judentum in die systematische Darstellung
eingebracht." (ebd.) Als Exeget des AT liegt es dem Autor
daran, „Biblische Theologie" nicht als eine historische Disziplin zu
betreiben, sondern systematisch-theologisch - also als Theologie in
actu-zu rezipieren: „Daß damit sogleich ein kritischer Dialog mit der
traditionellen Dogmatik der Kirche eröffnet wird, erweist sich als
Folge des in toto neuen Ansatzes. Indem aber die systematische
Rezeption biblischer Texte auf die angezeigte Weise mit den Creden-
da christlichen Glaubens befaßt ist, wird sie trinitarisch ausgerichtet
und aufgebaut sein müssen." (ebd.) Was schließlich den pädagogischen
Aspekt betrifft, so war er bereits in der ersten Fassung sowohl im
inhaltlichen als auch formalen Aufbau bis hin zum Schriftbild durchaus
spürbar.

Anders als die Erstfassung beginnt der Band mit fünf Paragraphen
zur „Situation": „Eine neue Aufmerksamkeit hat die Provokation der
jeweiligen geschichtlichen Situation zu finden. Die Herausforderungen
und Fragen prägen das Verständnis von Wissenschaft. Denn eine
Wissenschaft, die nicht wesenhaft Fragen, sondern Wissen ist, wird
immer an Seinsbegriffen interessiert sein. Dies aber ist nach allem, was
bisher ausgeführt wurde, für den vorliegenden Entwurf auszuschließen
." (5) Dabei weist K. die Verlockung des Individualismus von sich,
wenn er als Subjekt der Dogmatik Christen voraussetzt, die sich als
„der Gemeinde Gottes in ihrem Dienst für die Welt verantwortliche,
im Horizont der Ökumene tätige Theologen" (6) verstehen. Sie also
stehen in ihrer Arbeit vor dem Anspruch der jeweiligen Situation:
„Nicht in der verschlossenen Binnenwelt des Kultus oder der akademischen
Kontemplation, sondern auf dem Feld der Geschichte will
Gott seinem Volk begegnen. Die Systematische Theologie hat die Provokation
geschichtlicher Situationen neu zu erkennen und stringent in
ihre gesamte Arbeit einzubeziehen." (9) Den zu erwartenden Anwürfen
setzt Vf. entschlossen entgegen, daß „Herausforderung" einen
„Weckruf darstellt, aber keine Offenbarungsquelle. Was im Blick auf
die Situation theologisch zu bewältigen ist, führt zu der Einschätzung,
daß Tillichs Korrelationsmethode vergleichsweise „akademischkontemplative
Züge" trägt (10). Der Leser hört hier den Vorsitzenden
des Reformierten Moderamens in der BRD - nicht zuletzt auch dann,
wenn K. zitiert: „Mit Auschwitz ist das Zeitalter der Subjekt- und
situationslosen theologischen Systeme endgültig abgelaufen!"
(J. B. Metz, Jenseits bürgerlicher Religion, '1981, 35). Zu den Provokationen
, die längst noch nicht theologisch angenommen worden
sind, rechnet K. auch den Marxismus: „Theologie, die sich auf diese
revolutionäre Bewegung nicht zu beziehen vermag, erweist sich im
Horizont der Weltlage als taubstumm." (11) Kritisch spitzt K. seine
Position zu, wenn er fortfahrt: „Doch die vorherrschende Theologie
unserer Zeit läßt sich von den politischen und gesellschaftlichen Weltproblemen
nicht betreffen; sie sind uneigentlich und sekundär. Entscheidend
ist für sie die Bekehrung und die weltlose Frömmigkeit des
einzelnen in der Arche christlicher Gemeinschaften, die sich durch
die Sintflut der Nöte und Probleme zum himmlischen Hafen schon
hindurchretten wird. Doch Theologie ist politische Theologie, in der
die eschatologische Botschaft unter den Provokationen und Bedingungen
der gegenwärtigen Situation immer neu zu formulieren sein
wird. Wer dem widerspricht, betreibt latent und schweigend eine Politik
, die die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhält-