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Ausgabe:

1986

Spalte:

386-387

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Louth, Andrew

Titel/Untertitel:

Discerning the mystery 1986

Rezensent:

Wainwright, Geoffrey

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385

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

386

Der Interpretation dieser Texte ist der umfassende Teil III gewidmet
. Grundtext ist der Schluß der 2. Rede üherGott und Unsterblichkeit
, in der Schi, einerseits die „Gottheit" als eine für die Religion
nicht wesensnotwendige Anschauungsart neben andern bestimmt,
andererseits die fast unabänderliche Notwendigkeit, Gott anzunehmen
, behauptet. Das führt C. zu dem m. E. richtigen Schluß, daß Schi,
zwischen der Gottesidee und der sinnlichen Gottesvorstellung sondert
und die erstere keineswegs als wesentlich für die Religion verneint,
sondern im Gegenteil zum Kriterium der Atpm macht, die die Phantasie
notwendig entwirft. Das verdeutlicht C. an Hand der Neuauflagen
und der Erläuterungen von 1821. Die Lebendigkeit Gottes ist
hier ausschlaggebend, weil sie einerseits die Beschränktheit jedes
Atpm relativiert, andererseits der Phantasie wehrt, dem Atpm durch
die Annahme eines blinden Determinismus auszuweichen. Die Bewegung
, in der Schi, den Atpm zu erfassen sucht, ist die Bewegung von
Mittclbarkeit und Unaussprechlichkeit. Der Mensch muß von Religion
reden und kann es doch nicht (Spannung zwischen 1. und
2. Rede). Die Sprachwcrdung von Religion ist unumgänglich, aber
wird zugleich relativiert. Schi, bejaht den Atpm und will doch ständig
über ihn hinaus. Diese Bewegung oder Oszillation kann nie zur Ruhe
kommen, weil sie für das endliche Dasein und also für den Menschen
allgemeine Gültigkeit hat. Sie ist bedingt durch das Gesetz der Entzweiung
(vgl. Reden S. 5-7) in ein An-sich-Ziehen und ein Sichselbst
-Verbreiten, das den Lebensprozeß jedes endlichen Daseins
bestimmt. Die Darstellung der religiösen Wirklichkeit ist einerseits
ein An-sich-Ziehen des Unendlichen, wodurch die Seele bewegt wird,
andererseits ein Über-sich-selbst-Hinausgehen, ein Vernichten des
Persönlichen, um die Beschränktheit der endlichen Äußerung um des
Unendlichen willen aufzuheben. Nie kann, was die Seele bewegte,
ganz in die Mitteilung eingehen. Es verbleibt ein unsagbares Mehr,
weil die Gottheit über dem Gesetz steht.

Das Kriterium, nach welchem Schi, den Atpm beurteilt, ist C. zufolge
die Einheit gewährende Liebe. C. belegt dies durch eine gründliche
Analyse der berühmten Stelle aus der 2. Rede, die von der
„Geburtsstundc alles Lebendigen in der Religion" handelt. Dieser
geheimnisvolle Augenblick, von dem Schi, spricht, ist das unmittelbare
Erlebnis der Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen, das
sich nur als Liebesvereinigung beschreiben läßt. Aussagen läßt sich
dieses die Individualität zugleich aufhebende und setzende Erlebnis
erst hinterher, wenn es in Gefühl und Anschauung auseinandertritt.
Ohne Bezug auf einen solchen geheimnisvollen Augenblick ist eine
Aussage der religiösen Wirklichkeit leer. So verstanden ist die Einheit
gewährende Liebe Kriterium des Atpm. C. macht deutlich, daß Schi.
Liebe als Eros versteht, auch die göttliche Liebe, d. h. als Bewegung,
die erst in der Aufhebung alles Endlichen im Unendlichen, aller Entzweiung
in der Einheit zur Ruhe kommt und somit leidende Liebe
nicht einschließen kann. Die Einheit gewährende Liebe ist Kriterium
des Atpm, weil sie den Atpm relativiert oder entschränkt, sobald sie
ihn ermöglicht. Dem entspricht, wie C. in einem folgenden Abschnitt
verdeutlicht. die Grundanschauung des Christentums, so wie Schi, sie
versteht. die das Geschehen von Religion als Überwindung der
irreligiösen Vereinzelung, als Vermittlung von Endlichem und Unendlichem
bestimmt, was in Christus schlechthin verkörpert ist. Von
der Grundanschauung des Christentums her wird deshalb der Atpm in
die Schranken gewiesen.

In dem Abschnitt über die Glaubenslehre, der aus Platzgründen
bier nicht referiert werden kann, bringt C. neue Belege für seine Hypothese
, daß Schi, den Atpm in einer Bewegung zu fassen sucht, die er
Hit jeder neuen Äußerung in Gang hält. Die §§ 3-5 der Einleitung
sind der Haupttext, und zuletzt werden die Auswirkungen des hier
vorliegenden Atpm-Verständnisses für die Gotteslehre und die Chri-
stologie kurz verdeutlicht. Schi, hält grundsätzlich an der Notwendigkeit
des Atpm Redens von Gott und seinem Vorbehalt ihm gegenüber
fest. Zuletzt bietet C. im Teil IV eine kurze zusammenhängende Darstellung
der Ergebnisse der Textinterpretationen.

C.s Abhandlung zeichnet sich besonders durch die Fülle der Textinterpretationen
aus. Seine genaue Analyse häufig interpretierter
Texte aus dem Einfallswinkel der Atpm-Frage holt auch im Detail
neue erhellende Einsichten hervor, und der Dialog mit anderen Interpretationen
ist konstruktiv und weiterführend für das Verständnis dieser
Texte. Ebenso gelingt es C, die Bewegtheit des Schleiermacher-
schen Denkstils in der Interpretation festzuhalten. Wertvoll ist auch
die Berücksichtigung der Tradition, zu der Schi, meist indirekt Stellung
nimmt. Ein in der Abhandlung spürbares Eigeninteresse C.s an
der Atpm-Frage ermöglicht es ihm, sowohl die Größe als auch die
Grenze des Beitrages Schl.s zur Beantwortung dieser Frage herauszuarbeiten
. Insofern füllt die Arbeit C.s nicht nur eine Lücke in der
Schi.-Literatur aus, sondern trägt selber zur weiteren Diskussion des
Atpm-Problems bei.

Kopenhagen Theodor Jorgensen

Louth, Andrew: Discerning the Mystery. An Essay on the Nature of
Theology. Oxford: Clarendon Press 1983. XIII, 150 S. 8". Pp
£ 12.50.

Dieses Buch versucht, die abendländische Theologie auf althergebrachte
Wege zurückzuführen, von denen sie besonders durch
den Einfluß der Aufklärung abgekommen ist. Die neuzeitliche Theologie
hat einem positivistischen Verständnis von Wissen nachgegeben,
wie es von den „erfolgreichen" Naturwissenschaften und deren
pseudo-humanistischem Sproß, der historisch-kritischen Methode,
bevorzugt und propagiert wird. Die Theologie leidet unter der modernen
"dissociation of sensibility" (T. S. Eliot) zwischen Kopf und
Herz.

Einige Entwicklungslinien der Aufklärung stehen dieser Gesamttendenz
zwar kritisch gegenüber, so besonders Vico und Dilthey. Eine
radikale Kritik wurde aber erst möglich mit den Arbeiten von Polanyi
und Gadamer. Ersterer zeigte mit seiner Beschreibung der "tacit
dimension" die Bedeutung des „persönlichen Wissens" gegenüber der
naturwissenschaftlichen Erkenntnis auf. Gadamers Beitrag bestand in
der positiven Betonung der Tradition und des erkennenden Subjekts
im hermeneutischen Prozeß.

Die Theologie muß das Mysterium wiederentdecken, das im Zentrum
des christlichen Glaubens steht: „Für mich aber sind Urkunden
Jesus Christus, und die heiligen Urkunden sind sein Kreuz, sein Tod,
seine Auferstehung und der Glaube an ihn" (Ignatius von Antiochien,
ad Philad. 8,2). Die Schrift „entfaltet", wie Gott sich in dem Menschen
Jesus selbst verschenkt. Wir lesen die Bibel, um zu lernen, wie
wir diese göttliche Liebe erkennen, annehmen, teilen und leben können
(Augustinus, De sacra doctrina).

Um die sacra doctrina wieder auf ihr Fundament in der sacra pagina
zurückzubringen, schlägt der Autor eine „Rückkehr zur Allegorese"
vor. „Allegorese" beinhaltet für Louth den allegorischen (dogmatischen
), tropologischen (moralischen) und anagogischen (mysti-
schen/eschatologischen) Schriftsinn der patristischen und mittelalterlichen
Exegese (vgl. H. de Lubac). Der sensus literalis der Schrift ist,
zumindest im NT, schon ein sensus spiritualis, da die „gesta", die dort
bezeugt werden, die heilsbringcnden Taten Christi sind. Die allegorische
Interpretation ist „ein Klärungsprozeß in Richtung auf das
Geheimnis, das erschlossen wird durch die im sensus literalis eröffneten
Tatsachen": „Was geschah, haben wir gehört Jetzt wollen wir das
Geheimnis suchen" (Augustin, In Jn. 50.6: factum audivimus, myste-
rium requiramus). Das Geheimnis kann nur in der "margin of
silence" (W. Lossky) gefunden werden, die die Worte der Schrift
umgibt: „Wer Jesu Wort wirklich besitzt, kann auch seine Stille vernehmen
" (Ignatius von Antiochien, ad Eph. 15: 2; vgl. ad Magn. 8:2).
Die allegorische Auslegung macht daraus ein „angefülltes Schweigen"
(wie wir mit K. H. Miskotte, Gendde stille sagen könnten). Louth
zeigt dies anhand verschiedener Auslegungen der Perikope der Taufe
Christi durch Origenes. Chrysostomos. Augustinus und den anglikanischen
Theologen des 17. Jh., Jeremy Taylor, sowie durch Anklänge