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Ausgabe:

1986

Spalte:

383-386

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Christ, Franz

Titel/Untertitel:

Menschlich von Gott reden 1986

Rezensent:

Jørgensen, Theodor Holzdeppe

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

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essanten Selbstbescheidung möchte man ihn beglückwünschen. Zu
seinem Vorgehen hat ihn die Feststellung beflügelt, daß Luther in
seinen gegen Rom gerichteten Schriften, die die oben bezeichneten
Adressaten haben, ausdrücklich von der Kirche spricht. Es muß von
großer Bedeutung sein, ob diese in polemischer Absicht plazierten
Gedanken in den bibelexegetischen Erörterungen vor den Studenten,
„eingefügt in größere dogmatische Zusammenhänge" (a. a. O.), ihre
Entsprechungen, d. h. ihre bibelwortorientierte Abdeckung haben.

Hinsichtlich der Streitschriftenliteratur kommt Aurelius zu dem
Ergebnis, daß das reformatorische „Allein" nun auch auf die Ekkle-
siologie bezogen erscheint: .Aus dem allen folgt, daß die erste Christenheit
allein ist die wahrhaftige Kirche, mag und kann kein Haupt
auf Erden haben, und sie von niemand auf Erden, noch Bischof, noch
Papst, regiert mag werden, sondern allein Christus im Himmel ist ihr
Haupt und regiert allein.' (40) Die „Unterscheidung zwischen der
inneren und der äußeren Kirche" ist eine der Denkfiguren, die in den
Streitschriften zwischen 1519 und 1521 immer wiederkehren. Der Vf.
gibt dafür eine große Zahl von Belegen aus Lutherschriften, die zumeist
zwar lateinisch zitiert, dann aber auch übersetzt werden, so daß
vielen die Kontrollmöglichkeit offen ist.

Hinsichtlich der exegetischen Aussagen Luthers resümiert der Vf.,
es gäbe eine eigentümliche Spannung, die sich u. a. auch darin ausdrückt
, daß „der Fromme gleichzeitig ganz und gar als gerecht und
ganz und gar als Sünder" erscheint (90). Anders drückt Luther den
gleichen Sachverhalt aus im Bild von der Morgendämmerung, das in
Psalm 22 begegnet: „Das neue Volk des Evangeliums ist ein Volk der
Morgendämmerung, dessen Zukunft schon jetzt begonnen hat. Diese
Doppelheit verleiht dem Reden Luthers von der Verborgenheit der
Kirche zusätzlichen Inhalt. So lange der Erneuerungsprozeß noch
nicht abgeschlossen ist, bleibt die Kirche - unter der Sünde - verborgen
." (a. a. O.)

Die Psalmenauslegung enthält Hinweise auf den gleichzeitigen
Schriftenstreit, d. h.: „Die Aussagen der Streitschriften" erscheinen
als „Bruchstücke aus dem Bild der Kirche, wie es die Psalmenauslegung
bietet" (1 12).

Auch aus seinem Untersuchungsfeld leitet Aurelius ab, was sich
methodisch zum Verständnis der Lebensleistung Luthers schlechthin
immer mehr durchsetzt, nämlich die gesamtbiographische Einbindung
von Einzelbeobachtungen: „Es sprechen offenbar starke Gründe
dafür, daß wir Luthers Aussagen über die Kirche während des Streites
in jenem Kontext zu lesen haben, den die Psalmenauslegung anbietet
." (115) Der in der christologischen Psalter-Exegese begegnende
Christus passus, coronatus, praedicatus et creditus, die Kirche als
„neue Schöpfung des Evangeliums" unterbinden für Luther den
Gedanken, daß es für die Kirche noch ein anderes Haupt auf Erden
geben könne, wie es in den Streitschriften etwa gleichzeitig auch abgelehnt
wird.

Aurelius hat in Aufnahme des Denkens Billings (121) erneut auf die
Einheit in der Theologie des Reformators aufmerksam gemacht und
in sehr schöner Weise gezeigt, womit Luther jeder künftigen biblisch
begründeten Theologie das richtige Augenmaß vermitteln kann:
„Luthers Lehre vom Wort als dem Evangelium, das Sünden vergibt,
ist das Zentrum, welches alle Aussagen über die Kirche formt"
(a. a. O.).

Görlitz Joachim Rogge

Systematische Theologie: Allgemeines

Christ, Franz: Menschlich von Gott reden. Das Problem des Anthro-
pomorphismus bei Schleiermacher. Köln: Benziger: Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1982. 299 S. gr. 8* = Ökumenische
Theologie, 10. Kart. DM 58,-.

„Das Phänomen des Anthropomorphismus zwingt zum Nachdenken
über die Angemessenheit oder Unangemessenheit des Redens

von Gott. Dies macht es zu einem theologischen Thema. Seine
Konturen bekommt das Thema nicht nur von jener Spannung zwischen
Angemessenheit und Unangemessenheit, sondern auch durch
die Frage, ob der Anthropomorphismus vermeidlich oder unvermeidlich
, zufällig oder notwendig sei. Und diese zweite Spannung treibt
sofort im Fall der Vermeidbarkeit die Frage nach der Alternative hervor
, im Fall der Notwendigkeit aber die Frage nach einem Kriterium
der Angemessenheit." (13) Mit diesen Worten umreißt C. sehr genau,
worum es in seinem Buch geht, und aufweiche Fragen er bei Schleiermacher
(Schi.) Antwort sucht, um dadurch zum Ganzen der
Problemstellung einen Beitrag zu leisten. Zuerst erörtert er jedoch im
Teil I an Hand von zugänglichen Lexika des 18. Jh. den Begriff des
Anthropomorphismus (Atpm) und verfolgt dessen Entfaltung bis in
unsere Zeit, wendet sich der klassischen Atpm-Kritik von Xeno-
phanes bis Spinoza zu und gibt schließlich einen Überblick über die
Atpm-Kritik im 18. Jh. bei Hume, Kant, Jacobi und Fichte. Man ist
als Leser C. dankbar für diesen konstruktiven und inhaltsreichen
Abriß der Problemstellung und seiner Geschichte, durch welchen das
Verständnis der Schleiermacherschen Ansicht zugleich erleichtert
und vertieft wird.

Im Teil II stellt C. die Frage des Atpm im Horizont der Theologie
Schleiermachers. Das ist mit Schwierigkeiten verbunden, weil Schi,
sich explizit nur verstreut zum Atpm-Problem in seinen Werken
äußert. Implizit ist es jedoch in wesentlichen Gedankenkomplexcn
Schl.s enthalten, wofür C.s Arbeit ein Beweis ist. Man kann Schl.s
ganze Gotteslehre und Christologie als eine Lösung des Atpm-
Problems interpretieren. Als Einstieg zur Problemstellung benutzt C.
den Briefwechsel zwischen dem Hofprediger Sack und Schi, von 1801
anläßlich der „Reden über die Religion . . .", der sich hauptsächlich
mit dieser Frage beschäftigt, und wo Schi, den Begriff Atpm gebraucht
. Dieser Einstieg ist m. E. ein guter Griff. Schi, verdeutlicht
hier ein Anliegen, das sich bei ihm durchhält. Er wünscht, die Religion
von der Metaphysik getrennt zu halten. Wie man das Göttliche
denkt, hängt von der Verschiedenheit der VorstellungsatJ ab, die ihren
Grund in der Richtung des Gemüts hat, womit jedoch nichts über die
Wahrheit der Religion entschieden ist. Von diesen metaphysischen
Vorstellungen will Schi, „einen gewissen Atpm" unterschieden
wissen, ohne welchen „nichts in der Religion in Worte geläßt werden
kann". Schi, besteht also auf der Unmöglichkeit eines nicht-anthro-
pomorphen Wortes in der Religion und kann zugleich innerhalb der
Metaphysik Atpm-Kritik betreiben, z. B. an der Vorstellung eines
persönlichen Gottes. Hier ist kein Widerspruch. Beides muß im
Gemüt beschlossen sein und hängt von der Richtung desselben ab.
Diese Richtung des Gemüts spielt deshalb eine zentrale Rolle in der
Untersuchung C.s. Schi, scheint C. zufolge mit Kant einen objektiven
Atpm zu verwerfen und einen symbolischen Atpm zu teilen, jedoch
mit einer grundsätzlich anderen Begründung, indem er der Religion
eine eigene Provinz im Gemüt einräumt. Deshalb muß dem nachgegangen
werden, was Schl.s neues Religionsverständnis für die
Atpm-Frage bedeutet. Weiter ist die Frage wichtig, wo in der unumgänglichen
Sprachäußerung der Religion der Atpm sich einstellt.
Ist schon der Gottesgedanke selbst ein Atpm? C. wünscht also - mit
Recht - Schl.s Stellungnahme zur Atpm-Frage als eine fundamental-
hermeneutische Präzisierung zu bestimmen, die sich als Wahrnehmung
der Wortverantwortung versteht. Eine weitere Hypothese
C.s ist, daß „[Schi.] von Anfang an den . . . [Atpm] in einer Bewegung
zu erfassen versucht habe. Der Ort des Phänomens ist für ihn die
Oszillation, in der das endliche Dasein seine Form hat" (89). In jeder
neuen Äußerung zur Atpm-Frage hält Schi, diese Bewegung in Gang,
ohne daß er seine grundsätzliche Auffassung von der Bewegung selber
verändert hat. Diese Hypothese bestimmt den Weg der Abhandlung
C.s. In den Reden von 1799 wird nach dem Anfang der Bewegung und
dem Entwurf der Auffassung des Atpm gesucht, an den späteren Auflagen
der Reden ihr Fortgang abgelesen und schließlich in einem
zweiten Schritt die Glaubenslehre von 1830 unter Berücksichtigung
der 1. Auflage von 1821 herangezogen.