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Ausgabe:

1986

Spalte:

378-381

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Dictionnaire de Spiritualité. XII (Première Partie): Pacaud-Photius 1986

Rezensent:

Völker, Walter

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 5

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1985. 1092-1094) erwähnen Dionysius als möglichen Vf. des,,Specu-
lum". Die in der Schrift angeführten Autoritäten, vor allem aber der
geringe mystische Einfluß (s. u.) weisen wohl in eine andere Richtung
.

Der Einleitung folgt der gut lesbare Faksimiledruck nach dem
Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, dessen zahlreiche
Bibclzitate im nachfolgenden Kommentar genausowenig verifiziert
werden wie die vielen Verweise auf Kirchenväter oder antike
Autoren (Augustin und Gregor liegen weit an der Spitze, halb so oft
werden Hieronymus und Bernhard angeführt, denen mit großem
Abstand Chrysostomos und Isidor folgen. Aristoteles, Boetius und
Anselm werden nur dreimal erwähnt, weitere 10 Autoren noch seltener
). Die ausführlichen philologischen Beobachtungen zu den
Varianten und Textemendationen (11-54) werden in den Einzelabschnitten
stets mit einführenden Bemerkungen versehen, in denen
u. a. auf den Tatbestand hingewiesen wird, „daß es sich bei den
Texten aus der frühneuhochdeutschen Erbauungsliteratur um Vorlesetexte
handelt" (18) und die Zeichensetzung sowie Großschreibung
dementsprechend vor allem von ihrer rhetorischen Funktion her zu
verstehen ist. In der Auflistung der einzelnen Textvarianten und
-emendationen aus dem Vergleich der Ausgaben von 1484 und 1487
vermißt man einen erläuternden Hinweis auf den Tatbestand, daß die
Initiale der Vorrede und aller 7 Kapitel in der Ausgabe von 1484
fehlen, also offensichtlich dem Illuminator vorbehalten blieben. Zur
Ausgabe von 1487 ist nur bei der Vorrede die Initiale als vorhanden
verzeichnet (34). Eine entsprechende Information, wie es sich bei den
Kapitclanfängen verhält (35, 37. 40, 42, 43, 46, 49), fehlt. Einem
knapp gehaltenen Glossar (55-60) folgen Ausführungen zur Morphologie
(61-73) und Syntax (74-96), die ausschließlich für Philologen
von Interesse sind. Nach einer Zusammenfassung, in der vor allem auf
die Schwankungen in der Graphic, Morphologie und Syntax hingewiesen
und die Erbauungsschrift „der älteren Frühneuhochdeutschen
Sprachperiode" zugerechnet wird (97), schließt sich ein Verzeichnis
der vorwiegend philologischen Spezialliteratur (das als „Geschichte
der deutschen Sprache . . . Verfaßt von einem Autorenkollektiv unter
Leitung von Schmidt, W." zitierte Werk, wird dann doch unter S eingeordnet
, vgl. 15 Anm. 20. 22 Anm. 38, 101 Jan. Leider fehlt ein Abkürzungsverzeichnis
.

Der seelsorgerliche Traktat gibt als Absicht an, es sei „zuo samen
gelesen vnd gesetzt aus maniger bewaerter vnderweisung vnd lere der
cristlicher lerer dises büchlin hiedurch die sündig sele, die dann von
dem rechten weg getretten, durch sollich vnderweisung lere vnd
ermanunge moeg widerkomen zuo dem weg der warhait vnd gerech-
tigkait" (av). Die Schrift besteht aus 7 Kapiteln, „auff yeglichen tag
der wochen ains zuo lesen und betrachten" und zwar 1. „von der
armut vnd schnoedigkait der menschen in diser weit", 2. „von der
sünd in gemain, vnd wie gros vnd schwaerlich wir durch die einfcll in
gaistlich schaden vnd verderbnus der sei", 3. „von der bus würckung,
wie die bald geschehen soll", 4. „wie die weit zuo fliechen vnd hassen
sey", 5. „das man sol verschmächen die hinfallenden ergencklich
reichtum diser weit mit iren falschen gewalt vnd wirdigkait", 6. „von
dem tod. der allweg vnd vber all ding zefürchten ist, sich gegen jm
zuoberaiten", 7. „von den froeden des ewigen paradis vnd von den
Penen der hell" (Register: aijv). Die Sprache entspricht der Bußtradi-
'ion, d. h. sie ist vor allem in der Schilderung der menschlichen Nichtigkeit
gegenüber Gott (z. B. aijjv-aiiijr), der Todesverfallenheit
(6. Kap.), aber auch der ewigen Freuden und der höllischen Pein
(7. Kap.) bilderreich und drastisch. Anklänge an die Mystik finden
sich selten, nicht einmal in den 13 Zitaten aus Bernhard. Der Ton entspricht
mehr der Wcishcitsliteratur. Nur in eindrucksvollen Passagen
des 7. Kap. (h ijv-h vjr) und des 5. Kap. (f ijv-f vijv) kommt der Traktat
ohne jegliche Zitate aus. Die Passage im 5. Kap. gehört zu einer
Mahnung im Stile der Fürstenspiegcl. in der den Herrschenden und
Wohl lebenden nicht nur ihre Vergänglichkeit unterbreitet, sondern
ihnen auch ihre sozialen Sünden vorgehalten werden: „Ir ouch, die
sich erhoechend durch sunderlichen adel gewalt. .. vnd hie durch

ander leüt vnderdruckent vnd verschmaechent" (e viijr). „vnd nit
allein das, das ir hie mit [sc. mit Müßiggang] dem menschen nit
wocllent die arbeit dragen, sunder ir lossent ouch die nit leben, die
arbeiten als die dürfftigen armen leüt, sie sich ircs bluotigen schwais
taeglich nerend, die vnderstond ir zebringen mit ewern krigen in
manigerlay vndertrückung, darumb verdient ir nit mit den menschen
gepeinigtt werden, sunder mit den tüfteln in der hell" (f ijv-f iijr). Sogar
ihrem Kirchgang werden unlautere Motive unterstellt (f iiijv). Die
massive Form der Anklage, zu der auch der Hinweis gehört, daß
Christus nur einen von edler Geburt (Bartholomäus) und einen
Reichen (Matthäus), alle anderen aber aus dem Kreis der armen
Fischerais Jünger berufen habe, sind gewiß nicht als subversive Äußerungen
zu interpretieren. Im Kontext der spätmittelaltcrlichen
Beicht- und Bußliteratur sowie der Ständepredigt lesen sich auch einschlägige
reformatorische Äußerungen anders als das häufig der Fall
ist. Es wäre von Nutzen, wenn diese Traditionen aufgearbeitet würden
. Als ein Baustein hierfür kann auch die philologisch orientierte
Ausgabe des „Spiegels der armen sündigen Seele" angesehen
werden.

Berlin Siegfried Brauer

Dictionnaire de Spiritualite, ascetique et mystique, doctrine et
histoire. fonde par M. Viller, F. Cavallera, J. de Guibert, S. J„ conti-
nue par A. Rayez, A. Derville et A. Solignac, S. J. avec le concours
d'un grand nombre de collaboratcurs. XII (Premiere Partie):
Pacaud-Photius. Paris: Beauchesne 1984. 1408 Sp.4°.

Die Artikel, die mit dem Buchstaben P beginnen, sind so zahlreich,
daß sie nicht in einem Bande untergebracht werden können (Band XII
schließt mit dem Beitrag Photius, Sp. 1397-1408). Es ist ein buntes
und mannigfaltiges Bild, das sich vor unseren Augen entrollt, und
naturgemäß sind es die zusammenfassenden Beiträge, die unsere Aufmerksamkeit
zunächst auf sich lenken. Aus ihrer Zahl möchte ich vier
besonders hervorheben.

Da wäre der Beitrag Pays-Bas (Sp. 705-789) vor allem erwähnenswert
. Erbietet im Überblick eine Geschichte des geistlichen Lebens in
den Niederlanden, beginnend mit den Klostergründungen der Zisterzienser
. Hier fand Wilhelm von St.Thierry seine Bewunderer, und
hier bilden sich in den Frauenklöstern die bezeichnenden Züge holländischer
Spiritualität aus (mystische Gnaden, Askese, Eucharistie,
Sp. 716). Anschließend werden einige Frauengestalten des näheren
charakterisiert: Beatrice v. Nazareth (Sp. 71 70 und besonders Hade-
wijch (Sp. 721 0, die von Wilhelm von St.Thierry beeinflußt ihrerseits
wieder auf Ruusbroec eingewirkt hat (Sp. 726). Dieser und seine
Schüler werden ebenso erwähnt wie die Gründung von Groenendaal
(Sp. 727-730). Für das 16. und 17. Jh. wird Maria von Hout (gest.
1547) mit ihren Werken charakterisiert (Sp. 731-733) und im Anschluß
der bedeutsame Traktat« La Peerle et le Tempel», der ausführlich
besprochen wird (Sp. 733-735).

Nach 1620 beobachten wir ein Wiederaufleben der Mystik,
wovon der Vf. «un apercu rapide et incomplet» gibt (Sp. 740-749),
bis sie im 18. Jh. zurückgeht und an Interesse verliert (Sp. 754). Zum
Abschluß wird noch ein Überblick über das geistliche Leben im protestantischen
Holland geboten (Sp. 756-789). Er beginnt mit dem
Anabaptismus, und es schließt sich an der holländische Calvinismus,
von dem katalogartig 33 Persönlichkeiten mit reichen Literaturangaben
vorgeführt werden (Sp. 762-777). Die Aufzählung endet mit der
Schilderung einiger Bewegungen und Persönlichkeiten des 17. Jh.,
wobei auch die Bourignon nicht übersehen wird (Sp. 786). Der gut
orientierende und mit erschöpfenden Literaturangaben versehene Artikel
ist ungleichmäßig gearbeitet. Die älteren Partien bilden einen
inneren Zusammenhang und charakterisieren das geistliche Leben,
während die Schlußabschnitte sich mit einer bloßen Aufzählung begnügen
. Seltsamerweise fehlt ein richtiger Abschluß mit einer kurzen
Zusammenfassung der erzielten Resultate.

Von besonderer Bedeutung ist der umfangreiche Artikel «Perfee-