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Ausgabe:

1986

Spalte:

376-378

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Spiegel der armen sündigen Seele 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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375

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

376

vgl. 135 u. ö.). Die theologische Bedeutsamkeit wird von den materiellen
Wirklichkeiten Brot und Wein abgelöst und auf die Wortwirklichkeit
im Brot konzentriert. Das ist die Spiritualisic, eng, die L. bei O.
sieht. Das historische Abendmahl Jesu deutet O. realpräsentisch. aber
die kirchliche E.-Feier ist Symbol der Abendmahlsfcier, die „oben"
im „Obersaal" geistig empfangen wird (138).

Kap. 3 behandelt „Die Opferdimension des Begriffes .eucharistia'"
(149-216). L. resümiert: O. zeichnet „in diesen traditionellen Rahmen
sein eigenes Bild der eucharistischen Opferwirklichkeit ein, so
daß der Eindruck einer Zweigleisigkeit entsteht"; „nur im Verweis
kann das Symbol die Opferwirklichkeit zur Anwesenheit bringen"
(214). Hier gelingt es O. nicht, die von ihm behauptete „.Realpräsenz'
des Opfers Christi im Symbol durchzuhalten" (215).

In Kap. 4 geht es um „Spiritualisierung der Vorstellungsinhaltc des
Begriffes Eucharistie als Analogisierung" (218-258). O. sieht in der
Brotvermehrung den Typos für die sakramentale Eucharistie und Für
die Verkündigung, sie sind durch das eulogische Wort Jesu verbunden
, in dem sich der Logos mitteilt (227). Die Spiritualisierung als
Analogisierung entdinglicht und verinnerlicht die E. und verlegt ihren
(geistigen) Genuß in die Seele. Vgl. 321: „Das leibliche Essen ist symbolische
Aufnahme einer geistigen Wirklichkeit."

Kap. 5 untersucht „Die Dimension des Begriffes .eulogia' zur Bezeichnung
der Logosgegenwart bei Origenes (261-293). O. übernimmt
die jüdische, philonischc und nicht die profangriechische Bedeutung
von .eulogia' (266.278). Der eulogische Leib und Blut Jesu ist
nicht in sich Heilsmittel, sondern (monophysitisch) in seiner Logoswirklichkeit
heilbringendes Zeichen (273. 277). Der Logos nimmt in
der Eulogie menschliche Worte an: darin teilt ersieh aus (291).

Kap. 6: „Die sakramentale Eucharistie als Symboi-Eulogie"
(294-338). Das wirksame eucharistische Wortgeschehen ist Segensgeschehen
; Brot und Wein werden eucharistiert (295). Das Faktum
steht für O. fest, aber er gibt nicht an, wie er sich die Verbindung zwischen
Brot als Materie mit dem Logos vorstellt, denn das Symbol als
realpräsentisch verstandener Leib Jesu steht zwischen ihnen (311 F,
319).

Im Kap. 7 „Rückblick und Ausblick" (339-352) läßt L. die Ergebnisse
zusammen: O. steht wohl in der christlichen Tradition, weicht
aber von ihr ab, wo er die biblisch-theologische Denkform von Eulogie
mit dem platonischen Symbolverständnis und Einheitsmetaphysik
zusammenzubringen versucht (345); damit wertet er das sakramentale
Moment ab (351). Daß manches in seiner Sakramentsauffassung reformiert
(kaum lutherisch) klingt, hängt wohl mit dem gemeinsamen
platonischen Erbe zusammen (zu 345). Abschließend versucht L. eine
systematische Zusammenfassung; er will zwischen verschiedenen
Arten von Präsenzweisen Christi unterscheiden. Das hat er andernorts
aufgenommen und präzisiert (z. B. „Eulogia - Überlegungen zur formalen
Sinngestalt der Eucharistie", ZKTh 1978, 69-97; „Verbalpräsenz
- Aktualpräsenz - Realpräsenz", Praesentia Christi, FS
J. Betz, Düsseldorf 1984, 79-100).

Hinsichtlich der Opfervorstellung muß doch wohl manches modifiziert
werden. Im NT. bei Ignatius und Origenes ist eine ausdrückliche
Opfervorstellung entweder gar nicht zu finden oder doch auf das Lobopfer
zu beschränken (so bei O., 54). Daß im NT „bei .eucharistein'
der Opfergedanke nicht ausgeschlossen werden" kann (22), ist positiv
wohl nicht zu begründen, zumindest dann, wenn damit ein propitiato-
risches Opfer gemeint sein soll. Wie steht es da bei O. (277: „Der in
diesem Segenstrank ankommende Segen hat die v. xung der ,propi-
tiatio'")? Sind bei dieser Frage noch immer unterschiedliche dogmatische
Vorentscheidungen mit im Spiele?

Sollte von der Tatsache aus, daß die ntl. Texte die sakramentale
Speise nicht als E. bezeichnen (65), Konsequenzen hinsichtlich der
Konvergenzerklärungen von Lima gezogen werden? Der Begriff E.
erscheint dem Rez. nicht geeignet, das Abend- oder Herrenmahl ausschließlich
zu bezeichnen (dazu ist esein Fremdwort!).

Rez. muß es sich versagen, das von L. Herausgehobene auf die
Abendmahlskontroversen auszuziehen, die von der Alten Kirche her

die ganze Dogmcngcschichte durchziehen und noch heute virulent
sind.

L. bietet mehr, als der Titel angibt, er gewährt gute Einblicke in die
E.-Lehre vorO. überhaupt.

Corrigcndum: S. 95. Z. 21 ist doch Irenaus und nicht Ignatius gemeint.

O. sagt (CC VIII 57, GCS II 273/22): „Wir wissen allerdings genau,
was Eucharistie bedeutet." Das kann wohl nur von denen gelten, die
„tiefer zu hören" verstehen, zumindest was die origenische Abendmahlslehre
betrifft. Gerade dies uns deutlich gemacht zu haben, ist das
Verdienst von L.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Bonn, Pietcr: Spiegel der armen sündigen Seele (Ulm: Conrad Dinck-
moti 1484) Textausgabe mit einem Glossar, einer Einführung und
Beobachtungen zum Sprachgebrauch. Amsterdam: Rodopi 1984.
XII, 101 S. 8" = Quellen und Forschungen zur Erbauungsliteratur
des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, 8. Kart, hfl 70.-.

Ausgaben von Werken der spätmittelaltcrrichen Erbauungsliteratur
der vom Germanistischen Institut der Freien Universität Amsterdam
verantworteten Reihe unterliegen in erster Linie einer historiolin-
guistischen Zielsetzung. Bei der anzuzeigenden Publikation bedeutet
das: Faksimile-Wiedergabe. Vergleich der beiden Drucke von 1484
und 1487 sowie der (mutmaßlichen) lateinischen Vorlage (von 1480)
und dementsprechenden Textemendationen, ausführlicher sprachlicher
Kommentar. Inhaltliche Aussagen, aber auch literarhistorische
(Genre) oder theologische Einordnungsfragen bleiben außerhalb des
Blickes. Der Nichtphilologe ist genötigt, die Zielsetzung zu akzeptieren
, selbst, wenn er sie als schmerzliche Einengung empfindet, denn
die seelsorgerliche Spiegel-Literatur wird vor allem in der Kirchen-
geschichtsschrcibungnoch viel zu wenig beachtet.

Die knappe Einleitung beschränkt sich auf Informationen zu den
„Ausgaben des .Geistlichen Spiegels der armen sündigen Seele' von
1484 und 1487 und ihre mutmaßlichen lateinischen Vorlagen"
(1-10). Bereits hier wird erkennbar, daß es den Ausführungen und
Hinweisen nicht selten an der nötigen Präzision fehlt. Der Titel der
Ausgabe ist nicht völlig identisch mit der Bezeichnung der Schrift in
der Einleitung, in der die Selbstbezeichnung aus der Vorrede aufgegriffen
wird. Nur im Abschnitt über die Ausgabe von 1487 erfährt
man, daß der Druck von 1484 im Gegensatz zu dem von 1487 keinen
„richtigen Titel" besitzt (4). Der Titel des Druckes von 1487. „Ain
schone matteri Eingedailt in sibc tag der woche vnd genant der suon-
digen sele Spiegel. Anno 1487" wird dann im Verzeichnis der Textvarianten
(33) notiert. Eine übersichtlichere Anlage der Informationen
in diesem Fall und auch sonst häufig wäre benutzerfreundlicher.
In seiner Einleitung faßt der Hg. zunächst das Wissen über den Ulmer
Drucker zusammen (E. Voulliemcs Arbeit sollte besser nach der überarbeiteten
2. Auflage von 1922 verwendet werden, deren Druckprobe
mit der in Faksimile wiedergegebenen Druckschrift übereinstimmt:
1670 und verzeichnet dann die 10 bekannt gewordenen Exemplare
der Ausgabe von 1484 sowie die 10 der Ausgabe von 1487.

Die Übersetzerfrage bleibt unerörtert. Ausführlicher äußert sich
Boon zu den mutmaßlichen lateinischen Vorlagen, zu den 6 Drucken
des „Speculum animae peccatricis" aus den Jahren 1477-1483.
(Exemplarnachweis: 50- Als Übersetzungsvorlage empfiehlt sich der
Druck Peter Drachs von 1480, obgleich eine sichere Zuweisung wegen
der erheblichen Textabweichungen in der deutschen Übersetzung
nicht möglich ist (90. Als Vf. der lateinischen Vorlage werden sowohl
die ältere Auffassung (Inkunabelkatalog des Britischen Museums:
Dionysius Carthusicnsis als Autor), als auch die jüngere (F. Gcldner
und Gesamtkatalog der Wiegendrucke: Jacobus de Gruytrodc als
Autor) referiert. Eine Entscheidung bleibt offen. Unter den Litcratur-
angaben zu Dionysius Carthusicnsis vermißt man die Würdigung in
der TRE 9,5f (1982) von Emile Brounette. Weder Brounette, noch
D. D. Martin in seinem inzwischen erschienenen Artikel „Dionysius
der Kartäuser" (Lexikon des Mittelalters Bd. 3. München/Zürich