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Ausgabe:

1986

Spalte:

370-372

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hürten, Heinz

Titel/Untertitel:

Die Kirchen in der Novemberrevolution 1986

Rezensent:

Nowak, Kurt

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369

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

.370

Eckerntmm, Willigis, u. Edgar Papp [Hg.]: Martin Luther. Annäherungen
und Anfragen. Vechta: Vechtaer Druckerei u. Verlag 1985.
184 S. gr. 8' = Vechtaer Universitätsschriften. 1.

Mit dem anzuzeigenden Bd. eröffnet die erst 1973 als Abteilung
der Osnabrücker Hochschule gegründete Universität in Vechta/Südoldenburg
ihre Schriftenreihe, durch die sie einer breiten Öffentlichkeit
Anteil an ihren Forschungen geben möchte. Dem gleichen Ziel
dienen wohl die seit 198.7 regelmäßig im Sommersemester stattfindenden
Ringvorlesungen. Die von 198.3 über Luther liegt hier vor. Sie
..stieß auf ein nicht erwartetes breites Interesse", vermutlieh, weil sieh
..vornehmlich katholische Theologen und Germanisten zu Wort meldeten
" (5).

Der Dogmatiker und Dogmengesehiehtlcr Willigis Ei kermann eröffnet
den Reigen mit dem Beitrag ,,Theologie gegen Philosophie?
Anfragen an Luther" (9-24). Seiner gut lesbaren Darstellung der Position
Luthers (21: „Unterordnung der menschlichen Vernunft unter
das Wort Gottes") stellt er das tridentinisehe „Modell der Kooperation
zwischen Gott und Mensch" gegenüber, das dem von der Idee der
Freiheit immer stärker erfaßten Menschen „einen Weg lurseinc Glau-
hensbestätigung" eröffnet (21). Diese Sieht von der „Korrckturbedürf-
tigkeit von Luthers Theologiekonzeption" (10) vereinfacht die komplizierten
Zusammenhänge doch wohl zu sehr und dokumentiert bei
allem Willen zum Verstehen die nach wie vor unterschiedlichen
Vnsätze in dieser Frage. Der Oldcnburger ev.-luth. Oberkirchenrat
Rolf Schäfer plädiert in seinem Referat über „Luther und die evangelische
Kirche" (25-34) nach einer allgemein verständliehen Skizze
von Luthers Ekklesiologie dafür, von Luther Hinweise für die Formulierung
der Reehtfertigungslehre unter heutigen geschichtlichen Bedingungen
zu erwarten. In den beiden lutherischen Wesensmcrk-
malen der Kirche erblickt er angesichts der heutigen Ökumene den
Fingerzeig: „Wesentlich ist allein, daß die geistliehe Einheit wächst"
(34). Einen abgewogenen Überblick über Verlauf und Flintergründe
von Luthers Auftreten in Worms gibt auf der Grundlage der heutigen
Forschung der Gcschichtsdidaktiker Alwin Hanxhmidt: Der Ketzer
und der Kaiser. Luther und Karl V. auf dem Reichstag zu Worms
1521 (35-57). Zu „Martin Luther und die rhetorische Tradition"
äußert sieh der Philologe Eberhard Oekel (58-75). indem er Luthers
Auffassung (Kritik der Sehwulstrhetorik, Neuprägung des einfachen
Stilideals mit ROckbindung an die unverfälschte wahre und verständliche
Vermittlung des Evangeliums) mit der höfischen (Baldesar
Castiglione) und der humanistischen (Melanehthon) Rhetorik versichern
. Die interessanten Ausführungen hasieren leider nur auf einer
sehmalen Quellenauswertung (Tischreden) und verzichten auf die
Auswertung der einschlägigen Untersuchungen aus der Lutherforschung
. Letzteres trifft auch auf die geraffte Darstellung von „Luthers
theologischer Anthropologie" durch den Eundamcntaltheologen
Friedrieh Janssen zu (76-8.7), dessen Anliegen es ist, in Anlchnungan
Heinrieh Fries den komplementären C harakter der personalen
anthropologischen Konzeption Luthers und den ontologisehen der
Katholischen Theologie aufzuweisen. Der Musikpädagoge Heinrieh
•Wiens gibt .eine Einführung aus musikwissenschaftlicher Sieht' über
•.Luthers Lieder in Vokal- und Instrumentalsätzcn zwischen Johann
Walter 1496-1570 und J. S. Bach 1685-1750" (84-99). Stärker als
die Überschrift angibt, ist von Luther vor allem im Kontext der
musikgeschichtlichen Entwicklung die Rede. Für eine tiefgrahende
Analyse der Lutherlieder bleibt kein Raum. Der Beitrag enthält Hinweise
auf Beispiele aus dem vorhandenen LP-Bestand. Auffällig ist die
eigenwillige Zitierweise in den Anmerkungen (nur teilsweisc S.-An-
gaben. Erscheinungsjahr unmittelbar nach Verlässernamen. Letzteres
betrifft mehrere Beiträge). Faszinierend lesen sieh die Ausführungen
des Sprachwissenschaftlers Wilfried Kürschner über „Luthers
Deutsch und die Gegenwartssprache" (100-1 17). in denen am Beispiel
des Weihnaehtsliedes „Vom Himmel hoch da komm ich her"
vor allem auf die Unterschiede der Gegenwartssprache zum Luther-
deutsch aufmerksam gemacht und den Gründen hierfür nachgespürt
wird. Deutlicher als bei den meisten anderen Beiträgen kommt der

Forschungscharakter in den ..tcxtphilologische(n) und übersetzungs-
theorctische(n) Untersuchungen" (Untertitel) zu „Luthers Übersetzungen
des .Magnilikaf" des Sprach- und Litcraturwisscnsehaftlers
Edgar Papp (I 18-144) zum Ausdruck. Eindringlicher als das in der
Regel an dem bekannten Beispiel des Magnillkat geschieht, wird aufgezeigt
, wie Luther „erst nach zuweilen längerem Experimentieren,
nach der Erörterung der sachlichen Grundlagen und nach dem Abwägen
klanglicher, stilistischer, semantischer Aspekte . . . mit feinem
Gespür zum endgültigen Ausdruck" gelangte (138). und daß seine
theologische Erkenntnis bestimmend beteiligt war. Die herkömmliche
Angabe, der Druck von Luthers Magnilikatauslegung habe sieh
bis zum September 1521 verzögert, ist zu korrigieren, da Müntzers
Braunsehweiger Briefpartner Hans Pelt bereits Anfang September im
Besitz eines Exemplares war. Ergänzungsbedürftig ist die Auffassung,
die Entstehung von Luthers NT-Übersetzung sei eine Folge der anti-
römischen und innerreformatorisehen (Sehwärmer) Auseinandersetzungen
. Die durch Erasmus ausgelösten vorluthcrischen Übersetzungen
von NT-Schriften sind ebenfalls als vorantreibender Faktor zu
berücksichtigen. Erstaunlieherweise verlockt Dieter Fortcs Luthcr-
Münlzer-Stüek von 1970 immer noch gelegentlich Theologen oder
Germanisten zu kritischen Analysen. Die von Jürgen Baut mann,
Prof. für deutsche Sprache und Didaktik des Deutsehunterrichts,
unterscheidet sieh von den meisten anderen dadurch, daß er die
Rezeptionsfrage einbezieht, d. h. die Gründe für die Publikumsreaktionen
in den frühen siebziger Jahren (145-168: „Martin Luther und
Thomas Müntzer oder die Einführung der Buchhaltung. Eine Analyse
zu Dieter Portes Theaterstück"). Der systematische Theologe Karl
Josef l.eseh steuert einen Beitrag über „Martin Luther im katholischen
Religionsunterricht" bei (169-184), in dem erden Wandel in
der Sieht Luthers herausstellt, aber auch darauf hinweist, daß „es
Sehulbuchautoren bis in die Konzils- und Naehkonzilszeit hinein"
schwerfiel, ..ein objektives und positives Lutherbild zu entwerfen"
(I 74). Lcseh selbst gibt eine Reihe von didaktisch orientierten Hinweisen
für die Behandlung Luthers im katholischen Religionsunterricht,
die für die evangelische Seite genauso beherzigenswert sind. Das neue
Untcrriehtshueh „So bunt ist unser Glaube" (Leipzig 1982) mit seiner
durchweg positiven Lutherdarstellungstand ihm leider noch nicht zur
Verfügung.

Forschungen zu Luther im Sinne von neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen sind von Ringvorlesungen nicht zu erwarten. Ihr Gewicht
erhält die Veehtaer Publikation denn auch nicht von dieser
Seite, sondern dadurch, daß sieh katholische und evangelische Wissenschaftler
im ökumenischen Geist um das Thema „Luther" bemüht
haben, daß sieh - stärker als sonst oft im Jubiläumsjahr - Theologen.
Germanisten. Musikwissenschaftler und Pädagogen zusammengetan
haben und daß es gelungen ist. über den akademischen Raum hinaus
Interesse und Resonanz zu finden. Für die neue Schriftenreihe ist das
gewiß ein guter Auftakt.

Berlin Siegfried Brauer

Kirchengeschichte: Neuzeit

Härten Heinz: Die Kirchen in der Novemberrevolution. Eine Untersuchung
zu Geschichte der Deutschen Revolution 1918/19. Regensburg
: Pustet 1984. 178 S. gr. 8' = Eiehstätter Beiträge. 11. Abt.
Geschichte. Kart. DM 38.-.

Die Studie versteht sich als ein Beitrag zur Revolutionsforschung,
wobei rcvolutions- und kirchengeschichtliche Betrachtung ineinandergreifen
. In Kap. II („Die Kirchen und der Status quo") referiert
der Vf. evangelische und katholische Stimmen zur Monarchie und
staatskirchcnrechtlichcn Ordnung, in Kap. IV Reaktionen der Kirchenbehörden
auf die Novemberrevolution. Die Kap. VI und VII
beschreiben die Wirkungen sozialistischer Staats- und Kirchenpolitik
auf Kirchenbehörden und Kirchcnvolk. Wesentliche neue Materia-