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Ausgabe:

1986

Spalte:

360-361

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Derret, J. Duncan M.

Titel/Untertitel:

The Making of Mark 1986

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

360

welchem Sinne der Begriff Peripetie auf die Passionsgeschichte
anwendbar ist, möchte ich fragen. Ein Blick auf Leidensgeschichten in
der hellenistischen Historiographie und auf die Überlieferung vom
Ende Neros rundet den Aufsatz ab.

In einem weiteren Beitrag äußert sich Cancik unter dem Titel „Bios
und Logos" (115-130) zu Lukians „Demonax". Demonax, ein gemäßigter
Kyniker, wird von Lukian im Sinne einer antiken Biographie
geschildert (geringe Bedeutung der Chronologie, keine Persönlichkeitsentwicklung
, keine Kindheitsgeschichten, kein Aussehen):
sein beispielhaftes Leben wird dargestellt an dem, wie er lebte, und an
dem. was er sagte. Es folgt ein Vergleich mit der Gattung Evangelium
nach Ähnlichkeiten (a-e) und Unterschieden (a-c).

M. Reiser, unlängst hervorgetreten durch eine Untersuchung zu
„Syntax und Stil des Markusevangeliums" (WUNT II, II, Tübingen
1984), folgt einem hier begründeten Grundsatz, nämlich daß Semitismen
im ntl. Griechisch nur durch den Vergleich mit kommensurabler
griechischer Literatur ohne jüdischen oder biblischen Einfluß geortet
werden sollten (ebd. 210. wenn er den Alexanderroman stilistisch
und sprachlich zum Markusevangelium in Beziehung setzt (131 -163).
Nach Beobachtungen zur Traditionsverarbeitung im Alexanderroman
werden dessen Sprache und Stil unter die Lupe genommen
(135fT), die Parataxe, Stellung von Subjekt und Prädikat, Asyndeton
in verschiedenen Zusammenhängen, erzählendes Präsens, lexikalische
Monotonie, um nur einiges zu nennen. Es folgt eine Darstellung
der Erzähltechnik (143ff) und ein synoptischer Vergleich zweier
Rezensionen des Alexanderromans (152 ff). Endlich wird der Roman
gattungsmäßig als „romanhafte Biographie" bestimmt (159). Berührungen
mit dem zweiten Evangelium werden aufgezeigt, wobei dem
Evangelium ein eindeutiger Vorsprung in Erzählkunst und Komposition
zukommt (161). Zitiert sei ein wichtiger Satz: „Der entscheidende
Unterschied . . . dürfte kaum in der Gattung zu suchen sein; was aus
der romanhaften Biographie ein Evangelium gemacht hat, ist allein
die Person, um deren Leben und heilsgeschichtliche Bedeutung es
geht" (160). - Was die Frage der Semitismen anlangt, so sollte man im
Falle des ntl. Griechisch nicht nur selektiv, sondern auch kooperativ
argumentieren und zudem das Eigengewicht des Mündlichen dort
beachten, wo Geschriebenes dem Gesprochenen noch sehr nahe
steht.

G. Lüderitz, „Rhetorik, Poetik, Kompositionstechnik im Markusevangelium
" (165-203) betont die Nähe dieses Evangeliums zur Scp-
tuaginta und zur Gattung des Prophetenbuches. Einem gebildeten
Griechen mußte das zweite Evangelium sprachlich als barbarisch
erscheinen auch deshalb, weil an Kolaenden rhythmische Regeln der
Rhetorik verletzt werden (169ff). Trotzdem ist die Diktion nicht ohne
Rhythmus, da am Ende von Sinnabschnitten oft lange Silben erscheinen
(170). Stilmittel, die sich auf dem Niveau des Markusevangeliums
erkennen lassen, sind Häufungen (Mk 11,28; 14,30 u. a.: 176fT) und
Alliterationen (5,22f; 12,41.43 u.a.; 180ff). Erzählstrukturen wie
Ringkomposition und Triade (184IT), Symbolik (188ff) und Zeitstrukturen
(192ff) werden erörtert. Zum Präsensgebrauch heißt es: „Ich
vermute, daß der Präsensgebrauch im Markusevangelium dadurch
beeinflußt ist, daß die historische Zeit durch eine andere, als gegenwärtig
empfundene überlagert wird, und daß in 6,14-29 (vielleicht
auch in 5,24-34 und in Sammelberichten) kein Präsens steht, weil es
eine in der Vorzeitigkeit spielende Einschuberzählung ist, beziehungsweise
die vom Leser und Hörer als gegenwärtig erlebte Geschichte
Jesu unterbricht" (197). Nach Hinweisen auf Dramatisierungen und
Kontraste werden am Schluß rhetorische Besonderheiten des Markus
gegenüber Mt und Lk namhaft gemacht.

Der packend geschriebene Schlußbeitrag von G. Zuntz „Ein Heide
las das Markusevangelium" (205-222) zeigt anschaulich, wie das
zweite Evangelium auf einen gebildeten Heiden gewirkt hätte, wäre es
ihm in die Hand gefallen. Dann erzählt Zuntz, wie er selbst nach flinf-
undzwanzigjähriger Abstinenz das Markusevangelium unvorbelastet
zu lesen begann und wie nachhaltig es auf ihn wirkte. Viele Wahrnehmungen
wurden gemacht und werden eindringlich vermittelt. Beachtlich
die Ausführungen zu Werk, Kraft und Wirkung des Pneuma
(207IT) oder zur dramatischen Entwicklung der Lehre Jesu (210fT).
Die einmalige Darstellungskraft des zweiten Evangelisten bekommt
starke Worte (21211). Von hier aus untersucht der Autor stilistische
Unklarheiten und mögliche Interpolationen, ein ausgesprochen ambivalentes
Gebiet. Am Ende wird Markus als ein christlicher Aischylos
apostrophiert. - Vier Register (Namen, Begriffe, Markus, Stellen)
machen den wertvollen Band vielfältig benutzbar.

Einige mehr grundsätzliche Fragen, die zum Weiterdenken nötigen,
seien meinerseits dem Bande insgesamt angefügt:

1) Ist die Entstchungssituation des Markusevangeliums auch der
Entstehungsgrund für die Schriftwerdung dieser Jesusüberlieferung?
Welche Kräfte waren hier wirksam und wie sind sie einzustufen? Welche
Bedeutung hatte das Ausscheiden der wichtigsten Erstzeugen und
Führungsgestalten aus der Geschichte Für den Prozeß der Evangelienentstehung
? War das Mittel der Schrift eine Bändigung der bis über
Papias hinaus wuchernden mündlichen Überlieferung? Hier gibt es
viele Fragen!

2) In welchem Sinne ist das Markusevangelium „Literatur"? Ganz
offensichtlich sind die ntl. Briefe innergemeindlich angesiedelt, und
die Paulinischen Briefe haben in der Optik der Gegner sogar einen
Vorsprung vor der mündlichen Anwesenheit des Apostels
(2Kor 10,10). Ist das Markusevangelium ein innergemeindliches Phänomen
? Ist seine Verbreitung literarisch oder gruppenspe/ilisch zu
beschreiben? Genügt es, die Besonderheit dieser „Jesus-Biographie"
in der Besonderheit Jesu zu finden, oder muß nicht ebenso auf die
Besonderheit der Adressaten, d. h. der christlichen Gemeinde geachtet
werden?

3) Wie ist das Verhältnis von Evangelium und Biographie zu bestimmen
? G. Zuntz: „Was wäre schon eine Biographie, die nur vom
letzten Lebensjahr ihres Helden berichtete, aber nichts von seinen ersten
dreißig oder vierzig Jahren" (213)? Wie das Prophetenbuch, will
das Evangelium offensichtlich nicht die Privatgeschichte, sondern nur
die Offenbarungsgeschichte wiederholen. Zum anderen: Was war des
Markusevangeliums Sitz im Leben? War es Lektüre, oder wurde es
gehört von Hörern der Septuaginta, gehört in den Versammlungen der
Gemeinde und zumal in Verbindung mit der Eucharistie? In welche
Deutungssignale und in welche Gemeinschaftsmerkmalc ist es von
vornherein eingebettet?

Scehausen Fritz Neugebauer

Derret, J. Duncan M.: Ehe Making of Mark. The Scriptural Bases
ofthe Earliest Gospel. I: From Jesus' Baptism to Peters Recognition
of Jesus as the Messiah. XV, 154 S. II: From the Transfiguration to
the Anastasis. VIII, S. 155-351. Shipston-on-Stour, Warw.: Drink-
water I985,gr. 8°.

D. hat schon mehrere Einzclbeiträge zur Auslegung des Neuen
Testaments geschrieben (s. die Rez. in ThLZ 104, 1979,905 f und 1 10,
1985, 527f). Sein letztes Buch ist ein Markuskommentar, der der Forschung
neue Wege bahnen soll.

Der Vf. arbeitet im Grunde redaktionsgcschichtlich, wie er selbst
mehrmals behauptet. Er konzentriert sich auf das Zeugnis und auf die
theologisch-literarische Arbeit des Evangelisten, den er im Rahmen
der Zwei-Quellen-Theoric für den ältesten Synoptiker hält. Markus
war nach ihm ein rabbinisch gebildeter Gelehrter, der in seinem
Arbeitszimmer die Tradition über Jesus bearbeitet und neu gedeutet
hat. Den theologischen Rahmen seines Evangeliums bildet das alt-
testamentliche Zeugnis über.die Wanderung des Volkes Gottes in das
verheißene Land, über den Exodus, der unter der Führung Josuas sein
Ziel erreichte. Die Geschichte Jesu wird auf diesem Hintergrund als
die neue, zum wirklichen Ziel führende Wanderung unter der Leitung
von Josua - Jesus geschildert (15, 25, 314f u. a.). Ein weiterer umfassender
Rahmen sind die ständigen Hinweise auf die Klagelieder. Die
erhofften Leser bzw. Hörer des Buches waren jüdische Bauern und