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Ausgabe:

1986

Spalte:

357-360

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Markus-Philologie 1986

Rezensent:

Neugebauer, Fritz

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

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horizont seiner Umwelt"5 dar und sichert damit die geschichtliche
Möglichkeit der Artikulation und der Verstehbarkeit dessen, wie
Jesus sein Todesgeschick begrilT. Freilich tendiert Sch. dahin, ebenso
wie bei der Frage nach christologischen Hoheitstitel. Jesus ganz aus
den vorgeprägten Strukturen herauszunehmen; wir sollten auch hier
..nicht lange nach expliziten soteriologischen Äußerungen Jesu
suchen, wenn dieser sich als der absolute Heilbringer und Repräsentant
der Basileia proexistent verstanden hat und wenn er mit diesem
übcrkonzeptionellen Verständnis dem Tode entgegengegangen ist"
(S. 245).

Diese Stellungnahme zeigt deutlich die eigenartige Spannung, die
die Arbeit von Sch. durchzieht. Der exegetische Befund wird im einzelnen
einer geradezu schonungslosen Kritik unterzogen, der gegenüber
man oft zu fragen geneigt ist. ob nicht der Überlieferung in
dubiosen Fällen mehr Zutrauen entgegengebracht werden darf. Der
verbleibende Rest der Überlieferung aber, den Sch. für Jesus in Anspruch
nehmen zu können glaubt, wird in weitausgreifender, immer
höchst beeindruckender Weise systematisch ausgewertet und ausgeweitet
. Zum Problem wird diese Art des Vorgehens, sofern das Zweite
durch das Erste ermöglicht wird.

Wie stets aber liest man auch diese vertiefende Neufassung der zusammengestellten
Arbeiten Sch.s mit großem Gewinn - nicht nur auf
neutestamentlichem Gebiet!

Der 1985 im St. Benno-Verlag Leipzig erschienene Teildruck des
Bandes enthält neben der,.Hinfuhrung" und dem „Ausblick" nur den
ersten („Jesu ureigenes Basileia-Verständnis") und den 5. Beitrag
(„Jesu Todesverständnis im Verstehenshorizont seiner Umwelt").
Dafür ist „Als Beigabe ein kerygmatischer Versuch: Jesu Tod - Unser
Leben" neu hinzugefügt, ein Text, der erstmalig als Nr. 18 der Schriftenreihe
: Antwort des Glaubens, hg. vom Informationszentrum Berufe
der Kirche, Freiburg i. Br. 1980. veröffentlicht wurde. Dadurch
wird diese Ausgabe in strengem Bezug auf das zentrale Thema des
Bandes geistlich aufgeweitet und so aktualisiert, daß der Dienst Jesu
als unser Dienst sichtbar wird.

Halle (Saale) Traugott Holtz

' Erstveröffentlichung in R. Pesch u. a. (Hg.). Jesus und der Mcnsehensohn.
FSA.Vögtle, Freiburg 1975. 124-147.

1 Erstveröffentlichung in J. Delobel (Hg.). Logia (ETL. Bd. 59). 1982.
121-194.

Erstveröffentlichung in H. Waldcnfcls (Hg ). Theologie - Grundlagen und
Grenzen. FS H.Dolch. Paderborn 1982, 191-237.

Erstveröffentlichung in J. Zmijewaski u. E. Ncllesscn (Hg ). Begegnung mit
<fem Wort (BBB 53). 1980,273-309.
' Erstveröffentlichung in ThGI 70. 1980. 141-158.

Cancik. Hubert [Hg.]: Markus-Philologie. Historische, litcrargc-
schichtliche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium
. Tübingen: Mohr 1984. VII, 227 S. gr. 8" = Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament, 33. Lw. DM 148.-.

H. Cancik (Hg.) würdigt im Vorwort seinen Lehrer G. Zuntz
(C ambridge). hat doch dieser, in Tübingen regelmäßig gastierend, eine
uicr ..traditionsreiche Verbindung von klassischer und biblischer
Philologie aktiviert" (V). Ein Zeugnis für die Fruchtbarkeit solcher
Berührung ist der vorliegende Aufsatzband, dessen einzelne Beiträge
zunächst kurz, charakterisiert sein mögen.

M. Hengel. „Entstchungszcit und Situation des Markusevange-
liums" (1-45) verfolgt sein Thema in einem ungewöhnlich breit
Bespannten Beobachtungsrahmen. Alle nur möglichen Hinweise
innerhalb des zweiten Evangeliums werden genutzt (lOfT). um den in
Frage kommenden Zeitraum immcrengcreinzugrenz.cn: Mk9.l in
seiner Stellung zwischen I Kor 15,6 und Joh 21,23. Beobachtungen
zur Kennzeichnung des Kreuzträgers mit Hilfe seiner Söhne
(Mk 15.21). zu Namen und Titeln des Hohenpriesters und des Prokurators
, zur Darstellung der jüdischen Gruppen in der Lage vor 70, zur
Reihenfolge der Jüngernamen - all dies spricht gegen einen Spätansatz
. Andererseits sind gegen eine Frühdatierung etwa vor den Paulinischen
Briefen das höhere Alter von Q und die weltweit vorausgesetzte
Heidenmission (Mk 13.10; 14,9; 15,39) ins Feld zu führen.
Die Möglichkeit, die Entstehungssituation des Markusevangeliums
geradezu zeitpunktmäßig festzulegen, ergibt sich aus Mk 13 (21 ff). Da
Mk 13,2 nur die Tempelzerstörung geweissagt ist, während in Wirklichkeit
Tempel und Stadt vernichtet wurden, ist hier nicht an ein
vaticinium ex eventu zu denken. Zudem sind die wirklichen Verhältnisse
der belagerten Stadt gerade nicht beschrieben. Man floh nicht
aus der Stadt in die Berge (Mk 13,14), sondern in die Stadt. Einen
tmpxöxa (13,14), d. h. eine endzeitliche widergöttliche Gestalt, gab es
bei der Eroberung Jerusalems in diesem Sinne nicht (270- Mk 13,6-13
(31 IT) spiegeln in der Bearbeitung des Evangelisten die turbulenten Ereignisse
des Dreikaiscrjahrcs wider, als nach Erschütterungen der
Natur auch die politische Ordnung zerbrochen schien. In dieser im
höchsten Sinne apokalyptischen Situation gab es die Erwartung eines
Nero redivivus, und M. Hengel vermutet, daß diese Erwartung in
Mk 13,14 zum Zuge kommt. Da nach 70 Vespasian das angeschlagene
Imperium in kurzer Zeit konsolidiert, sind die Aussagen von
Mk 13,6-13 kaum in diesen Jahren unterzubringen. Das Markusevangelium
„entstand vermutlich in der politisch brisanten Zeit nach
der Ermordung Neros und Galbas und vor der Erneuerung des Jüdischen
Krieges durch Titus, d. h. etwa zwischen dem Winter 68/69
n. Chr. und dem Winter 69/70 n. Chr." (43). Da der Evangelist die
wirkliche Lage in Palästina nicht kennt, sondern die Erschütterung
von Reich und Welt eher aus römischer Perspektive wahrnimmt und
zudem griechische Begriffe für Römer erklärt (Mk 12,42; 14,16). ist
mit der altkirchlichen Überlieferung an Rom als Abfassungsort zu
denken.

G. Zuntz, „Wann wurde das Evangelium Marci geschrieben?"
(47-71) konzentriert die Datierungsfrage auf einen einzigen Punkt,
nämlich auf die Deutung von f.axpxoxa in Mk 13,14. Hier werde ganz
deutlich auf die Absicht Caligulas angespielt, im Jahre 40 ein Bildnis
seiner Person im Jerusalemer Tempel aufzustellen. Die damit gegebene
Frühdatierung könnte durch subscriptiones in manchen Handschriften
gestützt werden, wonach Markus 10 Jahre nach Christi Himmelfahrt
sein Evangelium schrieb. Doch seien diese Angaben ohne
argumentativen Wert. D. h.: Die „Datierung des Zweiten Evangeliums
hängt ausschließlich von der Beurteilung von Mk 13.14 ab"
(71). Ist das wirklich so? Immerhin: Der Aufsatz ist mit Feuer geschrieben
und gibt eine interessante Erklärung der erwähnten subscriptiones
.

H. P. Rüger. „Die lexikalischen Aramaismen im Markusevangelium
" (73-84) vergleicht in 21 Fällen die Transskriptionen aramäischer
Namen, Worte und Sätze mit ihren im Aramäischen belegbaren
Äquivalenten und stellt eine erhebliche Konstanz der Transliteration
fest. Sein Schlußsatz: „Die große Zahl lexikalischer Aramaismen im
Markusevangelium und die relative Einheitlichkeit ihrer Wiedergabc
mit Hilfe des griechischen Alphabets lassen vermuten, daß Markus
des Aramäischen mächtig war" (84).

H. Cancik. „Die Gattung Evangelium. Das Evangelium des Markus
im Rahmen der antiken Historiographie" (85-113) zeigt, daß sich die
Gattung Evangelium von der antiken Biographic mit den von Bultmann
u. a. verwandten Kriterien gerade nicht unterscheiden läßt
(94ff). ja. heidenchristliche Leser hätten Markus geradezu als Bios
lesen müssen (96), während im Umkreis der ostantiken Literatur das
Prophetenbuch die nächste Entsprechung hergebe (96ff). Anschließend
verdeutlicht der Autor den dramatischen Aufbau des Markusevangeliums
durch termini technici der antiken Rhetorik, und zwar
durch Rhesis, Klima x und Peripetie. Der Wert einer solchen Analyse
dürfte m. E. nicht darin bestehen, den Absichten des Markus auf die
f 1 r zu kommen, wohl aber kann die antike Rhetorik eine zusätzliche
Sehhilfe für uns darstellen und andererseits die Erwartungshaltung
von L-sern bzw. Hörern in der damaligen Zeit bewußt machen. In