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Ausgabe:

1986

Spalte:

352-354

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

Das pharisaeische und talmudische Judentum 1986

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung III. .lahrgang 1986 Nr. 5

352

YHWH scha'oi rösch haq-qcrühim ein doppeltes Konzept der göttlichen
Präsenz im Heiligtum zugrundeliegt: Gott ist sowohl der auf
dem Kerubenthron im Allerheiligsten unsichtbar Daseiende/Thronende
als auch zugleich der auf dem Kerubenthron (= Wolkcnwagen/
Thronwagen) Daherkommende, sich in der Theophanie Offenbarende
. Die so verstandene Gegenwart des himmlischen Königs im
irdischen Heiligtum ist freilich an die Existenz des Tempels auf dem
Zion gebunden und erscheint gleichzeitig als die Garantie für dessen
Unverlctzlichkeit.

In deutlichem Gegensatz dazu ("radical theological re-orientation"
S. 48) zeigt Kap. II "The Name Theology" (S. .38-79), wie diese zunächst
im Konzept des Ic-sakkcn sein in Dtn, in dem Vf. ein Element
der "rejection of the earlier theology" sieht (S. 48), "a thoroughgoing
break with the ancient Zion-Sabaoth theology" (S. 79.114), Ausdruck
gefunden hat. Wesentlicher Inhalt dieses Konzepts ist die "relocation
of the Lord into heaven" (S. 49.1 14). Von einem Descensus Gottes, in
welcher Form auch immer, ist in Dtn nirgends die Rede. Nicht mehr
Gott selber, ,,nur noch" Sein Name „ist" im Tempel. Der Bauauftrag
an Salomo lautete, ein „Haus für Gottes Namen" zu bauen
(2Sam7,13; s. S. 49). Während dieses Konzept des Ic-sakkcn sein
ganz sicher seinen Ursprung in der Zeit hat, in der der Tempel noch
„bewohnbar" war (S. 60), läßt sich dennoch nicht feststellen anhand
der Belege, ob es bereits Bestandteil von Dtn gewesen ist (S. 52-56);
wenn ja, dann hat es, vor allem nach 597 bzw. 586 eine Veränderung
erfahren (S. 59ff), die sich etwa in der niqrä' sein 'al... -formula und
deren Gebrauch in vorab exilisch-nachexilischen Texten niedergeschlagen
hat und die Tatsache von Gottes "sovereign ownership of
and disposal Over his Temple" unterstreichen soll (S. 62ff) und eben
damit auch die Zerstörung des Tempels verkraften helfen kann.

Die vew-Theologie ist freilich nicht nur "a radical theological erca-
tion" (S. 79), sondern "runs parallel to the cultic policy in the Josianic
era" (ebd.). In "the shift of emphasis in the liturgical year from the
Autumn Festival to the Passover" im Zuge der Josianischen Reform,
in der Vf. „die Kopernikanische Wende im israelitischen Kult" sieht
(S. 67-77), hat das veränderte theologische Konzept seinen nach
außen sichtbaren Ausdruck gefunden.

In Kap. III "The Kabod-Theology" zeigt Vf. zunächst an P
(S. 80-97) und sodann an Ez(S. 97-11 1), daß die ArnW-Theologie im
Grunde "a restatement of the Zion-Sabaoth theology" ist. In beiden
Fällen ist es nun wieder Gott selber, der in seinem Heiligtum
„wohnt", in Ez im Tempel (S. 99fT), in P im Wanderhciligtum 'Okel
mö'ed bzw. miikän, wobei letzteres "a direct loan from Jcrusalcmite
theology" ist (S. 82), was die Ikonographie bestätigt (S. 870. Während
bei Ez jedoch die Theophanietradition. in deren Folge aus dem Thron
der Thronwagen geworden ist (S. 101 f. 114), eine wichtige Rolle
spielt, übernimmt in P diese Rolle im Blick auf das „Zelt der Begegnung
" der Descensus Gottes, dessen term. techn. sakan ist (S. 90ff.
I 15). und zwar im Gegensatz zu vasah der Ze/wotA-Theologie. Gemeinsam
ist beiden schließlich der Begriff käböd als Ausdruck der
göttlichen Präsenz (S. 88f, 106IT), wasauch in der Zebaoth-Theologie
begegnete. Während aber in jener karod ausschließlich den Sinn eines
Attributes Gottes hatte, erfährt der Begriffbei Ez und in P eine Um-
deutung. Zwar kennt Ez noch den karod ah Attribut Gottes, aber ihm
ist der karod auch schon ein Name Gottes (S. 107), in welchem Sinne
kavodit) Pdann ausschließlich gebraucht und verstanden ist (S. 115).

Diese Beobachtung läßt Vf. in Kap. IV "The Name and the Glory:
Theological Tradition and Semantic Connotations" fragen, welchem
Umstand die Wahl des Begriffs karod in Ez und P (S. I 16-12.3) und
des Begriffes fem in Dtn (S. 123-134) zu verdanken ist. Für beide gilt
zunächst, daß die Konzipierung der karod- bzw. sYm-Theologie im
Zusammenhang mit den Ereignissen der Jahre 597 bzw. 586 zu sehen
ist. Daß in Ez und P die Wahl auf karod fiel, ist dabei so zu erklären,
daß dieser Begriff in der Zebaoth-Theologie. an die sie anknüpfen, seinen
Platz und zudem "special relations with the theophanie tradi-
tion" hatte und von daher als "an appropriate candidate lör replacing
YHWH scha'oi on the throne in the Temple" erschien (S. I 32).

Da erwähnte "theophanie tradition" aber auch zugleich eine "special
connexion between the Name of God and his presence" kannte,
ist die Wahl des Begriffes fem in Dtn ebenso verständlich. Indem
jedoch die .sYm-Thcologie zwischen dem Namen, der im Tempel
„ist", und Gott, der im Himmel „ist", unterscheidet, offenbart sie eine
gewisse Neigung zur Hypostasierung der Epitheta Gottes, wie sie auch
andernorts im AT und seiner Umwelt zu beobachten ist (S. 133).
Während so die AtfiW-Thcologic der "theology of immanence pro-
mulgated by the Zion-Sabaoth theology" folgt, betont die vVw-Theo-
logie Gottes Transzendenz.

Indessen, die „Entthronung des Begriffes F//II // scha'oi" und
seine Ersetzung durch sein bzw. käböd sollte nur begrenzte Zeit wahren
, denn Secharja sollte schon bald die Rückkehr YHWH Zebaoths
zum Zion ankündigen (S. I lOf, 134).

Um so interessanter ist es. daß Targum Onqelos etwa gerade, neben
Memrä' und Sekintä', auf Ycqara' (= aram. für hebr. käböd) zurückgreift
und es im Sinne eines „NamensGottes" versteht (vgl. dazu Max
Kadushin, The Rabbinic Mind, New York-Toronto-London 21965,
S. 331 fF). Insofern wäre es wünschens- und begrüßenswert, wenn Vf.
die in seiner vorgelegten vorzüglichen Untersuchung aufgezeigten
Linien gelegentlich, etwa bis zu den (iottesbezeichnungen im Targum
Onqelos, ausziehen würde.

Berlin Stefan Schreiner

Judaica

Neusner, Jacob: Das pharisäische und talmudische Judentum. Neue
Wege zu seinem Verständnis. Mit einem Vorwort von M. Hengel,
hrsg. von H. Lichtenberger. Tübingen: Mohr 1984. XVI. 219 S. gr.
8° = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 4. Lw. DM 78,-.

Während der letzten beiden Jahrzehnte sind in der Erforschung der
Literatur des frühen Judentums grundlegende neue Erkenntnisse gewonnen
worden, und der Anteil, den Jacob Neusner hieran hat, ist
erheblich. In einem Vorwort stellt dies Martin Hengel in gebührender
Weise heraus und gibt einen kurzen Überblick über das imposante
Opus dieses Gelehrten, das eine große Zahl von Bänden umläßt.

Das vorliegende Buch bringt, um breiteren Kreisen einen Zugang zu
den Hauptgedanken und den wissenschaftlichen Methoden .1. Neus-
ners zu ermöglichen, eine knappe, von ihm selbst getroffene Auswahl
von Aufsätzen, die z. T. auf Vorträge zurückgehen und darum allgemeinverständlich
gehalten sind, in deutscher Übersetzung. Die Übertragungen
aus dem Amerikanischen besorgten Gerda Burkhard. Karl
E. Grözinger, Brigitte Kern. Hermann Lichtenberger. Johann Maier
und Horst R. Moehring.

Die ausgewählten Aufsätze werden in drei Themenkreise geordnet:

1. Das Judentum während der ersten Jahrhunderte nach Christus. II.
Die Pharisäer. III. Mischna und Talmud.

Der erste Aufsatz - Formen des Judentums im Zeitalter seiner Entstehung
- gibt einen Überblick über die religiösen Strömungen des
frühen Judentums, zu denen auch die werdende Kirche gerechnet
wird, und macht deutlich, daß die bestimmenden Züge, welche das
Judentum bis heute charakterisieren - der Rabbi als Vorbild und
Autorität, die Thora als das grundlegende und alles gestaltende Symbol
, das Thorastudium als vornehmste religiöse Tat. das Leben nach
einer bestimmten religiösen Ordnung - in einer recht kurzen Zeitspanne
vor und nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr.
herausgebildet worden sind.

Der zweite Aulsatz - Babylonisches Judentum während der Zeit des

2. Tempels - bringt einen knappen und gerafiten Abriß der in Neus-
ners Monumcntalwcrk "A History of the Jews in Babylonia" (Leiden
1965-1970)erarbeiteten Ergebnisse.

Dem Themenkreis „Die Pharisäer" werden 4 Aufsätze zugeordnet.
Der erste - Die pharisäischen rechtlichen Überlieferungen - hat das
dreibändige Werk Ncusners, The Rabbinic Traditions about the