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Ausgabe:

1986

Spalte:

337-340

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Wenn nicht jetzt, wann dann? 1986

Rezensent:

Lüthi, Kurt

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

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Neundörfer, kennen, mit denen er seinen (geistlich-geistigen) Weg
fand. Von da aus ist er später immer wieder dem allgemeinen Phänomen
von Naturwissenschaft) und Technik nachgegangen. Hier ist auch
seine Schrift „Vom Geist der Liturgie", die ihn bekannt werden ließ,
zu nennen.

Dann aber beginnt der Aufbruch in das akademische Wirken, wieder
eingeleitet mit einem mühevollen Suchen, insbesondere hinsichtlich
seines Promotionsthemas, bei dem er sich für die Erlösungslehrc
Bonaventuras entschließt. Die Entscheidung für Bonaventura ist
bezeichnend und kennzeichnet die Linie Plato - Augustinus, obwohl
Guardini ebenso die begriffliche Klarheit eines Thomas von
Aquin schätzte und diesen gut kannte, selbst aber mehr zur bleibenden
Quelle des Begrifflichen (Phänomenologie!) neigte. Bedeutende
Beeinflussungen gehen von Paul Clemm. Hermann Platz, Martin
Buber. insbesondere aber von Max Scheleraus.

Eine ganz wesentliche Seite seines Lebens widmet Guardini der
Jugend, der Jugendbewegung, insbesondere dem Quickborn. Er wurde
ihrgeistig-geistliehes Haupt; ihr Mittelpunkt war die Burg Rothenfels.
Guardini leitete die Burg von 1927 an, bis sie 1939 von den Nazis beschlagnahmt
wurde.

In vier Abschnitten schildert die Autorin Guardinis Wirken an den
Universitäten Berlin (1923-1939), Tübingen (1945-1948) und München
(1948-1968), unterbrochen durch das Vorlesungsverbot von
1939 bis 1945. Ein Grundanliegen Guardinis ist das Erkennen des
Konkreten, des Einmaligen und davon insbesondere des Lebendigen,
des Lebendig-Konkreten. Es ist ein Urphänomen. daß dieses (das
Geschöptlich-Sciende. insbesondere das Lebendig-Konkrete) aus
gegensätzlich gestellten Momenten, in Polarität, aufgebaut ist, wobei
sich die Momente nicht aufeinander zurückführen lassen, zugleich
aber einander fordern. Damit wird es möglich, das Ganze des Lebendig
-Konkreten (nicht nur das rational Greifbare) zu erfassen und die
Person, das Personale einzubeziehen. In Guardinis Begriff der Weltanschauung
(er hatte den Lehrstuhl für katholische Weltanschauung)
kommt andererseits sein Anspruch auf Wirklichkeit. Wahrheit und
<Jas Ganze, sowie die Abgrenzung zu Metaphysik, Geschichte und
(politischem) Handeln zum Ausdruck. Wir erleben in diesem Werk
sehr lebendig und anschaulich Guardinis Leben, Lehren und seine
geistigen Weg in diesen Universitätsstädten bis an sein Lebensende.

Uberhaupt ist es der Autorin gelungen, durch Hinzuziehung von
außerordentlich reichhaltigem Material, von vielen Briefen und Zitaten
, den Lebensweg Guardinis zuganglich zu machen. Zudem hat sie
das Geschick, viele seiner z. T. nicht einfachen Gedanken in einer aufgelockerten
und verständliehen Form darzustellen und auch zu zeigen
, wie die Grundlinien seines Denkens aus seinem Leben herauswuchsen
. Eine Lektüre des Buches zeigt, daß sieh der Wunsch der
Autorin, wonach es schon viel wäre, wenn sich auch zuweilen ein
Angerührtsein von der personalen Tiefe dieses Menschen mitteilte,
durchaus recht oft erfüllt.

Kleinschirma Joachim Pilot

[Kraus, Hans-Joachim:] „Wenn nicht jetzt, wann dann?". Aufsätze
für Hans-Joachim Kraus zum 65. Geburtstag, hg. von H.-G. Geyer,
J- M. Schmidt. W. Schneider u. M. Weinrich. Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag 1983. XV, 528 S. 8*. Lw. DM 78,-.

Diese Festschrift enthält in vielen Zusammenhängen echte Antworten
auf das Werk von Hans-Joachim Kraus; zentrale Anliegen von
Kraus werden weitergeführt, ich nenne nur das Postulat einer
biblischen Theologie oder Beiträge zum christlich-jüdischen Dialog. -
Um den Rahmen einer Rezension nicht zu sprengen, gebe ich im folgenden
subjektiv-ausgewählte Hinweise auf jene Argumente, die für
niieh einen Denkanstoß bedeuteten.

Das Vorwort charakterisiert mit Recht die Eigenart von Kraus u. a.
tt" folgenden Gesichtspunkten: sein Drängen, in Fragen christlichgesellschaftlicher
Existenz bekenntnismäßig zu reagieren, bedeutet für
ihn nie Abbruch des Dialogs, sondern Gesprächseröffhung. Weiter:
Die biblischen Zeugnisse sind für Kraus immer kommunikationsstif-
tend und handlungsanleitend. Und schließlich: Seine Friedensverantwortung
kennt - aus zentral-christlicher Motivation - ein Nein ohne
jegliches Ja, darum dann sein Drängen auf ein Bekenntnis hin.

Und nun einzelne Studien zu Teil I: Auslegungen der Bibel. Rolf
Rendtorff schreibt zum Thema: „Zur Bedeutung des Kanons für eine
Theologie des Alten Testaments" (S. 3fT). Sein Ansatz: Wenn sich
christliche Theologie einseitig der prophetischen Botschaft anschließt
, verstummen die nachexilischen Stimmen, und ein Dialog
mit dem Judentum ist kaum möglich. Der bessere Argumentationsweg
nach Rendtorff: Es wäre das Selbstverständnis des Alten Testaments
als solches ernst zu nehmen, und es müßte sowohl die jüdische
wie die christliche Wirkungsgeschichte des Alten Testaments berücksichtigt
werden. Verschiedene Studien stellen dann wieder die Frage
nach der Mitte des Alten Testaments. Werner H. Schmidt („Vielfalt
und Einheit alttestamentlichen Glaubens". S. 13FF) sieht diese einerseits
im ersten Gebot, andererseits in der alttestamentlichen Verheißungsgeschichte
. Meine Frage: Könnte das Exodus-Prinzip als Mitte
des Alten Testaments verstanden werden; sein Stellenwert für das
erste Gebot ist bekannt. Klaus Koch formuliert dann „Klarstellungen
zum dominium terrae in Genesis 1" (S. 23ff). Die Aussage, sich die
Erde Untertan zu machen, wäre nach Koch in ihren Bezügen zu den
Geschichtstaten Gottes und zu sakralrechtlichen Hintergründen zu
sehen. Damit geht es im Herrschaftsauftrag an den Menschen um eine
hegende Gestaltung von Erde und Leben. Hans Walter Wolff kritisiert
in der Studie „Endzeitvorstellungcn und Orientierungskrise in der alttestamentlichen
Prophetie" (S. 75ff) in seiner abschließenden Argumentation
Pannenberg, der das Wort „Schwerter zu Pflugscharen"
exklusiv endzeitlich und ohne Konsequenzen für die Gegenwart versteht
. Walter Zimmerli plädiert für die „Unaufgebbarkeit des Predigerbuches
" (S. 103ff), indem er die Einsicht des Vf. in die Unverfügbarkeit
von Wirklichkeit und Welt betont und den Skeptizismusvorwurf
und den Vorwurf der Resignation, die oft gegenüber dem Buch
erhoben werden, ablehnt.

Weitere Studien zu Teil I sind: Martin Metzger: tiigentumsdcklaration und
Schöpfüngsaussagc (S. 37 IT), Eckart Otto: Schöpfung als Kategorie der Vermittlung
von Ciott und Welt in Biblischer Theologie. Die Theologie alttcstament-
liehcr Schöpfungsübcrlicfcrungen im Horizont der C'hristologie (S. 53IT). Werner
Braselmann: Predigt über I Mose 12,1 und 22,2 (S. 69IT), Odil Hannes
Steck: Bewahrheitungen des Prophetenworts. Übcrliefcrungsgcschiehtlichc
Skizze zu IKön 22.1-38 (S. 87IT). Eberhard Hühner: Predigt über I Kor
14,1-4.23-25 (S. 97IT). Otfried Hofius: Vergebungszusprueh und Vollmachts-
frage. Mk 2.1 -12 und das Problem priesterlicher Absolution im antiken Judentum
(S. II5IT), Rudolf Smend: Aufgeklärte Bemühung um das Gesetz. J. D.
Michaelis „Mosaisches Recht" (S. 129IT).

Teil II bringt Beiträge zu „Dialogen mit Juden und Christen". Johann
Michael Schmidt behandelt das Thema „Biblische Vorstellungen
von .Bund' als Grundlage und Orientierung für das christlich-jüdische
Gespräch" (S. 153IT). Ein Vergleich zeigt, daß Juden „Bund"
oft inklusiv verstehen; durch das Bundesvolk Gottes ist die Rettung
der Völker und der Menschheit möglich. Christen verstehen „Bund"
oft exklusiv und stellen den neuen gegen den alten Bund: diese
„duale" Auffassung hatte fatale Folgen. U. a. warnt Jer 31.31 vor dieser
dualen Sicht. Peter von der Osten-Saeken behandelt das herausfordernde
Thema: „Heil für die Juden - auch ohne Christus?"
(S. 169ff). Indem er Israels Rettung aus Ägypten mit der Rettung
durch Taufe und Auferstehung Christi gleichsetzt, leben beide - Juden
und Christen - von der gleichen Verheißung; Israels Nein zu Jesus
Christus ist keine Ablehnung der göttlichen Rettungsabsicht. Alfred
Wittstock bearbeitet die Anstöße, die Kraus zum christlich-jüdischen
Gespräch gegeben hat (S. 183 ff). U. a. ist es wichtig, die Tora, die den
Hintergrund jüdischer Identität bildet, als Wegweisung des lebendigen
Gottes zu verstehen, auf die Israel mit Freude und Dank reagiert. Die
nomistische Auffassung der Tora berücksichtigt nicht das Ganze des