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Ausgabe:

1986

Spalte:

318-319

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Drehsen, Volker

Titel/Untertitel:

Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen der praktischen Theologie 1986

Rezensent:

Drehsen, Volker

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Theologische Litcraturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

318

Schüler stärker die Feder geführt, als dies beim heutigen Stand der
Forschung noch zu verantworten ist.

Vf. teilt die Missionare wie auch die führenden afrikanischen
Christen in die beiden Gruppen der „Konservativen" und der „Progressiven
" ein. Er bedauert, daß ,,.konservativ' in Deutsehland einen
reaktionären Unterton hat" (19). Wenn er selbst dieses Wort verwendet
, sei „es immer in einem neutralen Sinn gemeint" (ebd.). An sieh ist
diese Klarstellung eindeutig, nur übersieht Vf., daß subjektive Sprachregelungen
so gut wie nichts bewirken. Ist z. B. Bruno Gutmann ein
„Konservativer", dann ist und bleibt er im deutsehen Sprachraum in
ganz bestimmter Weise etikettiert. Beurteilt man sein Wollen und
Wirken anders, nämlich positiv - und eben dies will Vf. -. so muß
man entschlossen darauf verziehten, diesen Mann und die ihm Nahestehenden
mit einem heute nahezu durchgängig negativ besetzten
Begriff ZU kennzeichnen.

Auf 40 Seilen, d. h. auf sehr engem Raum, stellt Vf. den Leipziger
Missionar Bruno Gutmann, den Herrnhutcr Traugott Bachmann und
den Bethelcr Ernst Johansson als „Konservative" vor. „Gutmann
unterschied sieh von anderen Missionaren seiner Zeit durch sein
Menschenbild ... Er sah den Menschen nicht als isoliertes Individuum
, sondern als organisches Glied einer Gemeinschaft. Er wollte
nicht einzelne Chagga aus ihrer Gesellschaft herausbrechen, sondern
das Christentum tief in der Gesellschaftsordnung der Chagga verwurzeln
. Das schloß für ihn die Bekehrung einzelner ein . . ." (33).

Letzteres muß, wenn man Gutmann nicht verzeichnen will, stärker
unterstriehen werden, als Vf. dies tut. Z. B. rückt die Überschrift des
Abschnitts über Gutmann - „Das Evangelium als Erfüllung" - Gutmanns
Auffassung, wie dies häufig, aber eben durchaus zu Unrecht
geschehen ist, in die Nähe der scholastischen These „gratia perfieit
naturam". Um Gutmann in dieser eminent wichtigen Frage wirklieh
zu verstehen, ist mehr an ernsthaft theologischem Bemühen erforderlieh
, als das Buch im ganzen zu erkennen gibt.

Weniger problemgcladcn sind Person und Werk der beiden anderen
kurz vorgestellten Missionare Bachmann und Johansson. Vf. nennt
6 Grundsätze, in denen diese drei „konservativen" Missionare übereinstimmten
(72 f), die den Sachverhalt richtig beschreiben. Nur wäre
an dieser Stelle der nochmalige Hinweis auf eine Feststellung
erwünscht, die Vf. an früherer Stelle, eher en passant, hinsichtlich
Gutmanns trifft und die gleichermaßen für die beiden anderen Geltung
hat: „Gesellschaftlicher Wandel ist für ihn nötig und muß
schrittweise vor sich gehen" (37). Wandel muß also vor sieh gehen -
aber schrittweise!

Wenn eingangs gesagt wurde, der Wert des Buches bestehe in den
Details, so bezieht sich das vor allem auf seine zweite Hälfte mit den
Abschnitten 5-7:

5. Konfirmation ist nicht afrikanisch genug - Die Christianisierung
der Übergangsriten

6. Wenn eine progressive Gemeinde konservativ wird - Bruno Gutmann
und die Gemeinde Old Moshi 1926-1938

7. Integralion oder Apartheid? - die Reaktion aufGutmanns Ideen in
der Herrnhutcr und in der Berliner Mission

Im Grunde sind diese Abschnitte nicht mehr, aber auch nicht weniger
als ein Kaleidoskop. Es wird vorgeführt, daß „Christentum und
afrikanische Kultur" ein außerordentlich komplexes und diffiziles
Problem darstellt. Vf. versucht das nicht zu kaschieren, und dafür
niuß ihm ebenso gedankt werden wie für den Mut - schade, daß dazu
anscheinend heute immer noch Mut gehört -, mit dem er eine Klinge
für die „Konservativen" schlägt. Das Buch spricht kein letztes, lösendes
Wort; darauf werden wir noch lange warten müssen. Aber Vf.
sollte auf jeden Fall das Thema weiter bearbeiten, es allerdings stärker
theologisch angehen.

Der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft gebührt Dank
für alle Förderung, die sie dem Buch und seinem Autor hat angedei-
hen lassen.

Leipzig Siegfried Kriigcl

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Drehsen. Volker: Neuzeitliche Kunstitutionsbedingungen der Praktischen
Theologie. Aspekte der theologischen Wende zur sozialkulturellen
Lebenswclt christlicher Religion. Diss. Tübingen 1984. XIII,
287 S.u. 267 S.

Das in Teil I entfaltete Thema der Arbeit bilden die Entstehungsund
Entwicklungsbedingungen der Praktischen Theologie (PTh), wie
sie sich als eigentümliche Denkweise und Disziplin innerhalb der
Gesamttheologie vor allem während des 19. Jhs. herausgebildet und
institutionalisiert hat. Um dabei die neuzeitliche Gestalt der PTh in
ihrer Ambivalenz sowohl als „Theorie der Praxis" (Schleiermacher)
wie auch als „Praxis der Theorie" (Luhmann) rekonstruieren zu können
, sucht die Arbeit methodisch gleichermaßen epistemologische
wie rcligionssoziologische, theologiegcschichtliche wie wissenschafts-
theoretischc Perspektiven zu einer systematischen Konstitutionsanalyse
zu verbinden (Einleitung, S. 1-9).

Bis heute erweisen sich Identität und Kompetenz der PTh als umstritten
: Problematisch gerieten nicht nur Art und Ausmaß des theologisch
bestimmbaren Praxisbezugs, den die PTh zunehmend bewußter
in charakteristischer Wende zur Gegenwartsempirie der Kirche
vollzog (1. Kap.: „Das Problem der PTh. Aspekte ihres thematischen
und funktionalen Praxisbezugs", S. 10-32); kontrovers verlief überdies
die diskursive Bestimmung jenes praktisch-theologisch akuten
Verhältnisses zu den sog. Sozialwissenschaften, das stets auch Gegenstand
von Programmen der Interdisziplinarität war (2. Kap.: „PTh
und Sozialwisscnschaftcn. Dimensionen ihres interdisziplinären Verhältnisses
", S. 33-72). Beide Problemdimensionen bestimmen die
unterschiedlichen Gestalten praktisch-theologischen Selbstvcrständ-
nisses, das sich so seinerseits gewissermaßen als kritische Pointe einer
veränderten theologischen Wahrnehmung kirchlicher und religiöser
Praxis unter neuzeitlichen Kultur- und Gescllschaftsbedingungcn erweist
: PTh konstituiert sich als ein je für die theologische Gesamtlage
symptomatischer Ausdruck vielfaltig allgemeiner, etwas kulturellgesellschaftlicher
, religiös-kirchlicher, universitär-wissenschaftlicher
und kirchlich-theologischer Veränderungsprozesse, die insgesamt
zugleich der Neuzeit ihre besondere Signatur verliehen haben.

Die Arbeit versucht in Teil 11, diese Hypothese exemplarisch an
markanten Bestimmungspunkten plausibel zu machen, deren eigentümlich
prägende Kraft kaum aus der fachspezifischen Ideengeschichte
der PTh allein ansichtig wird. Vielmehr erscheint theologische
Praxiswahrnehmung jeweils als Funktion verschiedener Variablen
- und zwar hauptsächlich als Funktion: I. eines eigentümlichen
Wissenschaftsbegriffs, der sich als Folge spezifischer Differenzierungsmomente
der begrifflichen und institutionellen Unterscheidung von
Theologie und Religion verdankt (3. Kap.: „Religiöse Praxis" in den
Perspektiven von altprotcstantischcr Orthodoxie, Pietismus und
christlich-theologischer Autklärung, S. 73-133); 2. eines relativ
selbständig erarbeiteten Religionsverständnisses, das im Kontext
einer ursprünglich religionskritisch akzentuierten Soziologie und in
Differenz zur rein dogmatischen Bestimmung die empirische Kirchenpraxis
zunehmend als Manifestation christlicher Religion begreift
und entsprechend die Theologie als dezidiert „positive" Wissenschaft
immer wieder auch antisoziologischcr Kritik aussetzt (4. Kap.:
C. I. Nitzsch, Religionskritik und Antisoziologie, S. 134-221); 3.
einer Gescllschafts- bzw. Lcbenswcltanschauung, die in Abarbeitung
an Phänomenen und Problemen der Säkularisierungsthematik kirchenpolitisch
wie theologisch-systematisch eine „positive" Ekklesio-
logie zu begründen sucht, in der das sachliche Erbe des sog. Kulturprotestantismus
aufgehoben ist: das Bemühen also, die religiös-kirchliche
Praxis nicht jenen Veränderungsbedingungen ausgeliefert sein
zu lassen, die deren Trennung von allgemeiner Bewußtseins- und
Handlungspraxis zu zementieren drohen, statt sie theoretisch in ihrer