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Ausgabe:

1986

Spalte:

316-317

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fiedler, Klaus

Titel/Untertitel:

Christentum und afrikanische Kultur 1986

Rezensent:

Krügel, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

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Und welches sind da die praktischen Folgerungen.-dic auf den verschiedenen
religionspädagogischen Handlungsfeldern in Angriff
genommen werden müssen?

Zuerst ist da eine „negative" Forderung wesentlich: „Theologie
darf nicht als abstraktes Regelwissen präsentiert werden, sondern muß
als Antwort auf durch bestimmte Erfahrungen hervorgetriebene
Fragen erkennbar bleiben." (324) So haben wir es schon bei den aus
Frankfurt stammenden Humanwissenschaften gelernt. Englert geht
aber weiter. Er bleibt nicht bei einem globalen und wenig handlungs-
anleitenden Postulat, sondern macht Vorschläge, wie der Glaube auf
eine glaubensgeschichtlichc Entwicklung zwischen einer präreflexiven
Phase und einer postreflexiven Phase zu beziehen ist. Dabei gibt
er zu bedenken, daß die Tradierung des Christlichen, soll sie gelingen,
vor allem anderen der kulturellen Plausibilität seiner Inhalte ebenso
bedarf, wie institutionalisierter und anschaubarer Modelle christlicher
Vergemeinschaftung und darüber hinaus ausreichender Motive
für die Aneignung christlicher Inhalte der Teilnahme an den sozialen
Formen des Christentums. Wie sind diese Vorbedingungen erfolgversprechender
Tradierung unter den gegenwärtigen Verhältnissen der
westlichen Gesellschaften zu gewährleisten? Englert antwortet mit
einer spezifischen Sequenz religionspädagogischer Handlungsziele
und dann vor allem mit einer Definition der zu erfüllenden Grundaufgaben
einer „pünktlichen" religionspädagogischen Arbeit in Kirche
und Gesellschaft. L

Drei Aufgaben sind es nach Englert, die in Angriff genommen werden
müssen:

- Die Aufgabe, die Isolation der Glaubenslehre vom Erfahrungszusammenhang
menschlichen Lebens zu durchbrechen und die Zeitgenossen
aus der Konkurrenz- und Lcistungsgesellschaft durch die
Einübung in eine „Sehschule neuer Praxis" dazu zu provozieren, neue
Formen des Handelns in der Gesellschaft ins Auge zu fassen, die
„Plausibilität des Wortes ,Gott' neu zu entdecken und neue Lebensund
Handlungsmöglichkeiten zu erproben. Exemplum für einen
solchen Weg ist für Englert Jesu Gleichnisrede, die mit den Mitteln
der .Verfremdung' in konkrete historische Situationen hinein bot-
schaftete und so performative Rede darstellte, die Transformation zu
wirken vermochte. Das Ergebnis damals war die „produktive Unterbrechung
" des zur Selbstverständlichkeit geronnenen Alltags. Das sei
das Ziel auch heute.

- Die Aufgabe der Animation des Zeitgenossen zu hartnäckigem
Fragen der Vernunft an die Adresse des Glaubens. Fraglos sich abbildende
Lehre als Angebot einer prästabilisierten Identität ist nicht nur
Zeichen der Stagnation und nach der Aufklärung ein Anachronismus,
sondern läßt den Glauben darüber hinaus unwirksam und sogar abgeschmackt
erscheinen. Hier gilt es nach der Meinung Englcrts über die
hermeneutischen Bemühungen der evangelischen Religionspädagogik
hinaus die Erfahrungsgrundlagen des Glaubens zu vergegenwärtigen,
in die spezifische Denkform des Glaubens, die nicht die der Objektivierung
von Gegenständen ist, einzuführen, und sich kritisch mit der
Wirkungsgeschichte des christlichen Glaubens auseinanderzusetzen.
Wichtige Hinweise und Denkanstöße für die Erfüllung dieser 2. Aufgabe
gewinnt Englert aus dem Tractatus logicophilosophicus von
L. Wittgenstein, den er kritisch für die religionspädagogische Arbeit
rezipiert. (535-571)

- Die Aufgabe der Ermutigung zu einer „zweiten Naivität des
Glaubens", jenseits einer vorkritischen Naivität, aber auch jenseits
eines aufklärerisch-kritizistischen Standpunkts und der einem solchen
Standpunkt entsprechenden lebenspraktischen Unentschiedenheit.
Für Englert ist eine solche „Naivität zweiten Grades" jene Einstellung
, in welcher der Zeitgenosse die schmerzliche Diskrepanz
zwischen „den grundsätzlich in Frage kommenden und den für ihn tatsächlich
realisierbaren Möglichkeiten weltanschaulicher Orientierung
und sozialer Placierung auszuhalten vermag, ohne sich entweder
auf einen Standpunkt voraufgeklärter Beschränktheit oder auf eine
Haltung vormoralischer Beliebigkeit zurückzuziehen." (632) Als
exemplarisches Modell auf dem Weg zu einer solchen 2. Naivität und

eines .postreflexiven Glaubens' entdeckt Englert die „docta ignoran-
tia" des Nikolaus von Cues. Der Excurs ad vocem des Cusaners in
diesem Zusammenhang gehört zum Besten des vorliegenden
Buches.

Daß es dem Vf. dann auch noch gelingt, konkrete Vorschläge zu
allen gestellten Aufgaben zu machen und auf einem Seitenweg sogar
noch die Identitätsdiskussion der modernen Humanwissenschaften
und der Religionspädagogik kritisch zu diskutieren, ist ein Super-
additum.

Ich habe referiert und einige mir wichtig erscheinende Züge des
Buches hervorgehoben, die Fülle des Dargebrachten aber ist in einer
kurzen Rezension nicht wiederzugeben. Man muß dieses Buch, das
gesellschaftskritisch und kirchenkritisch und darin dennoch in einem
guten Sinn „erbaulich" geschrieben ist, selber lesen. Es ist eine Fundgrube
von Einfällen und Anregungen. Vielleicht entschließt sich der
Vf. bei einem neuen opus, nicht mehr gerade alles anzusprechen, was
am Wege liegt. Er wird dann mehr Echo bekommen und auch Wirkung
haben mit seinen wichtigen Beohachtungcn ünd Reflexionen lür
eine neue Praxis religiöser Erziehung in Kirche und Gesellschaft.

Bern Klaus Wegenast

Baldermann, Ingo: Engagement und Verstehen (Christenlehre 38, 1985.
196-203).

Hanisch. Helmut, u. Dieter Haas: Zwanzig Unterrichtseinheiten für den
Religionsunterricht im 5./6. Schuljahr der Hauptschule. I. Halbbd. unter Mitarb
, von P. Stein. Stuttgart: Calwcr 1985. 150 S. m. zahlr. Abb. gr. 8' = Religionspädagogische
Projektentwicklung.

Schlüter, Richard: Überlegungen zum Konfessionsprinzip und zur Konfes-
sionalität im Religionsunterricht (ThGI 75, 1985,298-309).

Ökumenik: Missionswissenschaft

Fiedler, Klaus: Christentum und afrikanische Kultur. Konservative
deutsche Missionare in Tanzania 1900-1940. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G. Mohn 1983. 218 S. m. Abb. 8° = Missionswissenschaftliche
Forschungen, 16. Kart. DM 32,-.

Es handelt sich um ein nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch
aus formalen Gründen recht „afrikanisches" Buch: Es umkreist das
Thema und leuchtet es aus jeweils anderem Blickwinkel an, ohne der
selbstverständlichen Forderung des europäischen Lesers nach systematischem
Aufbau und logischem Gcdankenforlschritt Rechnung zu
tragen. Doch für europäische Leser war es ursprünglich auch wohl
nicht gedacht, denn es handelt sich um eine bei der Philosophischen
Fakultät der Universität Daressalam eingereichte Arbeit, eine primär
nicht theologische, sondern soziologisch-historische Studie.

Wenn Beilagen bisweilen den Wert eines Buches beträchtlich erhöhen
, so mag das auch für die vorliegende Publikation gellen, andererseits
wird dadurch der Eindruck verstärkt, daß es sich eher um Stoffsammlungen
oder Vorarbeiten handelt, aus denen eine in sich
geschlossene-auch sprachlich einwandfreie - Studie nun erst noch zu
formen wäre.

Das Buch hat trotzdem seinen Wert, er besteht in den Details. Vf.
hat sich nicht nur durch umfangreiche Archivstudien, sondern vor
allem auch durch Interviews in Afrika so gut wie irgend möglich zu
informieren bemüht.

Die mit dem Buchtitel bezeichnete Problematik der Inkulturation
kann heute nicht mehr als Neuland der einschlägigen Forschung angesehen
werden. Sie war es schon vor 200 Jahren nicht, sondern ist z. B.
bereits von Bartholomäus Zicgcnbalg deutlich gesehen worden. Allein
schon darum ist es abwegig, wie es im 2. Abschnitt geschieht, die
Romantik in ihrer positiven Stellung zum „Volk" als den wesentlichen
Nährboden solcher missionarischen Bemühungen, die in
Afrika auf möglichste Erhaltung der vorgefundenen Kultur bedacht
waren, zu bemühen. Hier haben olfensichtlich Hoekendijk und seine