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Ausgabe:

1986

Spalte:

312-316

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Englert, Rudolf

Titel/Untertitel:

Glaubensgeschichte und Bildungsprozeß 1986

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

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dessen Leben und Botschaft „letztgültig als wahr erwiesen hat" (ebd.).
„Allein gedankliche Prozesse" helfen „nur sehr begrenzt" weiter,
wenn es gilt, diesen tiefsten und letzten, den Tod transzendierenden
Gehalt des christlichen Gottcsglaubcns zu klären und zu vertiefen. Es
bedarf dazu einer Praxis des Glaubens und Lebens, in der sich der
Mensch „in vielfältigen Formen" bewußt zum Menschen im Leid hinwendet
, dieses Leiden und Sterben als Wirklichkeit zuläßt, Gemeinschaft
mit den davon Betroffenen hat und für deren wie auch für die
eigenen Nöte und Ängste aus der Erinnerung an die Passion Jesu heraus
die Hoffnung des Glaubens aufrichtet (S. 85). Dies wäre „Glaubensgemeinschaft
" im eigentlichen Sinne des Wortes, die sich jedoch
in den heutigen relativ künstlichen Organisationsgebilden der
„Pfarreien" nur sehr bedingt realisieren kann.

Im letzten und umfangreichsten Teil seines Buches erörtert Emeis
dann „die Christuskatechesc" (S. 89-197). Hier wird die im zweiten
Kapitel beschriebene Katechese Jesu zum Inhalt der Katechese heute.
Es gilt, diesen Inhalt von immer neuen Lebenssituationen her und auf
sie hin zu entfalten, zu erzählen, zu bedenken, zu leben und in der
Gemeinschaft zu leiern. Nochmals (darin liegt eine gewisse Redundanz
gegenüber dem Kapitel 2) wird „der Weg zum Christusglauben"
(S. 95ff) als Weg in das Geheimnis des Lebens, der Identität, sowie des
Todes und der Auferweckung Jesu beschrieben. Dann werden in
6 Abschnitten („Gottes eingeborener Sohn" - „Für uns gestorben/
auferstanden von den Toten" - „Aufgefahren in den Himmel/erhöht
zur Rechten Gottes" - „Er wird wiederkommen" - „Durch ihn ist
alles geschaffen" - „Der Träger und Spender des Geistes") die einzelnen
Gehalte der Christuskatechese entfaltet. Dabei gibt Emeis jeweils
in einem ersten Teil Hinweise zurGlaubcnsaussage als solcher, reflektiert
dann die Glaubens- und Verstehenssituation des heutigen
Menschen und fragt nach Möglichkeiten, wie dieser Mensch den
jeweiligen Glaubensgehalt als ihn angehende Botschaft, die ihm eine
Erneuerung, Heilung und Aufrichtung seines Lebens möglich
erscheinen läßt und zusagt, verstehen und ergreifen kann. In einem
letzten Punkt wird dann jeweils erörtert, wie der so ergriffene Glaubensgehalt
in Liturgie und Glaubensgemeinschaft gefeiert werden
kann.

Ich kenne kein Buch, in dem es gelingt, die christologischen Gehalte
des christlichen Glaubensbekenntnisses - Emeis folgt vor allem den
Stichworten des apostolischen Symbolums, ergänzt es aber durch die
Formulierung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa „Durch ihn ist
alles geschaffen" - so gut in ihrer Lebensbedeutsamkeit aufgeschlüsselt
und als mögliche tragende Sinngehalte (die dann in der Liturgie
gefeiert werden) auch heutigen Lebens zu entfalten. Dennoch sind
gerade an diesem letzten Kapitel auch die kritischen Rückfragen
anzusetzen: Wird Emeis hier seinen im ersten Kapitel aufgestellten
Grundsätzen nicht doch wieder untreu? Ist für eine heutige Katechesegruppe
, die sich, ausgehend von ihren je eigenen Situationen und
Problemen erzählend, denkend, lebend und feiernd in das Geheimnis
der Person und des Lebens und Sterbens Jesu hineinarbeitet, notwendig
an die Systematik des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses
gebunden? Könnte nicht eine solche Gruppe - durchaus in der Spur
der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse bleibend - durch ihr lebensgeschichtliches
Eindringen in das Geheimnis der Jesusgestalt unmittelbar
zu neuen Formulierungen dafür finden, was dieser Jesus für sie
bedeutet, ohne daß dabei diese Formulierungen als (doch relativ mühsame
) Übersetzungen dogmatischer Formeln vorgegeben oder auch
erarbeitet werden und ohne dabei die Bedeutung dessen, was von Jesus
gesagt wird, gegenüber dem altkirchlichen Symbolum zu verkürzen?
Kann bei dieser vorgegebenen Systematik der Anspruch der Narrati-
vität der Christuskatechese, die notwendig auch spontan und kreativ
sein muß, eingelöst werden?

Wo Emeis beispielsweise von der heutigen Lebenssituation her über
„Zugänge und Bedeutung" hinsichtlich des Todes Jesu reflektiert,
kommt er doch wieder zu Formulierungen, die, etwa mit den Augen
eines durchschnittlichen Hauptschülers gelesen, als mythologisches
„Kunslgewerbcvokabular" (M. Walser) erscheinen (z. B. S. 138: „Im

Sohne hat sich Gott leidensfähig gemacht und an unserer Gegenwehr
gegen seine Geschichte der Liebe mit uns - auch in unserer Geschichte
miteinander - gelitten bis zum Tode"); er kommt zu Spekulationen
über die Theodizecfrage (ebd.: „Warum ging Gott, dem doch alles
möglich ist, nicht einen leidfreien Weg der Versöhnung? . . .") oder zu
dozierenden Aussagen (z.B. S. 141: „Hier müssen wir uns sagen
lassen, daß all dieses lebendig gclebte Leben in unserer Geschichte
nicht das ist, was wir .verdient' haben, sondern das, was Gott uns trotz
unserer Verweigerung unermüdbar neu gegeben hat und gibt").

Hier kann die Vorgabe eines situativen und zeitgemäßen Zugangs
zu einem bestimmten (vom altkirchlichen Glaubensbekenntnis entfalteten
) Salz des Christusgeheimnisses, so hilfreich diese vielleicht für
die Vorbereitung einer Predigt ist. doch zur Blockade eines katechetischen
Prozesses werden, der nach der im ersten Kapitei beschriebenen
Art spontan, frei und kreativ die Begegnung mit der Jesusgestalt sucht
Bei dieser Kritik soll nicht übersehen werden, daß Emeis zu anderen
Glaubensartikeln wirklich gute (möglicherweise auch Hauptschüler
ansprechende) Aktualisierungen findet (z. B. zu dem Satz „Er wird
wiederkommen", S. 169-173). Die Frage ist nur, ob hier nicht insgesamt
zuviel an christologischer Systematik für den Prozeß der
Christuskatechese vorgegeben wird.

Insgesamt ist Dieter Emeis' Buch, wie schon eingangs gesagt, ein
notwendiges und für alle, die heute mit Katechese und Glaubensverkündigung
zu tun haben, ein lesens- und empfehlenswertes Buch.

Aachen Georg Baudlcr

1 Dieser Rüekbezug auf das Glauhcnslündament ist ungleich wichtiger als
eine Sammlung und neue Sichtung der einzelnen Glaubenswahrheiten, wie sie
in den neuen Katechismen verschiedener Art heute versucht werden.

2 Vgl. „Zur Freude des Glaubens hinführen. Apostolisches Schreiben .Über
die Katechese heute' Papst Johannes Paul II. mit einem Kommentar von Adolf
Exeler". Freiburg-Basel-Wien 1980.

' Ebd. S. 34.

4 Ebd.S. 15.

5 Vgl. dazu meinen Versuch einer narraliven Christologie für Religionsichrer
der weltanschaulich pluralen Schulen (der zusammen mit ihnen entwickelt
wurde): G. Baudler, Wahrer Gott ALS wahrer Mensch. Entwürfe zu einer
narrativen Christologie. München 1977.

In meinem (in Anm. 5) genannten Versuch bilden deshalb die Aussagen der
altkirchlichen Glaubensbekenntnisse nicht selbst Inhalte der Christuskatechese
, sondern werden interpretiert als Regtin, nach denen christlich von Jesus
(jeweilsneu)erzählt werden muß (ebd. S. 225-253).

Englert, Rudolf: Glaubensgeschichte und Bildungsprozeß. Versuch
einer religionspädagogischen Kairologic. München: Kösel 1985.
XVI, 744 S. gr. 8 . Kart. DM 48,-.

Das mir hier zur Bespreehung vorliegende Buch ist von der katholisch
-theologischen Fakultät der Universität Bonn (Referent:
Ci. Bitter) als Dissertation angenommen worden. Ich muß aber nicht
von einer wissenschaftlichen Anfängerarbeit handeln, die sich auf
einem kleinen Feld analytischer Bemühung oder nachschaffender
Reflexion zu bewähren versucht, sondern habe die Gelegenheit, einen
beachtenswerten, eigenständigen und breit angelegten Entwurf einer
religionspädagogischcn Handlungsthcoric vorzustellen, der die Religionspädagogik
als theologische Integrationsdisziplin vor dem Auge
des Lesers entwickelt. Weil der Vf. 3as im Dialog mit einem der
schwierigsten Probleme heutiger theologischer Arbeit, das sich im
Auscinandcrlällcn von Glaube und Erfahrung zeitigt, tut, haben wir
uns hier mit einer aufregenden Publikation zu beschäftigen. Motiviert
ist die Arbeit durch 3 Erfahrungen des Autors:

durch die persönliche Erfahrung, daß wir unsere eigene glaubcnsgeschicht-
liehe Entwicklung trotz aller Anstrengungen unserer Erinnerung nicht mehr
wirklieh zum Leben erwecken können,

durch die berufliche Erfahrung, daß unsere religionspädagogisch relevanten
Kenntnisse infolge des rasant angewachsenen humanwissensehaftlichen Wissens
bedeutend zugenommen haben, ohne daß das für den religionspädagogi-