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Ausgabe:

1986

Spalte:

298-299

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Zubert, Bronisław W.

Titel/Untertitel:

Das notwendige Wissen über die Verschiedengeschlechtlichkeit und den Dauercharakter der Ehe in Kanonistik und Rechtsprechung von der Reformation bis zur Promulgation des CIC (1517 - 1917)

Rezensent:

Primetshofer, Bruno

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

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dem eine Menge kleiner Kinder spielt. Nach der ersten Version
kommt ein Wanderer und drangt alle Kinder, sich in den See zu werfen
, wo sie einem sicheren Untergang entgegenzugehen scheinen. Der
Wanderer steigt jedoch in den See hinab und rettet einige, die er retten
möchte. Die übrigen will er nicht retten, sondern läßt sie untergehen.
Diese Version stellt die Prädestinationslehre dar, wie sie uns bei
Zwingli, Beza, Calvin und anderen, die einen supralapsaristischcn
Standpunkt haben, begegnet." (142) Mit diesem so eindrücklichen
Bild wird u. a. auch Zwingiis Prädestinatianismus. der unverhältnismäßig
viel positiver ist, ganz gewiß nicht getrofTcn.

Dem ..Partikularismus des Calvinismus" stellt Söderlund das Verständnis
der ..universalen Erwählung" bei Samuel Huber gegenüber.
(59) Dieser meinte, in Übereinstimmung mit der Schrift und der lutherischen
Tradition zu sein, wenn er „Gott keine spezielle Erwählung
der bis zum Ende Glaubenden zuschreiben" (62) wollte. „Gottes
Erwählung ist eine einzige, nämlich die allgemeine Erwählung, die
allen Menschen gilt. Alle Partikularität wird vom Menschen eingerührt
." In Anlehnung sowohl des calvinistischen Partikularismus als
auch des hubersehen Universalismus meint der Vf. nun unter Einbeziehung
des menschlichen Glaubens als für die lutherische Orthodoxie
typisch folgendes herausarbeiten zu können: „Bezeichnend fürdic
lutherisch-orthodoxen Theologen wurde daher, daß man zum Unterschied
von sowohl Huber als auch von den Calvinkstcn die elcetio ad
vi tarn aeternam in die voluntas eonsequens verlegte. Indem man sich
sowohl vom Standpunkt Hubers als auch von dem der Calvinisten
distanzierte, wurde eine Lehre ausgebildet von Gottes spezieller Erwählung
der bis zum Ende Glaubenden, in der der Glaube nicht als
folge eines nackten, unbegründeten Erwählungsdekretes. sondern
unter Beachtung des menschlichen Glaubens als in das Erwählungs-
dekret selbst eingeschlossen bzw. die Voraussetzung dieses Dekretes
bildend dargestellt wurde." (64)

Der bezeichnete Standpunkt wird nun anhand der oben genannten
LeitbegrifTe aufgewiesen. Jede Begriffsanalyse ist hier ein Kabinctt-
stück sorglältiger Quellenbefragung, der nicht im Detail nachgegangen
werden kann. Als kennzeichend für Södcrlunds Entdeckungen
mag aber eins für manches andere stehen, wenn hinsichtlich der nur
hypothetischen Erwählungsgewißheit klar herausgestellt wird, daß die
lutherische Orthodoxie hier (in der certitudo hypothetica) „von
Luthers eigenem Standpunkt" (131). d. h. von seinem certitudo-Verständnis
in De servo arbitrio. abweicht. Orthodoxe Theologen hatten
sich mitunter dahin erklärt, „die Erwählungsgewißheit solle mit
einem Vorsatz (propositum) von seilen des Mensehen verbunden sein.
Da man aber ja unmöglich behauptet! kann, die eigenen Vorsätze des
Menschen gäben absolute Garantien für das zukünftige Handeln, wird
es notwendig, von einer hypothetischen Erwählungsgewißheit zu
sprechen." (132)

Von der zitierten Position her war der Weg nicht weit zu Calixt. der
„wie auch die übrigen lutherischen Theologen im Zeitalter der Orthodoxie
die Prädestinationsiehrc alseine rational durchgeführte Theologie
darstellt", wobei er „aber über die Darstellung der streng orthodoxen
Theologen durch eine optimistischere AufTassung von der Fähigkeit
des Menschen vor der Wiedergeburt hinauszugehen seheint. Um
einen entwickelten Synergismus handelt es sich jedoch bei Calixtus
selbst nicht." (145) Diesen entdeckt Söderlund dann erst bei dem
Calixtschülcr Lutermann und bei den Arminianern mit ihren pclagia-
nisierenden Tendenzen. (1550

Söderlund wollte zeigen, „wie die in der Konkordicnformcl vorherrschende
.gebrochene' Prädestinalionslehre innerhalb der lutherischen
Orthodoxie von einer rational durchgeführten Prädestina-
lionsaulTassung abgelöst wurde". (161) Eben dieser Gegensatz verursachte
auch den nordamerikanischen Prädestinationsstreit, in dessen
Verlaufsich zeigte, daß die gleichen Fraget) durch die Jahrhunderte
getragen wurden. „Die Theologen der Missouri-Synode traten
für die .gebrochene' Betrachtungsweise und die der Ohio-Synode für
die rational durchgeführte ein . . ." (163)

Der erneute Streit in Amerika macht zeichenhaft klar, daß mancher

Lehrpunkt, der zeitweise „kein aktuelles Diskussionsthema" abgibt
(11), plötzlich und verschärft wieder aulbrechen kann, wie das außerdem
hinsichtlieh des Prädestinalionsverständnisses bei Karl Barth (9)
und anderen zu beobachten ist.

Ausprägungen der je und dann immer wieder virulenten Frage nach
der Vorherbestimmung des Menschen zum Heil oder zum Unheil an
wichtigen Zeitzeugen aufgewiesen und damit eindrücklich gemacht zu
haben, darf Rune Söderlund mit großem Dank für diese Leistung
bestätigt werden!

Berlin Joachim Rogge,

Kirchen- u. Konfessionskunde

Zubert, Bronisiaw Wenanty: Das notwendige Wissen über die Verschiedengeschlechtlichkeit
und den Dauercharakter der Ehe in
Kanonistik und Rechtsprechung von der Reformation bis zur
Promulgation des CIC (1517-1917). Rechtshistorische Untersuchung
. St. Ottilien: EOS Verlag 1984. XXV, 186 S. gr. 8° = Münchener
theologische Studien. III. Kanonistische Abt., 4L Bd. Kart.
DM 48,-.

Die vorliegende Studie, die im Sommer-Semester 1981 als Habilitationsschrift
an der kirchenrechtlichen Fakultät der Katholischen Universität
in Lublin (Polen) eingereicht wurde, weist einmal mehr auf,
wie sehr rechtshistorische Forschung eine unerläßliche Voraussetzung
für eine adäquate Kenntnis von Bestimmungen des geltenden
Rechts darstellt. Das in c. 1082 CK /1917 (vgl. dazu c. 1096
CIC/1983) zum gültigen Eheabschluß geforderte Mindestwissen ver-
anlaßte den Vf. zu der Frage, wie und unter Einfluß welcher Faktoren
sich die gegenwärtig vorliegende Norm herausgebildet hat. Die Arbeit
versteht sich dabei bewußt als Baustein für eine umfassendere Darstellung
des gesamten Problemkreiscs in seinem sozio-kulturellen Umfeld
. Dies allein schon deshalb, weil Zubert sich in seiner 1981 abgeschlossenen
Studie darauf beschränken mußte, den rechtshistorischen
Beitrag zum Normtext von c. 1082 CIC/1917 zu liefern; auf den diesen
Problemkreis ansprechenden c. 1096 CIC/1983 konnte er begreiflicherweise
noch nicht eingehen.

Vorab sei anerkennend hervorgehoben, daß Zubert trotz der Fülle
des zu bewältigenden Materials und der gewiß nicht immer leichten
Darstellung von Meinungen einzelner Autoren immer wieder nachzuweisen
versteht, wie sehr Rechtsnormen und die diese vorbereitende
bzw. ergänzende Lehre auch von der Reflexion über konkrete
geschichtliche Gegebenheiten getragen werden. Das Gespür tür derartige
Zusammenhänge zeigt Zubert schon darin, daß er als (unmittelbaren
) rechtshistorischen Hintergrund seiner Problemstellung die im
16. Jh. erfolgte abendländische Kirchenspaltung anführt (Abschnitt
I). Aufgrund der nunmehr eingetretenen Verschiebung in der
Bewertung von Unauflöslichkeit der Ehe und dadurch (möglicherweise
) ausgelöstem Irrtum über eine Wesenseigenschaft der Ehe steht
die Kanonistik zwar nicht vor einem völlig neuen, aber doch deutlicher
zutage tretenden Problem.

Zwei Anlaßtalle sind es vor allem, bei denen sich kanonistische
Lehre und Rechtsprechung mit der Frage des zur gültigen Eingehung
einer Ehe erforderlichen Mindestwissens auseinandersetzen müssen:
Das Ehehindernis des Alters und der Irrtum über Jus Wesen der Ehe
bzw. deren wesentliche Eigenschaften.

Beiden Problemfeldern geht der Vf. in je einem Abschnitt (II und
III) nach, wobei er chronologisch die Ansichten der Kanonisten vom
16. bis zum 18. Jh. zur Darstellung bringt. Bei dieser knapp zusammenfassenden
Wiedergabe der Darstellung einzelner Autoren werden
die Hauptlinien einer Entwicklung von Kenntnis und Durchdringung
des Problems aufgezeigt.

Der IV. Abschnitt geht den Ergebnissen der Kanonistik im 19. Jh.
bis zur Promulgation des CIC/191 7 nach. Hier werden insbesondere
die Beiträge der Kanonisten F. X. Wernz und P. Gasparri gewürdigt.
Der V. und letzte Abschnitt ist den Ergebnissen der Rechtsprechung