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Ausgabe:

1986

Spalte:

295-298

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Söderlund, Rune

Titel/Untertitel:

Ex praevisa fide 1986

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

296

Voraussetzung, das Sola-Scriptura-Prinzip sei eine reformatorische
Neubildung und Sondcrlehre.

Daß sich - Teil III - in den ersten Gegenschriften auf dem Reichstag
, also in der unvollendeten „Responsio Theologorum" sowie in der
vom Kaiser wegen ihrer Polemik abgelehnten „Catholica Rcsponsio"
keine weiteren Anhaltspunkte finden, ist nach Lage der Dinge nicht
überraschend. Doch auch der in Teil IV folgende ausführliche Durchgang
durch die „Confutatio" kann nur wiederum bestätigen, daß man
sich damals nicht um die Prinzipienfrage beim Verhältnis von Schrift-
und Traditionsprinzip gestritten hat, sondern um die dann freilich
wesentlich tiefergreifenden Fragen kirchlicher Autorität, verbunden
mit dem Streit um die Kriterien für die Katholizität. Auf dem Reichstag
hatte das nicht nur eine dogmatische Bedeutung, sondern vor
allem reichsrechtliche Implikationen.

Nun könnte man es dabei bewenden lassen, daß sich aus der Fragestellung
der Untersuchung zum Traditionsprinzip ein negativer
Befund ergibt, der durchaus den Texten gerecht wird und mit aller
Klarheit zeigt, daß die spätere konfessionelle Prinzipienfrage damals
nicht zur Verhandlung gestanden hat. Dies wäre möglich, wenn Vf.
nicht in der Zusammenfassung zu wertenden Schlußfolgerungen
käme, die diesen Sachverhalt historisch und theologisch völlig verzerren
. Zum einen wird behauptet: „Die Verfasser der CA vertreten kein
exklusives Sola-Scriptura-Prinzip. Das im Begriff .Evangelium'
erkennbare Schriftprinzip ist vielmehr auf die Tradition hin geöffnet"
(S. 214). Weiter wird ein „noch unentwickelter TraditionsbegrifT" auf
beiden Seiten festgestellt (S. 216), und schließlich - auch dies soll besserzitiert
werden - heißt es: „Neben diesen Erkenntnissen für das Traditionsverständnis
werden auch wichtige Markierungen für den ökumenischen
Dialog aufgezeigt. Das Verschweigen [!] der Kontroverse
um die Traditionsproblematik macht zunächst einen negativen
Aspekt deutlich: Der Einheit der Kirche wird nicht gedient, wenn
Meinungsverschiedenheiten nicht sachgerecht ausgetragen werden
können." Positiv aber heißt es als Ertrag der Untersuchungen: „Das
gemeinsame Fundament zwischen beiden Kirchen besteht nicht nur
in der Schrift, sondern darüber hinaus im wesentlichen in der Tradition
der ersten fünf Jahrhunderte."(S. 217)

Das reformatorische Schriftprinzip wird letztlich auf das Traditionsprinzip
festgelegt. Doch das ist eine Betrachtungsweise, die nicht
einfach zu Lasten des Vf. geht, sondern bei der sich tiefere Unklarheiten
im ökumenischen Gespräch andeuten. Es könnte nämlich durchaus
sein, daß in die Voraussetzungen dieser Dissertation eingegangen
ist, was auch unter evangelischen Theologen eine weitverbreitete Meinung
ist. Daß aber in der Prinzipienfragc die Frage nach der kirchlichen
Autorität enthalten ist, kann mit den leider nicht ausgewerteten
Beobachtungen des Vf. für das heutige ökumenische Gespräch in
Erinnerung gebracht werden.

Erlangen Reinhard Slcnczka

Söderlund, Rune: Ex Praevisa Eide. Zum Verständnis der Prädcsli-
nationslehre in der lutherischen Orthodoxie. Hannover: Lutherisches
Verlagshaus 1983. l93S.gr. 8° = Arbeiten zurGeschichte und
Theologie des Luthertums, N. F. 3. Kart. DM 29,80.

Wir haben eine Lundenser Dissertation vor uns, deren Zustandekommen
u. a. die beiden Systematiker Bengt Hägglund und Per Erik
Persson gefördert haben. Ihr Vf. wendet sich einem doppelt schwierigen
Problem zu, nämlich der ohnehin in sich komplizierten Frage
nach der Vorherbestimmung des Menschen und dem nicht leicht
überschaubaren Feld der lutherischen Orthodoxie, d. h. der weitgefächerten
Lehrbildung zeitlich nach der Reformation.

Die Gründlichkeit der Quellenbcfragung auf dem Hintergrund
einer immensen Lektüreleistung ist beachtlich. Theologicgcschicht-
liche Akribie und systematische Begabung zur Zusammenfassung von
„teilweise sehr detaillierten Problemen" (175) verbinden sich in vorteilhaftester
Weise. Söderlund öffnet seine lehrreiche Studie - mit
Gewinn für eine präzisere Erfassung des systematisch-theologischen

Sachverhalts - nach hinten und vorn, d. h. er beginnt mit einer
Exegese thematisch einschlägiger Aussagen der Konkordicnformcl
(Artikel II u. XI) 1577/1580 und schließt mit dem nordamerikanischen
Prädestinationsstreit gegen Ende des 19. Jh. Wiederum auch
mit dem Ziel, Anfänge, Konsequenzen und zeitgenössische flankierende
Texte für das Prädestinationsproblem aufzuweisen, widmet sich
Söderlund weiterhin der Interpretation Luthers, Calvins und Ausprägungen
des späteren Calvinismus.

Die Mitte der Darstellung bildet jedoch die „Prädestinationslehre in
der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts" (a. a. O.) in ihren
wichtigsten Zeugen (M. Chemnitz, N. Selncckcr, J. Heerbrand,
S. Huber, J. Gerhard, L. Hutter, D. Hollazius, J. Musaeus,
J. A. Quenstedt, Aeg. Hunnius, J. G. Baicr, G. Calixtus als Repräsentant
der Helmstedtcr Theologie, J. Lutermann, A. Calovius u. a.) und
mit ihren deutlich hervorgehobenen und durch eine Fülle lateinischer
Zitate belegten Leitbegriffen (Intuitus fidei, Effectus electionis, Mere
passive. Cur alii et non alii?, Liberias in externis, Gratia rcsistibilis,
Ccrtitudo hypothetica u. a.).

Die Verzweigtheit der einzelnen Linienführungen und Akzente
nachzuzeichnen, würde hier gebotene rezensorische Möglichkeiten
weit überschreiten. Ein notgedrungen flächiges Referat möchte aber
doch erreichen, daß sich der Interessierte selbst in die Tiefen einer
Fragestellung begibt, die für jede christliche Theologie unaufgebbar
bleibt, so daß wir hier nicht lediglich einen historischen Sachverhalt
vor uns haben.

Sehr schön zeigt der Vf. bereits in seiner Einleitung das Problem
auf: „In der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts wird von
der Prädestination gesagt, sie geschehe aufgrund des vorausgesehenen
Glaubens (ex praevisa fidc). Hierin hat man ein Zeichen dafür finden
wollen, daß die lutherische Theologie einen der Reformation fremden
Weg eingeschlagen habe. Durch die Lehre von der praedestinatio ex
praevisa fide soll der Synergismus Eingang in die lutherische Theologie
gefunden haben." (9) Der Vf. sucht nun durch viele Quellenzeugnisse
nachzuweisen, daß dieser Schluß nicht zutrelfcn muß, auch
wenn einzelne Vertreter der lutherischen Orthodoxie, wie etwa Lutermann
, die „Bekehrung" mit dem Gedanken einer „Zusammenarbeit
zwischen Gott und Mensch" (Synergismus) verbinden. (150) Söder-
lunds Studie zeigt hier und an anderen Stellen auf, daß zur Zeit der
lutherischen Orthodoxie alles andere als eine einhcitlich-fiächigc
Lehrbildung vorhanden war. Am markantesten wird das in der Absetzung
Calixts und Lutermanns von vielen anderen Theologen des Jahrhunderts
.

Zunächst konstatiert der Vf. eine „gebrochene, asymmetrische Prädestinationslehre
in der Konkordienformel", d. h. „daß Gott die einzige
Ursache der Erlösung und ewigen Seligkeit eines Menschen ist,
während es das eigene Werk des Menschen und des Teufels ist, wenn
er verlorengeht. Die Frage, warum einige erlöst werden und andere
nicht, wird nicht beantwortet." (1 5) Im Vergleich mit Luthers Standpunkt
in „De servo arbitrio" (Schrift gegen Erasmus, 1525) stellt
Söderlund heraus, daß der Reformator einen reicheren, tieferen (lot-
tesbegriff als die Konkordienformel zeigt, indem er vom verborgenen
und geoffenbarten Gott redet und - zumindest in terminologischer
Hinsicht - „schon auf der Ebene des geoffenbarten Gottes eine doppelte
Prädestinationslchrc hat" (24). Es lohnt sich, dem Vf. zu folgen,
wenn er auf „deutliche Unterschiede bei der Deutung mehrerer Bibel-
Stellen" (25) zwischen Luther und der Konkordienformel hinweist.

Interessant ist in Gegenüberstellung zu Luther und der Konkordienformel
Söderlunds These von einem calvinistischen Partikularismus
im Prädestinationsverständnis. Calvin kenne „an seinem Teil
keinen geoffenbarten Gott, der die Erlösung aller Menschen will"
(51). Hier ist vielleicht der Einwand gestattet, daß die angeführte
Qucllcnbasis zu schmal ist (es wird lediglich die Institutio herangezogen
), um so weitreichende Schlüsse zu ziehen. Dasselbe könnte zutreffen
, wenn der Vf. in einem seiner sehr schönen Bilderzählungszitate
mit Bezug auf Calixt reformierte Theologen gleich zu mehreren etikettiert
: „Die Erzählung stellt uns einen großen See vor Augen, an