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Ausgabe:

1986

Spalte:

293-295

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dittrich, Bernhard

Titel/Untertitel:

Das Traditionsverstaendnis in der Confessio Augustana und in der Confutatio 1986

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

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Nathin sei wohl bereits in Erfurt durch den regcns studii Dorsten
geformt worden und insofern für ockhamistischc Einflüsse unempfänglich
gewesen (457-463). Vf. schließt das daraus, daß Nathin
selbst in Tübingen schon durch Lehraufgaben in Anspruch genommen
wurde, vielleicht also gar keine Zeit mehr fand, Biels Vorlesungen
zu hören, und daß Nathins Mitstudent Summenhart in Tübingen
nachweislich nicht durch Biel geprägt worden ist (458). Ferner weist er
daraufhin, daß in den Jahren, in denen Nathin der geistige Führer des
Erfurter Konvents war, wahrscheinlich (Vf. in: „Augustiniana" 27,
1977, 425: „offensichtlich") in diesem Konvent Dorstens Werke
gesammelt und für die Nachwelt abgeschrieben wurden (460 und
Anm. 667). Freilich kann, wie Vf. selbst bemerkt (461 und 463), dies
alles nur bisher geläufige Hypothesen erschüttern, aber nicht beweisen
, daß Nathin im Sinne Dorstens und Paltz' gelehrt haben müßte.

Die strittige Frage nach einem Einfluß des Sentenzenkommentars
Gregors von Rimini auf Luther spitzt Vf. darauf zu, ob sich Luther
schon vor dem Jahre 1519 damit „so gründlich beschäftigt hat, daß es
auf die Ausbildung seinerneuen Theologie Einfluß gewinnen konnte"
(465). Mit Entschiedenheit tritt er den Thesen A. V. Müllers entgegen
, es habe bei Theologen des Augustinerordens vor Luther Vorformen
von dessen Rcchtfertigungslehre gegeben (465-482). Wohl aber
soll das Erfurter Generalstudium Luther angeregt haben, die Bibel
(482-485) und Augustins Schriften (485-492) intensiv zu studieren.
Autoren seines Ordens könnten auch mit den Anlaß zu seiner scharfen
Kritik an Aristoteles gegeben haben (492-502).

Ausführliche Textbeigaben aus Werken Kienkoks, Zachariaes und
Dorstens, Verzeichnisse der zitierten Personen und Sachen, der
benützten und zitierten Handschriften schließen den Band ab.

Der Leser mag sich fragen, ob Vf. wirklich gut daran tut, seine
Gewährsleute aufgrund eines vorgegebenen Schemas nach Lehrrichtungen
zu befragen, obwohl ihm entgegengehalten worden ist, er
könne damit die eigenen Intentionen seiner spätmittelalterlichen
Ordensbrüder in seiner Vaterstadt verfehlen (314, Anm. 46). Er mag
sich fragen, ob es denn erforderlich sei, zu betonen, daß Dobclin (181)
und Zachariae (268) keine forensische Rechtfertigungslehre vertraten.
Vermerkt doch Vf. selbst oft, daß ein Theologe eine Frage nicht ausdrücklich
aufgeworfen (80), nur kurze oder beiläufige Bemerkungen
dazu gemacht (125). „keine ausführliche oder gar erschöpfende Darstellung
" (104 und 181; vgl. 48.67.196) hinterlassen habe. Vf. selbst
hatte in seinem Aufsatz in „Analccla Augustiniana" 44 (1981) wohl
auch zu Recht völlig darauf verzichtet, etwas über Urständ, Fall und
Erbsünde bei Dobelin zu schreiben. Im Dobelin-Kapitel des Buches
muß nun „§ 3. Die Folgen des Sündenlälls" sehr kurz bleiben, weil es
mit dem Satz beginnt: „Zunächst sei festgestellt, daß sich in Dobelins
Sentenzenkommentar keine Ausführungen über Urständ, Sündenfall
und Erbsünde finden." (146)

Der Leser mag diese oder andere Anfragen haben. Doch kann er
gewiß sein, durch einen bedeutenden Kenner von Augustins antipela-
gianischen Schriften und längst ausgewiesenen führenden Fächmann
tür die Geschichte des Augustinerordens im Mittelalter einen ausgereiften
Beitrag zur Forschung, in den reichen Anmerkungen untermauert
durch ausgewählte Belegstellen, dargeboten zu bekommen;
aus der Fülle großenteils ungedruckter oder doch zumindest nicht
kritisch edierter Texte hat der Autor eine kundige Auswahl auch für
weitere Forschung getroffen.

Tübingen Christoph Burger

Dittrieh. Bernhard: Das Traditionsverständnis in derConfessio Augustana
und in der Confutatio. Leipzig: St. Benno 1983. XXIII,
222 S. 8* = Erfurter Theologische Studien, 51. Kart. M 22,50.

Eine Untersuchung zum Traditionsverständnis in der Confessio
Augustana und in der Confutatio von 1530 muß von der Tatsache
ausgehen und mit ihr fertig werden, daß in beiden Dokumenten kein
TraditionsbegrilTim heutigen Sinne vorliegt und mithin auch das Verhältnis
von Schriftprinzip und Traditionsprinzip nicht in dem allenfalls
nachtridentinischen Sinne kontrovers verhandelt wird. Im
Gegenteil trifft CA V in der Confutatio auf uneingeschränkte Zustimmung
, wenn unter dem Hinweis auf Act 10,44 neben den Sakramenten
auch das Wort der Predigt die Gabe des Geistes wirkt. Die warnenden
Hinweise zu den Versuchen, die spätere konfessionelle Polemik in
die theologiegeschichtlichen Untersuchungen einzutragen, wie sie
z. B. 1979 auf dem Augsburger Symposium der Gesellschaft zur Herausgabe
des Corpus Catholicorum von evangelischen und katholischen
Theologen geäußert worden sind, werden vom Vf. ausdrücklich
erwähnt (S. 3; S. 84 Anm. 471), und es ist vermutlich nicht ein
Versäumnis, sondern durchaus sachgemäß, wenn in der „gemeinsamen
Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen" zur
Confessio Augustana (Hg. von Harding Meyer und Heinz Schütte.
Paderborn-Frankfurt 1980) dieses später so brennende Thema überhaupt
nicht behandelt worden ist.

Im vollen Bewußtsein dieser Schwierigkeit hat sich der Vf. dieser
Erfurter Dissertation bemüht, die Prinzipienfrage nicht allein von den
Begriffen her, sondern auch in dem damit bezeichneten weiteren
Sachzusammenhang zu erheben. Bei aller Anerkennung des sorgfältigen
Bemühens ist es dann freilich kein Wunder, wenn das Ergebnis
zumal bei der sehr engen Beschränkung auf die im unmittelbaren Zusammenhang
mit dem Augsburger Reichstag stehenden Dokumente
dürftig bleibt und die theologische Auswertung problematisch ist.

Im ersten Teil wird der Häresienkatalog durchgemustert, der nach
dem Auftrag der Bayernherzöge Wilhelm und Ludwig an die Ingol-
städter Fakultät von Johann Eck in 404 Artikeln zusammengestellt
und beim Reichstag vorgelegt worden war. Das Ergebnis muß zitiert
werden: „Erstaunlicherweise hat Eck keinen einzigen Satz in seinen
Häresienkatalog aufgenommen, in dem die Reformatoren ausdrücklich
das Sola-Scriptura-Prinzip vertreten. Die lutherische Parole .sola
scriptum' findet sich nirgends wörtlich in den Vierhundertvier Artikeln
" (S. 12). Daß Eck sich statt dessen mit der Autoritätsfeindlichkeit
gegenüber weltlicher und kirchlicher Obrigkeit reformatorischer
Theologen auseinandersetzt, ist aber doch wohl kein Mangel, sondern
ein für das Thema insgesamt bedenkenswerter Sachverhalt.

Ausführlich wird dann im zweiten Teil das „Traditionsverständnis
der Reformatoren nach der CA" untersucht. Das Vorgehen ist ebenso
umsichtig wie mühselig. Umsichtig, sofern sorgsam die Argumentation
und die Herkunft der Argumente für die Berufung auf Tradition
und für die Kritik an ihr geprüft wird; mühselig, insofern bei dieser
Suche offenbar kein klares Verständnis von dem vorausgesetzt ist, was
reformatorisch unter „sola scriptum" zu verstehen ist.

Die Analyse bewegt sich zwischen der Beobachtung: „Ein solches
Bekenntnis zum Sola-Scriptura fehlt in der CA. Die vielen Traditionsbeweise
erwecken außerdem den Verdacht, daß die Verfasser das traditionskritische
Schriftprinzip aufgegeben haben, wie es sich in den
ersten Jahren des reformatorischen Ringens herauskristallisiert hatte
und später in der Konkordienformel definiert wurde . . ." (S. 85) Sie
endet mit der Feststellung: „So darf man folglich davon ausgehen, daß
auch die Verfasser - trotz der Traditionsbeweise - am Sola-Scriptura-
Prinzip festgehalten haben. Ein Indiz, das in der CA das Sola-Scriptura
-Prinzip vorausgesetzt ist und als solches angenommen werden
muß, bieten Bekenntnisse der heutigen Zeit, die ein strenges Sola
Scriptum postulieren, sich dabei aber auch auf die CA gründen."
(S. 105) Was dem Anschein nach fehlt, wird also aus späterer Zeit
konjiziert.

Die in CA für das behandelte Thema so wichtigen Stellen in der
Vorrede (BSLK45,27ff vgl. 35,34flf), im Beschluß zu Teil!
(BSLK 83d, 14ff) sowie im Beschluß nach Teil II BSLK 134,15ff)
werden zwar erwähnt (S. 89), doch in ihrer prinzipiellen Bedeutung
für den Zusammenhang von Heiliger Schrift und wahrer Kirche in geschichtlicher
Kontinuität gegenüber den falschen Traditionen. Mißbräuchen
und Menschensatzungen überhaupt nicht erläßt. Der in CA
nachdrücklich vertretene Anspruch auf die Katholizität der Kirche in
der Apostolizität ihrer Lehre wird Offenbar völlig verdeckt durch die