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Ausgabe:

1986

Spalte:

291-293

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Zumkeller, Adolar

Titel/Untertitel:

Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst nach der Lehre der Erfurter Augustinertheologen des Spätmittelalters 1986

Rezensent:

Burger, Christoph

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

292

kirchliche Zeitgeschichte jetzt stärker zuzuwenden beginnt, wird die
mannigfachen Folgeprobleme, die das NS-Systcm den Kirchen
hinterließ, wie auch den volkskirchlichen Neuaufbau in den verschiedenen
Besatzungszonen nach der Befreiung vom Hitlcrfaschismus
thematisieren müssen.

Leipzig Kurl Meier

Lilje. Hanns: Im Unstern Tal. Rechenschaft einer Haft. Hannover: Lutherhaus
-Verlag 1985. 128 S. m. 2 Abb. 8'. Kart. DM 14.80.

Dogmen- und Theologiegeschichte

Zumkeller, Adolar: Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst
nach der Lehre der Erfurter Augustinertheologen des Spätmittcl-
alters. Würzburg: Augustinus-Verlag 1984. XXXIV, 626 S. gr. 8" =
Cassiciacum.XXXV. Kart. DM 193,-.

Dieses Buch faßt einen Strang der jahrzehntelangen Forschungen
des Vf., die bereits in zahlreichen Publikationen ihren Niederschlag
gefunden haben, zusammen (vgl. außer den im Literaturverzeichnis
dieses Werkes auf S. XXXIII ("genannten Beiträgen die eindrucksvolle
Liste älterer Veröffentlichungen in der ihm gewidmeten Festschrift
„Scientia Augustiniana" S. XXV11I-XXXVI). Vf. will mit seinem
Werk zur Erforschung der Theologiegeschichte des Augusfincrordcns,
der Frühzeit der Erfurter Universität und der Reformationsgeschichte
beitragen (VII und 1-18). Im Schlußwort legt er den Akzent auf den
Ertrag für die Bestimmung des geistigen Klimas, in dem Martin
Luther seine theologische Ausbildung erfuhr (502-504). Die Untersuchung
zielt auf folgende Ergebnisse: Die Werke der spät mittelalterlichen
Erfurter Augustinertheologen belegen, daß ihre Autoren der
Theologie Ockhams fern standen (503). Nicht im Erfurter Generalstudium
der Augustiner (10-12 und 457, Anm. 655), sondern von
seinen Lehrern Trutfetter und Usingen an der Erfurter Artistenfakultät
erhielt Luther die Anregung, vorder Priesterweihe die Meßerklärung
des Ockhamisten Biel und zur Vorbereitung seiner Sentenzenlesung
Werke Ockhams und der Ockhamisten d'Ailly und Biel zu lesen (460).
Für das Kernstück der Rechtfcrtigungslehre Luthers, Christi fremde Gerechtigkeit
werde dem Sünder zugerechnet, sind weder Augustin (491)
noch die Augustiner (465-482) verantwortlich zu machen.

Für die Thematik des Buches ergiebig sind erhalten gebliebene
Werke von fünf Leitern des Erfurter Gencralstudiums der Augustiner.
Im ersten der beiden Hauptteile (I) stellt Vf. die einschlägigen Aussagen
dreier regentes studii aus dem Zeitraum 1361-1428 dar, die des
Oxforder Magisters Johannes Klenkok (t 1374; I. Kap.: 21-135), die
des Pariser Magisters Angelus Dobelinus (t nach 1420; 2. Kap.:
136-214) und die des Bologneser Magisters Johannes Zachariae
(t 1428; 3. Kap.: 215-294). Von ihren Nachfolgern Hermann Zachariae
(t 1439) und Heinrich Ludovici (t nach 1488) sind theologische
Schriften nicht überliefert. Deshalb steht dem Vf. erst wieder für die
Zeit zwischen 1465 und 1493 (zweiter Hauptteil: //) in den Schriften
der Erfurter Magister Johannes von Dorsten (+ 1481; l.Kap.:
307-389) und Johannes von Paltz (t 1511; 2. Kap.: 390-431) Material
zur Verfügung. Der Werdegang beider bezeugt das Aufblühen der
deutschen Universitäten, zugleich aber auch den Verlust an internationaler
Weite der Ausbildung (306).

Die fünf Kapitel, die jeweils die Erbsünden- und Gnadcnlehre eines
der Leiter des Generalstudiums und (von 1392 an) Theologieprofessors
schildern, sind einander im Aufbau sehr ähnlich. Auf eine kurze
Darstellung des theologischen Werdegangs und eine Werkcharakteristik
folgt jeweils ein Abriß der Aussagen über Urständ und Erbsünde
. Daran schließt Vf. eine Skizze der Gnadenlehre an. Nach der
Prädestinations- und Reprobationslehre kommt zur Sprache, wie der
jeweilige Augustinertheologe Gottes Wirken zur Freiheit des Menschen
in Beziehung setzt. Schließlich schildert Vf. die Rechtfertigung
«- und Bußlehre sowie die Aussagen über die Entsprechung
zwischen göttlicher Belohnung und menschlichem Verdienst.

Diese erstaunlich gleichartig gestalteten Beiträge sind über Jahre
hinweg entstanden und veröffentlicht worden. Leider wurde versäumt
, daraufhinzuweisen. So erschien //I bereits in „Recherches
Augustinienncs" 13 (1978) und Augustiniana 29 (1979); eingearbeitet
wurden allerdings Hinweise auf die mittlerweile erschienene Literatur
. 7/2 erschien erstmals in „Analecta Augustiniana" 44 (1981). Der
Hinweis auf diesen Aufsatz fehlt bedauerlicherweise auch im Literaturnachweis
(XXXIV). 11/ verbindet miteinander Beiträge des Vf.
aus „Würzburger Diözesangeschichtsblälter" 35/36 (1974) und aus
„Theologie und Philosophie" 53 (1978). Dagegen erfährt der Leser zu
Beginn von 7/3, daß im folgenden Ergebnisse einer bereits publizierten
Studie zusammengefaßt werden (215, Anm. 915), und zu Beginn
der Textbeigaben wird daraufhingewiesen, wo sie früher hercits publiziert
worden sind (505, Anm.).

Jedes Kapitel wird in einer Zusammenfassung gebündelt. Überdies
läßt der Autor die erhobenen Aussagen am Ende jedes der beiden
Hauptteile erneut zusammen. Im vierten, abschließenden Kapitel des
ersten Hauptteils resümiert Vf.: Die Augustiner Klenkok, Dobelin
und Zachariae machen zwar unter dem Einfluß des Duns Skotus
Rechtfertigung und Verdienst von der aeeeptatio divina abhängig
(2950. doch sind sie keine Skotisten, denn sie wenden sich gegen
Skotus' Lehre, bloße Furchtreue sei verdienstlich für den Empfang der
Gnade (299). Wo sie auf die Fähigkeiten zu sprechen kommen, die
dem Sünder vor Gott verbleiben, auf Gottes Gnadenwahl und zuvorkommende
Gnadenhilfe, auf die Möglichkeit, de condigno Verdienst
zu erwerben, erweisen sie sich viemehr als durch ihre Ordensbrüder
Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto im Sinne der reifen
Theologie Augustins geprägt (296-298). Klenkok und Dobelin bekämpfen
die These Bradwardines. Gott übe auf den Willen der
Geschöpfe Zwang aus (298 f).

Das zusammenfassende dritte Kapitel des zweiten Hauptteils greift
viel weiter aus als das ihm entsprechende im ersten Hauptteil. Diesem
entspricht hier nur der zweite Paragraph, der den theologischen
Standort der regentes studii Dorsten und Paltz darstellt (443-452):
Beide vertreten die Ansicht, auch ein Ungläubiger oder Sünder könne
sich kraft dergratia gratis data die Rechtfertigung vor Gott de congruo
verdienen. Paltz kann die Formel facerc quod in se est im Widerspruch
zu bei ihm anders lautenden Aussagen auch verstehen als
Handeln allein aus natürlichen Kräften. Dorsten wie Paltz betrachten
den eingegossenen Habitus der gratia gratum faciens als notwendige
Voraussetzung der Rechtfertigung, kraft deren der Gerechtfertigte de
condigno Verdienst erwerben kann. Vf. hält diese Aussagen für mit
der theologischen Position des Ägidius Romanus vereinbar (451 f),
weist jedoch selbst auf die Differenzen zu Gregor von Rimini. Hugolin
von Orvieto und den drei von diesen beeinflußten Erfurter Augustinern
hin (447 und 462). - Aus den Ergebnissen seiner fünf Einzelstudien
zieht Vf. nun Schlüsse.

Trotz dieser beiden im Augustincrorden vertretenen Richtungen
(via Acgidii und via Grcgorii) und trotz des Widerspruchs, den seine
Behauptung erfahren hat, Dorsten und Paltz seien Ägidianer (4381),
vertritt Vf. modifiziert erneut seine bereits 1964 vorgetragene These
von der einen Augustincrschule des Mittelalters. Diese sei erkennbar
an Ausdrücken geistiger Verbundenheit und am Zusammengehörigkeitsbewußtsein
(441). Freilich sei sie nicht spannungsfrei gewesen
(442). In die postulierte Augustinerschule zeichnet er auch Johannes
Nathin (t 1529), den regens des Erfurter Generalstudiums der Augustiner
1493-1529, ein, von dem theologische Schriften nicht erhalten
geblieben sind. Erst durch Aussagen über Nathins Standort wird ja
auch der Titel des gesamten zweiten Hauptteils gedeckt, der über die
Erbsünden- und Gnadenlehre der Erfurter Augustinertheologen nicht
nur bis zum Ausscheiden des Paltz im Jahre 1493, sondern bis zu
Luthers Eintritt ins Kloster im Jahre 1505 Auskunft zu geben verspricht
. Der Annahme, Nathin müsse während seines Aufenthalts in
Tübingen (1483-1487) von dem dort tonangebenden Theologen Biel
geprägt worden sein, folglich später Luther in einem gemäßigten
Ockhamismus unterwiesen haben, stellt Vf. die Behauptung entgegen.