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Ausgabe:

1986

Spalte:

285-291

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Kirchen und das Dritte Reich 1986

Rezensent:

Meier, Kurt

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285

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

286

Schulder. Klaus: Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 1: Vorgeschichte
und Zeil der Illusionen 1918-1934. Frankfuft-Berlin-
Wicn: Propyläen Verlag 1977. 897 S. gr. 8°. Lw. DM48.-. Bd. 2:
Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom. Berlin: Siedler
Verlag 1985.479 S. m. Abb. u. I Ktegr.8". Lw. DM 58,-.

Es wird nicht nur von der Fachwelt dankbar empfunden werden,
daß der zweite Band des Werkes von Klaus Scholder trotz nur rudimentärangedeuteter
Konzeption der letzten vier Kapitel kein direkter
Torso geblieben ist. sondern in dem nun hinterlassenen Umläng - nur
im Blick auf die Bannenliteratur des Jubiläumsjahres 1984 geringfügig
überarbeitet (S. I77ff; 184fF) — durch Gerhard Besier(Loccum),
Dieter Kleinmann (Tübingen) und Jörg Thierfelder (Heidelberg) im
Juli 1985 herausgebracht werden konnte. Klaus Scholder. Ordinarius
des Lehrstuhls für Kirchenordnung an der Evangelisch-Theologischen
Fakultät der Universität Tübingen, ist im Alter von 56 Jahren
am 10. April 1985 gestorben. Die forschungsgeschichtliche Lücke, die
der Tod des profilierten Zeithistorikers gerissen hat. ist schwer auszufüllen
.

Das ursprünglich kürzer konzipierte Werk gewann infolge der ausgeprägt
narrativen Darstellungskunst Scholders, die dem Band I ein
breites Leserpublikum sicherte, angesichts der Materialfülle eine unvorhergesehene
Dimension, die trotz Beschränkung auf eine gesamt-
geschichtliche Linie und Verzicht auf die territorialgeschichtliche
Entwicklung im einzelnen schon des längeren eine mehrbändige
Geschichte des Kirchenkampfes unter dem Nationalsozialismus
erwarten ließ. Bereits Vorjahren hatte darum Scholder im Blick auf
seine vielfältigen anderweitigen Verpflichtungen gesprächsweise
gemeint, daß auch die durch gleichzeitige Behandlung von protestantischem
und katholischem Kirchentum im Dritten Reich lawinenartig
anwachsende Fülle des Materials einen Abschluß des Ganzen vor
Kriegsbeginn nahelege, obwohl doch gerade die Kriegszeit bisher
immer etwas stiefmütterlich behandelt worden und ihre konkrete
historiographische Aulbereitung ein unabweisbares kirchengeschichtliches
Desiderat geblieben war. Scholder hatte die etwas singuläre
These vertreten, am Ende des Jahres 1933 seien ..jedenfalls was die
Kirchen betrifft, fast alle grundsätzlichen Entscheidungen gefallen",
und was sich dann weiterentwickelt habe, sei ..durchweg hier bereits
angelegt" (Bd. LS. X). Das bot einmal die Begründung dafür, daß der
voluminöse erste Band (897 S.) nach pointillistischem Durchblick
durch die Weimarer Verhältnisse mit zwei Dritteln seines Umhangs
sich im wesentlichen auf das Jahr 1933 konzentrierte. Hier wurde
(zum Teil bis Januar 1934) der Kampf um die evangelische Reichskirche
und der Konkordatsabschluß mit dem Vatikan für die katholische
Kirche in den zeitgenössischen Rahmen des Jahres 1933 extensiv
eingezeichnet (Bd. I: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen
1918-1934). Zum andern konnte sich die Vermutung nahelegen. Scholder
sehe die Folgezeit nach dem Gesetz des Antritts ablaufen, was eine
phasenhafl mehr oder weniger kursorische Behandlung vertretbar erscheinen
lasse. Bd. 2 indes zeigt, daß die Darstellung beider Kirchen bei
weitem mehr Raum beansprucht, als ursprünglich vorgesehen war.

Die bekannte umfangreiche Rezensionsresonanz, verstärkt durch
Medienpräsenz des Autors, mag zum gegenwärtigen Zeitpunkt retrospektiv
eine summarische Beurteilung des bereits 1977 erschienenen
ersten Bandes gerechtfertigt erscheinen lassen. (Man vgl. im übrigen
die Rezensionsbibliographie in: Evang. Arbeitsgemeinschaft für
kirchliche Zeitgeschichte München. Mitteilungen. Folge 2. Stand:
Dezember 1980.)

Scholder Führte die Anfälligkeit des Protestantismus für nationalistische
Konzepte zentral und vorrangig auf die Neigung zu einer
..politischen Theologie" zurück, bei der die natürlich-kulturellen
Strukturgesetzlichkeiten der Ordnungen von Familie, Volk und Staat,
neokonservativ im besonderen auch des Volkstums, in synthesetheologischer
Konzeption eine besondere Dignität und Verbindlichkeit
zugewiesen erhalten. Dies habe die Inklination des deutschen Protestantismus
zu dem als ..nationaler Aulbruch" drappierten nationalistischen
Trend gegen Ende der Weimarer Republik begünstigt. Der

etwas pauschal gefaßte Begriff „politische Theologie" im Sinne einer
Geschichtstheologie mit ordnungstheologischen Voraussetzungen
(bei Althaus, Hirsch u. a.) oder auch aus der anthropologischen Ver-
faßtheit (etwa bciGogarlen) heraus konzipiert, ist verschiedentlich
kritisch hinterfragt worden. Die undifferenzierte, von inhaltlichen
Zielstellungen abstrahierende Verwendung mußte ja auch Strömungen
des Liberalismus und der Religiösen Sozialisten stigmatisieren
und deren oft hellsichtige F:aschismuskritik vor 1933 einfach ausblenden
. In Karl Barths dialektisch-theologisch orientierter Verkündigungskritik
, die Teile der Bekennenden Kirche (auch durch die
Barmer Erklärung) prägen half, sah Scholder die eigentlich relevante
und kirchlich-bekenntnismäßig legitime Gegenposition gegen den
Nationalsozialismus, obschon er bereits in diesem ersten Band an
Barths Position im Jahre 1933 eine gewisse Engführung des kirchlichen
Widerstandsbegriffs kritisierte. Es ist ja bekannt, daß Karl Barth
am Anläng des „Dritten Reiches" bei persönlicher politischer Abneigung
gegen den NS-Slaat seine kirchlich-bekenntnismäßige Kritik
nicht gegen die NS-Staatsordnung. sondern lediglich gegen eine bei ihr
Zuflucht suchende Theologie (Deutsche Christen!) gerichtet sein ließ.
Andererseits blieb Barth bei der nur theologisch orientierten Verkündigungskritik
nicht stehen, sondern modifizierte seine Faschismuskritik
mit Hilfe des nunmehr stärker herangezogenen Analogiebe-
griffs, wobei er zu christologisch vermittelten sozialethischen und
politischen Konkretionen gelangte, die Paul Tillich 1940 von einem
„Wendepunkt im Denken Karl Barths" sprechen ließen.

Im Jahre 1974 hatte Scholder in Auseinandersetzung mit E. Bethge
die These aufgestellt, daß die unpolitisch argumentierende theologische
Bekenntniskritik gegenüber dem NS-Regime die eigentliche
und zentrale und damit Für kirchliches Handeln im „Dritten Reich"
wirksamste Kritik gewesen sei, während der spätere Rekurs der
Bekennenden Kirche auf die politischen Möglichkeiten ihrer Existenz
ihre zunehmende Wirkungsschwäche mitbedingt habe. Doch zeigte
schon Band I. daß Scholder die reine Verkündigungskritik, wie sie bei
K. Barth („Theologische Existenz heute") Sommer 1933 hervortrat,
auch kritisch sah. Die dort geübte Kritik Barths an der theologisch
uneinheitlichen ..Jungreformatorischen Bewegung" erschien Scholder
„in dieser allgemeinen Weise zweifellos nicht gerechtfertigt"
(S. 555), wenngleich Barths darin zum Ausdruck kommende „kompromißlose
Einseitigkeit entscheidend zur Klärung der kirchlichen
Lage" beigetragen habe. Die „entscheidende Schwäche" dieses Ansatzes
lag nach Scholder darin, daß die Konzentration der Kirche auf
die theologische Existenz - wie Barth später selbst einräumte - ihm
damals die unmittelbare Einsicht in die Judenfrage verschloß: die
„inhaltliche Konzentrierung der ganzen Auseinandersetzungen auf
die Frage der natürlichen Theologie" sei „nicht unproblematisch"
und habe die Widerstandsmöglichkeiten anderer theologischer Positionen
wie auch innerhalb der katholischen Kirche, deren theologischer
Grundansatz im Verhältnis „Natur und Gnade" Barth damals
ebenso suspekt war. einfach verkannt. Scholder wies auf eine
„schwere theologische Krise" der Bekennenden Kirche im Krieg hin.
als „eine Folge der radikalen Einseitigkeit des Barthsehen Ansatzes"
(S. 558) verstanden. Auch die Schwierigkeit wird aufgezeigt, „den
Bardischen Ansatz mit irgendeiner Form von kirchlicher Organisation
zu vermitteln" (S. 558): auch seine theologische „Unduldsamkeit
" wird apostrophiert. Trotzdem habe sich Barths theologischer
Ansatz gerade in der kritischen Situation des Jahres 1933 „als einer
der ganz großen theologischen Entwürfe der christlichen Theologie
überhaupt" erwiesen (S. 559). Der creignisgcschichtliche Rahmen
ließ es auch in Band 2 noch nicht zu. Barths Wandlungen in puncto
Faschismuskritik (besonders in der Schrift „Die Kirche und die politische
Frage von heute". Zollikon, Zürich 1938) näher zur Sprache zu
bringen. Doch zeigt schon die differenzierte Beurteilung der Barmer
Synode mit ihrer Theologischen Erklärung wie auch die überraschende
Kritik am Dahlemer Notrecht, daß Scholder im zweiten
Band das Gewicht realhistorischer Kriterien interpretativ höher einschätzt
, als dies von seiner Ausgangsposition (etwa in der Kontroverse