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Ausgabe:

1986

Spalte:

284

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Wallmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation 1986

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

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Seite 1

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283

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

284

Eike Wolgast behandelt ..Bugenhagen in den politischen Krisen
seiner Zeit" (S. 100-1 17). Bei ..grundsätzlicher Übereinstimmung mit
Luthers Vorstellungen von weltlicher Gewalt und Verhalten der
Untertanen" hat er dem katholischen Kaiser gegenüber eine andere
Stellung eingenommen. Während Luther die Fürsten als Untertanen
Karls V. ansah, die keinen Widerstand um des Evangeliums willen
leisten durften, hat Bugenhagen das Widerstandsrecht von Anfang an
(1523) bejaht. M. E. muß bei diesem unterschiedlichen Verhalten der
beiden Wittenberger Theologen die Stellung zu Kaiser und Reich stärker
berücksichtigt werden. Lutherais Humanist hatte seine Hoffnung
für die Kirchen- und Reichsreform auf den jungen Kaiser gesetzt und
die gallikanischen Freiheiten der französischen Kirche auch für
Deutschland gefordert (Adelsschrift 1520). was auf illusionären Erwartungen
beruhte. Die staatliehe Realität schon im Mittelalter lag
nicht beim Reich, sondern bei den Territorien. Der Wirklichkeitssinn
Bugenhagens bewährt sieh auch darin, daß er die evangelische
Landeskirche einer Reichsideologie nicht zu opfern bereit war.

..Zwei Briefe Bugenhagens an den Rostocker Rat 1530/1531" legt
Sabine Pellke mit einer faktenreichen Interpretation vor. Es geht um
den Gebrauch der deutschen niederdeutschen bzw. lateinischen
Sprache im Gottesdienst und im Zusammenhang damit um die Bedeutung
des Lateinunterrichts an den Schulen. Der Rostocker Magister
Joachim Slüter, bedeutend über Rostock hinaus durch sein niederdeutsches
Gesangbuch, war energisch für die deutsche Sprache im
Gottesdienst eingetreten und hatte dadurch den l 'nvvillen des konservativen
Bildungsbürgertunis auf sich gezogen. Bugenhagen, der in
seinen Kirchenordnungen energisch für den Gebrauch der deutschen
Sprache bei Taufe und Abendmahl eingetreten war, will daneben
am Lateinischen festhalten. Der Vfn. ist darin zuzustimmen, daß
es Slüter wohl vor allem um die unteren Schichten ging, während
Bugenhagen auch andere Bevölkerungskreise ansprechen wollte. In diesem
Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, daß Bugenhagen
(wie auch Luther) aus zwei Gründen an der lateinischen Sprache
festhielt: Sie war im 16. Jh. die Sprache der Ökumene und das Verständigungsmedium
für die Verantwortlichen nicht nur in der Kirche.

Über ..König und Kirche. Über das Verhältnis der weltlichen
Obrigkeit zur Kirche bei Johann Bugenhagen und König Christian III.
von Dänemark" schreibt M. Schwarz Lausten (S. 144-167). Die Krönung
des dänischen Königs durch Bugenhagen nach alttestamentli-
chem Ritus (Salbung) wurde von Vertretern des linken Flügels der Reformation
abgelehnt. Bugenhagen sah sie nicht als heilige Handlung
an, sondern als Einsetzung des Königs in sein von Gott verordnetes
Amt (Rom 13.1-7) nach altem Herkommen. Wichtig ist. daß die Verantwortung
des Königs für die kirchlichen Verhältnisse nicht mit
Luther durch das ..Notepiscopat" der weltlichen Obrigkeit oder das
„Liebesamt", sondern durch die „cura religionis" und die „custodia
utriusque tabulae" (Melanchthon!) begründet wird. Für die europäische
Kirchengeschichte ist weiter von Bedeutung, daß „das Ordnungsprinzip
eines ausgeprägten landesherrlichen Kirchenregimentes
. . . bereits 1537 vollkommen ausgeformt in der dänischen Kirchenordnung
vorliegt" (S. 158).

„Das Schicksal von Bugenhagens Visitationswerk in Braunschweig-
Wolfcnbüttcl im Lichte eines unveröffentlichten Briefes an Bugenha-
gen" (S. 168-182) wird deutlich durch dieses in der Briefsammlung
von O. Vogt nicht berücksichtigte und nun durch E. Koch zugänglich
gemachte Dokument. Nach den Recherchen des Vf. ist der Absender
Werner Elcrdes, Superintendent und Hofprediger in Wolfenbüttel in
der Zeit der Besatzung des Fürstentums durch den Schmalkaldischcn
Bund, später Professor und auch Dekan der philosophischen Fakultät
der Universität Frankfurt a. O. In diesem Schreiben werden die katastrophalen
Zustände in der Kirche des besetzten Landes anschaulich
beschrieben.

„Johannes Bugenhagen und die Evangelisch-Lutherische Kirche in
Siebenbürgen" (S. 183-207) ist das Thema von Ludwig Binder, der
selbst als Professor in Siebenbürgen/Rumänien gelehrt hat. Die Ausstrahlung
Bugenhagens weit über Wittenberg hinaus wird in diesem

Beitrag deutlich. Wichtig ist vor allem der Abschnitt über die Ordination
. Während Luther für eine Ordination auch von auswärtigen
Theologen in Wittenberg eintrat, gab Bugenhagen der Verbindung
von Vokation und Ordination den Vorzug, wie sie sich dann im
Luthertum (auch in Siebenbürgen) durchsetzte. Der finnische Kirchenhistoriker
Simo Heininen schließlich schreibt über ..Bugenhagen
in Schweden und Finnland" (S. 201-207). Dabei geht es vor allem um
die Wirkung von Bugenhagens Schrifttum, vornehmlich seiner
Passionsharmonie (über 80 Aullagen!). Sie fand Aufnahme im finnischen
Gesangbuch und wurde bis ins 19. Jh. mit diesem zusammen
gedruckt.

Hat die Gedenkschrift des Bugenhagenjubiläums 1958 (zum
400jährigen Todestag, hg. von W. Rautenberg) als Adressaten eher die
Gemeinde im Blick gehabt, so bringen die hier besprochenen Beiträge
Forschungsergebnisse, welche neue Erkenntnisse über^ Person und
Werk des bedeutendsten pommerschen Theologen vermitteln
können. Das ist auch darum zu begrüßen, weil die herablassende
Würdigung Bugenhagens als Praktiker ohne eigenes theologisches
Profil damit eine wesentliche Korrektur erfahrt.

Göttingen I fans-Walter Krumw iede

Kirchengeschichte: Neuzeit

Wallmann, Johannes: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation
. 2., durchges. Aull. Tübingen: Mohr 1985. 304 S. 8" =
Uni-Taschcnbücher. 1355. Karl. DM 9.80.

Wallmanns kleine Kirchengeschichte ist populärwissenschaftlich;
für einen weiteren, historisch interessierten Leserkreis bestimmt. Ursprünglich
1973 in einer Taschenbuchreihe des Ullstein-Verlages erschienen
, fand sie so viel Anklang, offensichtlich auch unter Studierenden
, daß die zweite durchgesehene Aullage nun in einer Reihe akademischer
Studienbücher erscheint. Das Ziel. Kenntnis und Verstehen
neuzeitlicher Kirchengeschichte einer weiteren Leserschaft zu
vermitteln, ist geblieben.

Folgerichtig verzichtet das kleine Büchlein auf jeden Nachweis. Ein
kurzes Orts-. Personen- und Sachregister ist ganz hilfreich wie auch
das naturgemäß äußerst knappe Literaturverzeichnis, bei dem recht
wichtige Titel leider fehlen. Die Kirchengeschichte begrenzt ihre Darstellung
auf Deutschland, setzt mit der Reformation ein und soll sieh
bis zur Mitte unseres Jahrhunderts erstrecken, erläßt also den Nationalsozialismus
noch mit und endet mit dem 2. Vatikanum. Eine so
umfangreiche Darstellung über fünf Jahrhunderte deutscher Kirchengeschichte
auf nicht einmal 300 Seiten im Kleinoktav unterbringen zu
wollen, ist ein Wagnis. Der Erfolg des Büchleins spricht dafür, daß
dieses Wagnis gelungen ist. Wallmann reiht sich damit in andere
Taschenbuehdarstellungen. etwa der Reformation von Stupperich
oder Moeller ein. auch wenn dieser Zeitraum bei ihm nicht einmal
hundert Seiten umläßt.

Das Buch liest sich gut. Es bemüht sich, nicht nur Grundzüge oder
Tendenzen aufzuzeigen, sondern eine erzählerische Darstellungsweise
zu bieten, die dicht am Geschehen bleibt und dieses in größere
Zusammenhänge einzuordnen versucht. Natürlich mußte viel Stoff,
auch wirklich wichtiger, bei einer so knappen Darstellung draußen
bleiben und Wallmann „mußte mitunter einen gröberen Pinsel gebrauchen
und auf manche Nuancicrung und Urteilsabschattung verzichten
" (S. 9).

Interessant ist das Gliederungsschema in der Theologiegeschichte
des 19. Jh., und manche Partien sind trotz oder gerade wegen ihrer
Kürze durchaus in der Lage, dem Leser den Tenor der einzelnen
Abschnitte eindrucksvoll und übersichtsartig zu vermitteln.

Alles in allem ein empfehlenswertes Buch für alle, die einen Kurzüberblick
und eine sachliche und gute Kurzinformation über diese
500 Jahre deutscher Kirchengeschichte suchen.

Berlin 1 lans-UIrich Delhis