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Ausgabe:

1986

Spalte:

278-279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kretzschmar, Robert

Titel/Untertitel:

Alger von Luettichs Traktat "De misericordia et iustitia" 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

278

liehen Parallelen nicht nur vergeblieh, sondern überflüssig
(S. 7760.

Der New International ("ommentary versteht sieh nach dem Um-
schlagtext als eine Kommentarreihe "that will give direction to cori-
servative New Testament scholarship for ycars to come", wobei die
biblischen Schriften verstanden werden sollten "as the infallible Word
of God". Angesichts des Fosehungsstandes kommen aber Auslegungen
wie die von IT kaum aus ohne Apologetik und ohne die Tendenz
zur /. T. fast gewaltsamen Harmonisierung mit den („älteren") Pau-
lusbriefen; hin/u kommt eine deutliche Berührungsangst gegenüber
mögliehen religionsgeschichtlichen Parallelen oder gar Abhängigkeiten
, zumal wenn solche im Bereich der Gnosis liegen könnten. So
empfangt der Leser aus B.s Kommentaren zu den drei Gefangenschaftsbriefen
in vielen Einzelheiten Belehrung, und er wird vielen
exegetischen Entscheidungen auch dann zustimmen, wenn er im
ganzen eine andere Position vertritt. Aber wesentliche Einsichten zur
theologischen Konzeption dieser drei Briefe bzw. - übernimmt man
B.s These, daß hier die (außer Phil) letzten paulinisehen Briefe vorliegen
- wesentliche Einsichten zum theologischen Denken des „späten
Paulus" gewinnt der Leser kaum.

Bethel Andreas Lindemann

Gamble. Harn Y.: The New Testament C anon. Its Making and Meaning.
Philadelphia. PA: Forlress Press 1985. 95 S. 8 =Guidesto Biblieal Scholarship.
New Testament Serie*.

Grundmann. Walter: Der /enge Her Wahrheit. Gruitdztige der Christologie
des Johannesevangeliums. Mit einer Einführung hg. von W. Wiefel. Berlin:
Lvang. Verlagsanstalt 1985. 88 S. 8*. M 6,-.

Murphy, Frederick James: The Strücfüre and Meaning of Second Baruch.
Atlanta. GA: Scholars Press 1985. IX. 148 S. 8" = SBL. Dissertation Serics. 78.
S 10.95: Lw. S 16.50.

Reagstorf, Karl I lein rieh: Die Einheit der Kirche nach dem Julian nesevange-

lium Oberursef: Oberurseler Hefte 1985. 3t) s. 8 ■ Oberuiseler Hefte. 21.

DM 4.50.

Kirchengeschichte: Mittelalter

Hagele. (iütlter: Das l'aenitentiale Vallicellianum I. Ein obetitalienischer
Zweig vier frühmittelalterlichen kontinentalen Bußbücher.
Überlieferung, Verbreitung und Quellen. Sigmaringen: Thorbcckc
1984. 107 S. gr. 8' = Quellen und Forschungen zum Recht im
Mittelalter. .7. Lw. DM 32.-.

Das genannte Bußbuch war 1875 von Hermann Josef Schmitz als
„Poenentiale Romanum" ediert und auf den Anläng des 8. Jh. datiert
worden. P. Eoumier erkannte 1901 Oberitalien als Enlstehungsort
jenes Dokuments, das er auf die Zeit um 800 datierte. Mit den Untersuchungen
von Raymund Kottjc über die Bußbücher Halitgars von
Cambrai und des Hrabanus Maurus (ThLZ 106. 1981, 895-896) fand
das Paenitentiale VallicelHanum I erneut größeres Interesse. Die Zahl
der bekannten Handschriften hatte sieh auf 8 erhöht. So vergab Kottje
die Untersuchung dieses lange umstrittenen Dokuments als Dissertationsthema
(angenommen in Augsburg 1982). Neben dem Paenitentiale
Vallicellianum untersucht G. Hägele auch das Paenitentiale
Merseburgense a. Er beschreibt und klassifiziert die Handschriften
und bisherigen Ausgaben (21-50). er schildert die handschriftliche
Verbreitung beider Dokumente. Bedeutsam ist die Überlieferung des
Paenitentiale Vallicellianum I mit dem Bußbuch des Flalitgar
(55-58). Hägele datiert die Enlstchungsz.eit später als bisher angenommen
auf das ausgehende 9. oder gar erst auf das 10. Jh. (9.7). Zum
Entstchungsgcbict sagt er: „Das Bußbuch geht auf ein in Oberitalicn
redigiertes Exemplar des Paenitentiale Merseburgensc a zurück,
wurde ebenfalls in Oberitalien abgefaßt und hatte dort auch sein
Hauptverbreitungsgebiet" (97). II. trägt die begründete Hypothese
vor. daß das Bußbuch in Vereelli entstanden sein könne, das unter
Bischof Atto (924-960) ein Zentrum kanonistiseher Aktivitäten war.

Wichtig ist. daß jenes Paenitentiale die kirchenrechtlichen Entscheidungen
nicht mehr in historischer Abfolge brachte: das Werk war
systematisch geordnet, „was der praktischen Benutzbarkeit des formal
neuen Bußbuches zugute kam" (99).

Rostock GertHaendler

Kretzschmar. Robert: Alger von Lüttichs Traktat „De miserieordia et
iustitia". Ein kanonistiseher Konkordanzversuch aus der Zeit des
Investiturstreits. Untersuchungen und Edition. Sigmaringen: Thorbecke
1985. XX, 41 I S„ 1 Farbtaf. gr. 8' = Quellen und Forschungen
zum Recht im Mittelalter. 2. Lw. DM 120.-.

Die Tübinger Dissertation von 1983 untersucht eine Schrift, die bisher
kaum untersucht und nur einmal 1717 ediert worden war (Nachdruck
bei Migne. PL 180). Alger von Lüttich war Diakon und Leiter
einer Schule, wurde 1 101 Mitglied des Domkapitels und trat I 121 in
das Kloster Cluny ein. Seine Arbeit „de saeramento" war verbreitet,
über 20 Handschriften werden genannt (15-17). Seine kirchenrechtliche
Schrift wurde weniger beachtet, weil sie wohl zu sehr auf den
Investiturstreit in Lüttich bezogen war. Der Lütticher Bischof Otbert
gehörte zur Partei Heinrichs IV„ es gab Widerspruch und Spannungen
, doch erreichte Otbert nach 1106 einen Ausgleich mit Papst
Paschalis II. Alger hat seine Schrift vermutlich vor 1101 abgefaßt: er
vertrat ziemlich rigoristische Positionen, während er sich nach 1101
mit seinem Bischof vertrug. Grundsätzlich erstrebt seine kirchenrechtliche
Arbeit einen Ausgleich. Alger bedauert die „Mißachtung
des im Kirchenrecht verankerten Grundsatzes, daß je nach Situation
das Prinzip der Barmherzigkeit (die Möglichkeit in der Anwendung
kanonistiseher Bestimmungen Milde walten zu lassen) oder das der
Gerechtigkeit (die strikte Durchsetzung disziplinarischer Maßnahmen
) Priorität hat, welche für die Wirren, die in der Kirche ausgebrochen
waren, verantwortlich ist" (31). Alger wurde oft als gemäßigter
Reformer eingestuft, der sich von radikalen Gregorianern abhob.
Kretzschmar kann die Zusammenhänge verdeutlichen und dadurch
interessanter machen: Alger ist durchaus für Toleranz (miserieordia)
gegenüber den vielen Geistlichen, die der Zölibatsforderung nicht
nachkommen. Insofern war er kein „Gregorianer". Aber Alger wendet
sich scharf gegen „Simonisten". denen er die Rechtgläubigkeit abspricht
: „Bedenkt man, daß Otbert von Lüttich in erster Linie als
Simonist bekämpft und als solcher exkommuniziert wurde, so wird
deutlich, daß Algers Plädoyer für Toleranz - auf die Ereignisse seiner
Heimatstadt bezogen - nicht als Aulruf zur Tolerierung des Bisehofs
verstanden werden kann; Alger muß mit seinen radikalen Gegnern
sympathisiert haben" (42). Freilich war er bemüht, „das Vorgehen in
verfassungsrechtliche Bahnen und versöhnliche Formen zu lenken"
(43). Die Absetzung eines Bischofs darf nur „in streng kanonischen
Bahnen erfolgen". Alger möchte „Möglichkeiten aufzeigen, wie die
Absetzung eines Bischofs umgangen werden kann" (46). Beim Sakrament
jedoch unterscheidet er klar: Es ist „ungefährlich, sich die Sakramente
von schlechten Priestern spenden zu lassen" (48). Aber dies gilt
„nicht (ür die Sakramente von Simonisten. sondern nur für solche v on
rechtgläubigen unwürdigen Priestern" (50). Ein Simonist steht außerhalb
der Kirche. Damit verliert ein simonistischer Bischof das Recht
zur Ordination. Petrus Damiani hatte die Wirkung der Ordination
von der Würdigkeit des Empfängers abhängig gemacht, so daß ein
simonistischer Bischof ordinieren konnte. An diesem Punkt ist Alger
dagegen strenger Gregorianer: „Algers Auslührungen zu den Ordinationen
der Simonisten lassen eine unversöhnliche Haltung erkennen"
(55). Er machte einen Unterschied „zwischen dem rechtgläubigen
sündigen (nikolaitischen) Priester und dem simonistischen Häretiker
" (57).

Formal gesehen steht die Frage, „ob Alger eine Kirchenrcehts-
sammlung oder einen Traktat verfassen wollte" (63). In mancher
Beziehung hat er die Verfahrensweise vorweggenommen, die dann in
der Kirchenrcchtssammlung Grabaus angewendet wurde. Die äußeren
Umstände waren gewiß verschieden. „Das Prinzip jedoch, von