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Ausgabe:

1986

Spalte:

274-277

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bruce, Frederick F.

Titel/Untertitel:

The epistles to the Colossians, to Philemon, and to the Ephesians 1986

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

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da das Auftreten der Pharisäer und Herodianer als Kontrahenten in
12,13 wie in 3,6 sekundär ist. Und weil 12,35-37 im strengen Sinne
kein Gespräch, sondern „Monolog" bzw. „Debattewort" oder „Streitfrage
" ist (S. 243.245). reduziert sich die sog. Sammlung von Jerusalemer
Streitgesprächen auf ganze zwei (11,27-33 und 12,18-27). Das
Urteil des Vf. im ersten Teil des Resümees seiner Arbeit, daß sich die
Hypothese einer vormarkinisehen Sammlung Jerusalemer Streitgespräche
„als höchst unwahrscheinlich erwiesen habe" (S. 302), erscheint
deshalb, zumal es durch kürzere Analysen anderer gestützt
wird (S. 302 A. 22). als begründet. Und das gleiche gilt von dem in Anlehnung
an vorliegende Kritiken erbrachten Nachweis im zweiten
Teil der Zusammenfassung, daß sich David Daubes These schwerlich
halten läßt, in Mk 12.13-37 liege ein judenchristlicher Seder (Passa-
Liturgie) zugrunde, der durch das aus der Passa-Haggada bekannte
Schema der vier fragenden Söhne geprägt sei.

Jenseits der skizzierten Zusammenhänge wirft die Arbeit Mundlas
freilich eine Reihe sowohl methodologisch wie sachlich begründeter
Fragen auf. Sic rühren letztlich allesamt aus einem ungelösten Konflikt
zwischen dem Ergebnis seiner formgeschichtlichen Untersuchungen
und dem Wortlaut der Texte einerseits und der Intention seiner
religionsgeschiehtlichen Vergleiche andererseits her. Denn zwar geht
es ihm um den Nachweis, daß die vormarkinisehen Pcrikopen in
geringerem Maße Streitgespräehe gewesen sind, als noch Albertz
annahm; er läßt dies jedoch exegetisch nicht hinreichend zu Buche
schlagen, sondern interpretiert gerade auch diese Pcrikopen trotz erklärter
anderer Absicht mehr oder weniger als Konfliktszenen und die
Streitgespräche selber noch konfliktreicher, als sie es ihrem Wortlaut
nach sind. So heißt es zur Pcrikopc 12,(13)14-17: Wenn die Gesprächspartner
die Steuerfrage stellen, „erhalten sie eine Antwort, die
weiler im Sinne der Zeloten noch des politischen Desinteresses der
Apokalyptiker noch der Duldung wie bei den Pharisäern, zu verstehen
ist" (S. 59). Nicht formal, aber sachlich wird der Text damit als
Streitgespräch interpretiert, und mag man den Bezug auf die Zeloten
noch vom zeitgeschichtlichen Kontext her gelten lassen, so ist doch
der Rest in den Text eingetragen. Das gleiche geschieht bei der Auslegung
von 12,28-34, wenn der Vf. die zustimmende Antwort des
Schriftgelehrten zu Jesu Urteil, es gebe kein Gebot, das „größer" sei
als die ersten beiden der Gottes- und Nächstenliebe, als Absehwä-
ehung interpretiert, nur weil er nicht „größer" (angeblieh sachlich ein
Superlativ) sagt, sondern „mehr als. . .", und sich bei seinem Vergleich
„lediglieh" auf den Kult „beschränkt" (S. 226, vgl. S. 204) -
eine völlige Fehleinschätzung der Bedeutung des Kultes in jener Zeit.
Folgerichtig meint der Autor zu wissen, Jesus werde deshalb dem
Schriftgelehrten auch „nicht ganz zugestimmt haben können" (S. 204,
vgl. S. 226). Schließlich läßt der Vf. der Interpretation der Zusage
Jesu, der Schriftgelehrte sei nicht fern vom Reich Gottes, eine Deutung
der Basileia-Verkündigung Jesu folgen, die in dem Satz, gipfelt.
Jesus unterscheide sieh mit seiner Verkündigung der Gottesherrschaft
darin grundlegend von allen anderen (Propheten. Apokalyptikcrn,
Quniranern. Johannes dem Täufer), daß er „die Gegenwart als die
Stunde des Heils, nicht der Rache" verstehe (S. 214). Die Heranziehung
dieses bekannten Klischees gerade im Zusammenhang mit der
Auslegung des freundliehen „Schul- bzw. Lehrgesprächs" 12,28-34
ist befremdlieh genug. Sie erseheint um so fragwürdiger, als der Autor
später bei der Frage nach der Authentizität der Pcrikopc jenen zustimmt
, die sie in ihrer jetzigen Gestalt als judcnchristlich-hcllcni-
stische Gcmcindebildung bezeichnen, und unerwartet zurückhaltend
als historischen Kern der Szene lediglich postuliert: „Frage - Antwort
und gegenseitige [!] Zustimmung der beiden Partner" (S. 226). Übereinstimmend
mit diesen Tendenzen gibt auch das Sadduz.äergespräeh
12,18-26. das ausdrücklich nur diese Gruppe als Kontrahenten nennt,
für den Vf. sehr v iel mehr her, als das. was tatsächlich erzählt wird: „Die
hier im Gegensatz, zu den Pharisäern [!] als auch zu den Sadduzäcrn bezeugte
(iotteserfahrung und Gottesgewißheit Jesu muß für seine Gegner
einen schweren Sehlag bedeuten: .Gerade die, die auf ihre «.Gottes-
erkenntniat so stolz sind, haben von Gott keine Ahnung'" (S. 102/Zitat

im Zitat: J. Blank). Man vergleiche damit die zweite, aus pharisäischer
Tradition herkommende Bcracha des Achtzehnbittengebets, die vom
Vf. zwar zitiert (S. 94), aber nicht exegetisch beherzigt wird.

Die Beispiele für diese Art der Interpretation ließen sich häufen. Sie
finden ihren konsequenten Abschluß in dem, was der Vf. im dritten
Teil seines Schlusses - ohne Bezug auf rabbinisehe Materialien - über
„Streit- und Schulgesprächc im Neuen Testament und im rabbini-
schen Judentum" sagt. Seine Beschreibungen sind allein auf Abgrenzungen
aus, bei denen zu viele Tatbestände ignoriert werden. So
stimmt es weder, daß nur im Neuen Testament die Streitgespräehe ihren
Ausgangspunkt bei einem Verhalten des Meisters oder seiner Jünger
nähmen (vgl. allein die Belege bei Bultmann „Geschichte der
synoptischen Tradition", S. 43), noch auch, daß die neutestamentli-
chen Streitgespräehe keine anderen Beweise als die Autorität Jesu
kennten (vgl. z. B. die Schrißbeweise Mk 2,23-28; 12,18-26 u.a.).
Ebenso wenig leuchtet die Schlußfolgerung ein, die rabbinisehen
Disputationen seien deshalb keine „Streit-", sondern „Lehr- oder
Schulgespräche", weil sie „im Rahmen der gemeinsamen Glaubcns-
überlicferungen" blieben - während Jesu Konflikte mit den religiösen
Autoritäten seines Volkes diesen Rahmen „sprengten" und „so das
Gottesbild seiner Gegner und ihrer Tradition zusammenbrechen" ließen
(S. 308: Belege: „Mk 7,2ff; 10,2ff. . .", also nicht die Haupttexte
der Untersuchung!). Denn zum einen gibt es in allen Gemeinschaften
echten Streit gerade im Rahmen gemeinsamer Glaubensüberlieferungen
(vgl. in rabbinischcr Tradition etwa die scharfen Konflikte zwischen
den pharisäischen Häusern Hillel und Schammai), und zum anderen
läßt sich nicht nur da von Streit reden, wo Gottesbild und Tradition
der Gegner (vermeintlich) zu Bruch gehen. So wird, obwohl der
Vf. diese Gefahr sieht (S. 306). im Schlußteil ein bestimmtes Verständnis
Jesu zum Kriterium für die Formbestimmung, nicht aber die
Formbestimmung zur Hilfe für ein differenzierteres Verständnis der
Überlieferung über ihn - die Diskrepanz zwischen dogmatisch-theologischem
Interprctationswillcn und Textgcstalt hält sich bis zum
Schluß durch.

Überraschenderweise finden sich zwischendurch Feststellungen wie
die folgende: „Wir sahen, daß es der Gemeinde in dieser Erzählung
[sc. 12,28-34] darum ging zu zeigen, daß Jesu Lehre mit dem Grundbekenntnis
und den Grundwahrheiten des Glaubens Israels voll übereinstimmt
" (S. 229). Es ist schade, daß sieh der Vf. von dieser Erkenntnis
so wenig hat leiten lassen. Sie hätte ihn zu einer sehr viel differenzierteren
Auslegung der Jerusalcmcr Gespräche führen können.
Zu solcher Deutung laden sie selbst noch bei Markus ein - um wieviel
mehr in ihrer vormarkinisehen Gestalt.

Berlin (West) Peter von derOstcn-Sacken

Bruce, F. F.: The Epistles to the Colossians, to Philemon, and to the
Kphesians. Grand Rapids, MI: Eerdmans 1984. XXVIII, 442 S. 87

geb.S 16.85.

Der Band enthält die Neubearbeitung der 1957 erschienenen Kol-
Auslegung von B. selbst; er ersetzt die Eph-Auslegung von E. K.
Simpson und die Kommentierung des Phlm durch J. J. Müller aus
dem Jahre 1955 (die Bände sind damals in derThLZ nicht besprochen
worden). B. rückt nun die drei Briefe unmittelbar nebeneinander:
Paulus habe sie nahezu gleichzeitig während der römischen Gefangenschaft
geschrieben, als er die- Hoffnung hatte, Kleinasien bald besuchen
zu können. Nach dem Abkürzungsverzeichnis und einer "select
Bibliography" (S. X1X-XXVIII) folgen die drei Kommentare, jeweils
beginnend mit den Einleitungsfragen und einer Gliederung ("analy-
sis"); den Schluß bilden austührliehe Register (S. 417-442). Die Auslegung
erfolgt perikopenweise: Übersetzung, sprachliche und textkritische
Anmerkungen (gelegentlich auch einleitende Bemerkungen zu
größeren Abschnitten) und sorgfältige Text-Exegesen, denen man im
Detail weithin zustimmen kann; die Auseinandersetzung mit der Forschung
ist verhältnismäßig ausführlich, ohne auszuufern.

Der Kol-Kommentar (S. 3-187) wird eingeleitet mit Auslührungen