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Ausgabe:

1986

Spalte:

272-274

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mundla, Jean-Gaspard Mudiso Mbâ

Titel/Untertitel:

Jesus und die Führer Israels 1986

Rezensent:

Osten-Sacken, Peter

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271

Theologische Lileraturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 4

272

Gottes-Predigt, seine Ethik und sein Selbstverständnis. Konstitutiv
für die erstere ist nicht die an sich vorhandene Naherwartung, sondern
das Reich Gottes als Ausdruck der Souveränität und der Nähe Gottes
sowie die Sozialität des Reiches Gottes. Jesu Ethik gründet in der Zusage
von Gottes Schöpfermacht ebenso wie in der Zusage der kommenden
Gnade (Seligpreisungen). Inhaltlich ist sie an dem in der Feindesliebe
gipfelnden Liebesgebot orientiert. Jesu Selbstverständnis
muß, wie die Kreuzigung und das im Kern historische Petrusbekenntnis
zeigen, messianische Züge enthalten haben, obgleich seine Distanzierung
vom politischen Messianismus seiner Umwelt unübersehbar
ist. In seinen Heilungen und in seiner souveränen Stellung zum Gesetz
zeigt sich „das einzigartige Sendungsbewußtsein Jesu, das wir nur mit
Vorbehalt als prophetisch bezeichnen können" (41). Prophetische
Symbolhandlungen kommen hinzu. Ob Jesus seine Sendung als die
des Menschensohnes verstanden hat, will P. lieber offen lassen. Jedenfalls
ist sein Selbstbewußtsein nicht von vorgegebenen Vorstellungen
ableitbar, so gewiß es umgekehrt auf eschatologischc Vollendung bezogen
ist. Das alles bedeutet freilich nicht, daß die Christologie von
der Begegnung mit dem irdischen Jesus her aufgebaut bzw. umgekehrt
das Osterkcrygma nur als Reflexion des Auftretens Jesu oder des
Kreuzestodes gedeutet werden könnte (50 f)-

Teil 3 und 4 der Arbeit beschäftigen sich daher mit den ältesten Äußerungen
des Osterglaubens. Teil 3 wendet sich unter der Überschrift
„Der entscheidende Impuls" zunächst den ältesten formelhaften
Glaubenszeugnissen als „Grundmaterial" für die Christologie zu
(52-82). In der Erhöhungsvorstellung sieht P. keinen alternativen
Ausdruck zum Auferstehungskerygma, sondern nur eine frühe Interpretation
desselben. Diese Tatsache wie die nachweisbaren Querverbindungen
zwischen den alten Hoheitstiteln machen die These von
der sog. „Vielfalt" der Christologie unmöglich, jedenfalls wenn man
dabei an getrennte Gruppen mit alternativen Christologien denkt. Wo
unterschiedliche theologische Akzente begegnen, sind diese eher aus
dem verschiedenen Sitz im Leben zu erklären. Wirkliche Differenzen
entstehen erst in der praktischen Anwendung und Deutung gemeinsam
vorgegebener Glaubensaussagen. Wo tatsächlich in der Frühzeit
das Auferstehungskerygma fehlt wie z. B. bei den „Jesusleuten" in
Galiläa, kann man eine solche Gruppe nicht „christlich" nennen,
denn die Gruppenidentität der Christen beruht auf dem gemeinsamen
Bezeugen des außerordentlichen „Impulses", der am Anfang stand.

Dem Verstehen dieses Impulses (82-122) nähert sich P. durch Reflexionen
zur „Krise" und zum nachfolgenden „Schock" der Jünger,
den für sie die mit dem Epiphaniccrlebnis unmittelbar verbundene
ekstatische Geisterfahrung und eschatologischc Freude bedeutete.
Vor dem apokalyptischen Horizont erwächst daraus sehr rasch die
Interpretation des Impulses als „Auferstehung" und damit als escha-
tologisches Ereignis, das als „Einbruch einer neuen Wirklichkeit. . .
eine neue Beurteilung des ganzen Seins ermöglicht" (98f)- P. unterscheidet
sehr betont zwischen der apokalyptischen Sprachgestalt der
ältesten Zeugnisse und dem ihnen zugrundeliegenden, entstehungsgeschichtlich
nicht weiter aufzuklärenden Impuls. Auf solche Weise
entgeht er der von Marxsen und Bultmann vertretenen Englührung
des Osterverständnisses. ohne die kritische Analyse der Texte aufzugeben
. Hinsichtlich des historischen Verlaufes plädiert P. für Galiläa
als Ort der ersten Erscheinungen und sieht in Mk 16,1-8 „eine spätere
Ätiologie" der Verehrung eines nachträglich in Jerusalem entdeckten
offenen Grabes, das früher einem Josef aus Arimatäa gehörte. Wichtig
für P. ist endlich, daß der entscheidende Impuls der Geisterfährung sofort
soziale Wirkungen hat: Er bewirkt Sammlung und Sendung der
Gemeinde Jesu, die ihrerseits vor die Aufgabe der Interpretation und
Reflexion stellen.

Dem Thema der fortschreitenden Reflexion der ältesten Glaubensaussagen
ist der vierte Teil gewidmet (123-146). Am Anfang der Entwicklung
sieht P. eine „experimentelle Reflexion" mit unterschiedlichen
, aber nicht gegensätzlichen christologischen Konzepten, unter
denen sich bald die Auferstehungschristologie als die meistbewährte
Antwort durchsetzt. Gegenstand entfalteter Reflexion ist die Erinnerung
an den irdischen Jesus, die soteriologische Deutung des Osterge-
schehens in Verbindung mit dem Schriftbeweis, die Bewältigung der
Parusicverzögerung, die kosmische Bedeutung Jesu und die bewußte
Abgrenzung von untragbaren Glaubensaullässungen.

Der fünfte und letzte Teil thematisiert die „Ökumenisierung" des
ursprünglichen Impulses (147-166). Die Vielfalt der Aussagen wird
durch eine deutliche Tendenz zur Einheit relativiert. P. sieht diese
Tendenz vor allem wirksam in dem bald alle urchristlichen Gruppen
verbindenden Taufritus, ebenso aber in dem vor allem Markus zu verdankenden
„Textwerden des Evangeliums" und in der nachfolgenden
„Kanonisierung" des ältesten christlichen Schrifttums.

Blickt man auf das Ganze zurück, hat man den Eindruck eines
souveränen, in sich geschlossenen Entwurfes. Überzeugend wirkt das
Bemühen, das Werden der Christologie aus unmittelbaren Lebensvorgängen
zu verstehen. Die sachlich enge Verbindung von Auferstehung
und Geisterfahrung emplindet Rez. als hermeneutisch ausgesprochen
hilfreich. Ob dasselbe von der Rede vom „Impuls" gelten kann, bleibt
zu fragen. Verschleiert sie am Ende nicht mehr als daß sie erhellt? Problematisch
erscheint ebenso, ob der sonst negativ besetzte Begriff
„Schock" für die Kennzeichnung des Ostererlebcns glücklich gewählt
ist.

Grcif'swald Günter Haufe

Mudiso Mbä Mundla, Jean-Gaspard: Jesus und die Führer Israels.

Studien zu den sog. Jerusalemer Streitgesprächen. Münster/W.:
AschendortT 1984. VII, 377 S. gr. 8" = Neutcstamcntliche
Abhandlgn. N. F. 17. Lw. DM 98,-.

Zu den Arbeiten, die einst den Reigen formgeschichtlicher Untersuchungen
zum Neuen Testament eröffneten, gehört Martin Albertz'
Monographie „Die synoptischen Streitgespräche. Ein Beitrag zur
Formgcschichtc des "Urchristentums" (1921). Albertz' Annahme, in
Mk 2,1-3,6 und 1 1,(15-17) 18-12,37 (ausgenommen 12,1-12) seien
zwei vormarkinischc Sammlungen mit sog. „versucherischen Streitgesprächen
" (im Unterschied zu den „nichtversucherischen" = Bultmanns
„Schulgesprächc") enthalten, hat über lange Zeit hin insgesamt
zustimmende Aufnahme gefunden. Erst in jüngerer Zeit hat die
kritische Rückfrage begonnen, allerdings ausführlicher allein bezüglich
der galiläischen Streitgespräche (2.1-3,6). Auch den zweiten der
beiden Zusammenhänge einz.ubeziehen und Albertz' These zu prüfen,
ist die vorrangige Aufgabe, die sich J.-G. Mudiso Mbä Mundla in seiner
Münchener katholisch-theologischen Dissertation gestellt hat.
Allerdings verbindet er mit diesem besonders akzentuierten formgeschichtlichen
(und litcrarkritischen) Interesse zwei weitere Zielsetzungen
: die Einbeziehung religionsgeschichtlicher Parallelen zu den
einzelnen Perikopen. um „das Bewußtsein für die Distanz und das
Neue, das mit und in Jesus Christus und im Urchristentum aulbrach",
zu schärfen (S. 4), und die Interpretation der verschiedenen Einheiten
im Rahmendes Markus-Evangeliums.

Die Untersuchung bietet im wesentlichen eine Reihe von geradezu
schulmäßig angelegten und vorgetragenen Exegesen der Perikopen
I 1.27-33: 12.13-17.18-27.28-34.35-37 dar- 12.1-12 wird aus
formgeschichtlichen Gründen wie schon von Albertz. ausgeklammert.
In stets mehroder minder gleichem Aulbau schlägt der Vf. den Bogen
von litcrarkritischen Beobachtungen über Formgeschichte, Interpretation
der Tradition. Echtheitsfrage und Überlieferungsgcschichtc zurück
zur Frage nach der markinischen Auslegung. Die Analysen, die
er im Rahmen der ersten beiden Schritte unternimmt (Quellenlage.
Textanalysc, Sprache des Textes. Gliederung und Aulbau. Gattungsbestimmung
) sind dabei zusammen mit einigen informierenden Exkursen
fraglos die besten Teile seiner Arbeit. Er zeigt, daß der Anteil
der markinischen Redaktion in 11,18-12,37 äußerst gering ist
(11.27a.32b: 12,13.15a.17c; geringfügige Zusätze in 12,28-34;
12,37c), trotzdem jedoch gerade für die Frage einer vorgegebenen
Sammlung Bedeutung hat. So läßt sich die Steucr-Perikope auf der
vormarkinischen Ebene nicht mehr als Streitgespräch klassifizieren.