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Ausgabe:

1986

Spalte:

260-262

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Obst, Helmut

Titel/Untertitel:

Neureligionen, Jugendreligionen, destruktive Kulte 1986

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 4

260

erhält, ein für den Abergläubischen zentrales Problem. Es geht um die
Frage: „Kann der Mensch zu seinem Nutzen übermenschliche
Mächte an sich ziehen?" (75) Die Auswahl aus dem vorliegenden
breit gefächerten Material wird in drei Komplexe untergliedert. Bei
der „dinglichen Vermittlung" spielen u. a. Reliquien, Amulette,
Talismane eine wichtige Rolle; bei der „personalen Vermittlung"
Wort, Zeichen und Spruch; bei der „Zauberei" der Zauberer, die Zauberkunst
, die Hexe, Bildzauber und Zauberbücher. Neben der
Information steht stets die kritische Auseinandersetzung, in die, das ist
zweifellos ein besonderer Reiz der Publikation, auch persönliche Erfahrungen
eingestreut sind. Etwa, wenn Holtz schreibt: „Ich nehme
an, daß alles pastorale Wettern gegen das sechste und siebente Buch
Mose nicht entfernt bewirken wird, was die nackte Autklärung über
den geschichtlichen Tatbestand enthüllt." (114)

Unter der Überschrift „Mächtige und Schwache" werden die
geheime Praktiken Ausübenden, einschließlich solcher, die der Vf. für
Scharlatane hält, und ihre meist innerlich zutiefst verunsicherten
„Patienten", die „Schwachen", vorgestellt. Vor allem für den Gemeindepfarrer
dürfte interessant sein, was der Vf. in diesem Zusammenhang
über die „Besprecher" und die „Besprochenen" sagt: „Die
Mehrzahl der Besprecher, ob männlich oder weiblichen Geschlechtes,
hat kaum die strenge Beurteilung verdient, die sie gemeinhin kirch-
licherseits findet. Viele durchschauen den Charakter des magischmechanischen
Zwangssystems nicht, das an sich mit wahrem Glauben
unvereinbar ist. Sie glauben jedoch Gott zu dienen, wie einst im
frühen Mittelalter ihre kirchlich-priesterlichen Ahnen .. ." (123) Für
den Besprochenen sieht er dort, „wo das christliche und intellektuelle
Gewissen noch wach bleibt", die Gefahr der Neurosenbildung. „Gefördert
würde der Prozeß durch Stimmen aus der Kirche, die besagen,
alle einmal Besprochenen - auch in frühester Kindheit! - seien
magisch behaftet und könnten weder im Leben noch im Sterben zum
Frieden kommen. Wachsende Unsicherheit, heimlich revoltierendes
Gewissen, Androhung der ewigen Verdammnis - das kann sich zu
einem dunklen seelischen Unheilsstrom zusammenfinden." (130)

Unter der Überschrift „Der Griff nach der Zukunft" werden Orakelpraktiken
und einschlägige Methoden der Wettervorhersage aufgezeigt
. Dem „Tod im alten Volksglauben" wendet sich der Vf. nur kurz
zu. Der erste Hauptteil schließt mit einem kritischen „Blick auf die
Lage der Gegenwart" und einem „Nein zum Aberglauben". Eine zentrale
Forderung ist in diesem Zusammenhang Aufklärung über Wesen
und Inhalte des Aberglaubens.

Der zweite Teil „Okkultismus und Aberglaube" geht u. a. von der
Beobachtung aus: „Wer aus dem alten Aberglauben auswanderte,
aber übersinnliche Erscheinungen, die sich ihm aufdrängten, geistig
zu bewältigen suchte, wandte sich dem Okkultismus zu, der wissenschaftliche
Ansprüche stellte und im fortschrittlichen Bürgertum eindrucksvolle
Vertreter hatte." (154) Holtz benutzt das Wort „Okkultismus
", darin ist ihm nachdrücklich zuzustimmen, „in einem weiten
Sinn", „ohne jede diskriminierende Bedeutung" (ebd.). Ein Überblick
, „Okkultismus einst und jetzt", informiert über die historische
Entwicklung, um die gegenwärtige Situation verstehen zu können. In
sechs Kapiteln wendet sich der Vf. den Themen zu: Der Traum; Die
seelische Durchschauung; Schauungen in unbekanntes gegenwärtiges,
vergangenes und zukünftiges Geschehen; Wunderheilungen; Sterben
und Tod; Der neue Satanismus. Zahlreiche gut belegte Fallschildc-
rungen vermitteln ein äußerst farbiges Bild. Neben Bekanntem wird
der Fachmann viel Neues, den Ertrag einer langjährigen Sammeltätigkeit
, finden. Kapitel II „Der Traum" läßt neben einem hervorragenden
Spezialwissen ein besonderes Engagement des Vf. an Traum und
Traumdeutung erkennen. Ein seelsorgerliches Anliegen ist dabei
unübersehbar.

Bei aller, teilweise sehr scharfen Kritik an Theorien und Erscheinungsformen
des Okkultismus plädiert der Vf. immer wieder für eine
vorurteilslose Prüfung eindeutig belegter unerklärlicher Phänomene.
„Vom schöpferischen Zweifel zu Borniertheit ist bisweilen nur ein
Schritt. Tatsachen waren stets früher da als ihre Deutung." (202)

Nicht zuletzt von der Theologie sei sachliche Offenheit zu erwarten.
Auch biblische Berichte können dann in einem neuen Licht erscheinen
. „Man sollte auch nicht zur Ehre Jesu Vergleichsmatcrial zu
evangejischen Berichten wie das von uns vorgebrachte abweisen. Wir
treten damit der Würde Jesu nicht zu nahe." (ebd.)

Bei der vielschichtigen Thematik „Schauungen" stellt sich neben
der Frage des „Zweiten Gesichts" auch das Problem der Weissagungen
, mit dem sich die christliche Kirche immer wieder aus aktuellem
Anlaß befassen mußte. Der Vf. vertritt die These: „Die evangelische
Theologie kann der Bejahung weitergehender Prophctie im Raum der
Kirche beitreten, wenn die Schau der biblischen Heilsgeschichte
unangetastet bleibt." (2280

Recht kurz wird die Frage der „Wunderheilungen" behandelt. Hier
liegt offenbar nicht das besondere Interesse des Vf. Von hervorzuhebender
Qualität wie Aktualität ist das Kapitel „Sterben und Tod".
Reiche Belege für sogenannte „Schwellenerlebnisse" aus alter und
neuer Zeit werden vorgelegt: „Eine befriedigende Erklärung gibt es bis
heute nicht." (239) Zu den weiteren Themen gehören „der Austritt
eines zweiten beseelten Leibes aus dem Körper eines im Sterben liegenden
Menschen" (241), die „Panoramaschau" und auch die Frage
des Spuks, vom Vf. selbst als ein besonders „heißes Eisen" charakterisiert
(245). „Biblische Ausblicke" schlagen unmittelbar die Brücke
zur Theologie. Hier finden sich Sätze, die auf dem Hintergrund der
heute in ihrem Aussagegehalt weithin kümmerlich gewordenen evangelischen
Eschatologie nachdenklich stimmen sollten, wie: „Das
Leben der zukünftigen Welt wird auch mit einem gewandelten leiblichen
Element zu denken sein, das für uns Geheimnischarakter hat.
Das gilt auch von postmortalen irdischen Erscheinungen, die Folgen
einer ICH-Spaltung im Sterben sein werden. Es bleibt viel Rätselvolles
in ihnen zurück. Die Folge unglückseliger ICH-Abspaltungen
sind Verfinsterung und Bosheit, die im Randbereich des Lebens wirksam
werden. Zwischen ihnen und der Verklärung im erlösenden Tod
wird eine unbekannte Zone von Übergangs- und Jenseitszuständen
liegen. Wir erwarten, daß in Zukunft Theologen zur biblischen
Seelenvorstellung zurückkehren werden. Wir dürfen im Tod den Beginn
eines neuen Lebens erwarten, über das wir Näheres nicht wissen
." (254)

Die folgenden beiden Kapitel „Der neue Satanismus" und „In der
Gegenwart" entsprechen in ihrem Niveau - offenbar bedingt durch
Literaturzugang bzw. Auswahllitcratur - nicht dem Niveau der Gesamtdarstellung
. Auf sie hätte verzichtet werden können. Zum Schluß
der Untersuchung wird mit der Frage „Können wir hier noch von
Aberglauben reden?" ein Fazit gezogen. Dazu gehört die Feststellung:
„Man muß sorgfältig unterscheiden zwischen tatsächlich okkulten,
das heißt: noch nicht erklärbaren Phänomenen und vermeintlich
okkulten, insbesondere vorgetäuschten Erscheinungen. Wer ihnen
verfällt, stürzt in krassen Aberglauben." (268)

„Viel Geduld und viel Aufklärung ist vonnöten." (269) Sicherlich
aufallen Seiten. Denn: „Der Klärungsprozeß, der angesichts der mondänen
Okkultwclle dringender als bisher gefordert ist, wird durch voreingenommene
schroffe Ablehnung, die heute mit Ignoranz bezeichnet
werden muß, nur verhindert." (1 54)

Gottfried Holtz hat mit der vorliegenden Arbeit zu dem notwendigen
Klärungsprozeß aus theologischer Sicht einen eindrucksvollen
und unverwechselbaren Beitrag geleistet.

Halle (Saale) Helmut Obst

Obst, Helmut: Neureligionen, Jugendreligionen, destruktive Kulte.

Berlin: Union Verlag 1984. 357 S. m. Abb. 8". P. M 16,-.

In den Überblickshaft skizzierten Kontext eines wachsenden religiösen
Pluralismus der Gegenwart wird vom Autor der „Aufbruch syn-
kretistischer Neureligioncn" eingezeichnet. In den USA auch als
"destruetive cults" bekannt, erfaßten die sogenannten „Jugendreli-
gionen" seit zwei Jahrzehnten auch die westeuropäische Szenerie und